grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

20.000 Tage mit Nick Cave (und F.)

Cant remember anything at all. Es ist schon ein paar Tage her. F. war in Berlin, es war schon dunkel, wir philosophierten, so wie damals, noch in einer anderen Stadt, jetzt über den Alexanderplatz, bis der Name des Filmes sich in das Gespräch einschlich, unsere Gedanken kreuzte und die Wege lenkte zum International, und dann saßen wir im Kino und Nick Cave fuhr mit seinem Auto durch die Gegend, es regnete, der Scheibenwischer quietschte, ab und an saß mal jemand auf dem Beifahrersitz, Blixa Bargeld etwa, oder Kylie Minogue, aber nein, die saß ja hinten, auf dem Rücksitz, kaum wiederzuerkennen, wenn sie nicht in irgendeinem Video rumdanced, und sie philosophierten wie schon immer durch die Nacht, manchmal saß er auch beim Psychologen, der fragte, sollen wir hier erstmal aufhören?, aber wer will das schon, wenn Nick Cave da oben auf der Leinwand zu sehen ist, wie er mit seinen Jungs chipsessend fernsieht, wie er dann am Klavier sitzt, die Tasten, die Stimme, sich reinlegt in den Song, die Hand hebt, um seine Mitmusiker zu dirigieren, den Schlagzeuger, den Bassisten, den Gitarristen mit dem Bart vor allem, zusammen die Bad Seeds halt, die Band mit der Cave so durch die Welt musiziert und mit der er hier jetzt irgendwo in Frankreich, in einem Landhaus, in einem Studio, das eher aussieht wie ein luxuriös großes Wohnzimmer, gerade diesen Song aufnimmt, Higgs Boson Blues, in dem er von diesem Physiker singt, der das Gottesteilchen entdeckt hat, dessen Existenz kürzlich am CERN down in Geneva, durch extremphysikalische Versuche tatsächlich nachgewiesen wurde, und über Frauen, die am Kellerfenster vorbeiziehen, und über diesen Bluesmusiker mit der 10-Dollar-Gitarre, der den Teufel trifft, oder Hannah Montana, die die African Savanah macht, und Miley Cyrus in einem Pool, cant remember anything at all.

Aber die Aufnahme läuft in voller Länge, über sieben Minuten. Das ganze volle Leben, Bruchstück für Bruchstück, eine Zwischenbilanz. Und allein deshalb lohnt es sich, diesen sowieso großartigen Film „20000 Days On Earth“ anszuschauen. Je größer die Leinwand, desto besser. Weil da ist soviel drin ist, das kann gar nicht alles in ein kleineres Bild passen.

Aber so oder so ist klar. Dass das jetzt einfach mal gestimmt hat, dass ich ausgerechnet mit F., mit dem ich damals, in der anderen Stadt noch, schon den Himmel über Berlin gesehen hatte, in dem ja auch Nick Cave gesungen hat, nur eben noch nicht 20.000 sondern eher nur 10.000 Tage alt, dafür deutlich heftiger auf Drogen, in einem alten Hotelruinenrest mit haushoher Patina, der Jahre später einmal ums Eck geschoben wurde, da am Potsdamer Platz, weil eben neue Zeiten kamen und damit neue Häuser, genau dorthin, wo F. und ich nur kurz, nur Tage nach dem Mauerfall, also zu einer Zeit, als die Mauer noch längst nicht gefallen war, aber schon Löcher hatte, in einer eiskalten Nacht, als gelangweilte Westpolizisten auf dem Lenné-Dreieck, dort wo heute Luxushotels stehen, mit ihren Bullis Schleuderrunden auf dem zugefrorenen Boden machten, während von der anderen Seite der Mauer zwei junge Grenzer mit Pelzmützen nach uns pfiffen, und wir dann Zigaretten tauschten, durch eins der großen Mauerspecht-Löcher in dieser Betonwand, die Tage zuvor noch die System getrennt hatte, auf Leben und Tod, und jetzt Ost gegen West und West gegen Ost wanderte der Tabak durch die Wand, und wir reichten uns Feuer von hüben nach drüben, unsere, sagten, die Grenzer, und meinten ihre Zigaretten, kann man von beiden Enden wegrauchen, Karo ohne Filter, hartes Kraut, harte Zeiten, da am Rande der beiden Welten, die damals gerade im Begriff waren unterzugehen. Cant remember anything at all.

Immerhin hat es nicht geregnet. Es war nur saukalt. Und am Brandenburger Tor war nichts los. Nicht mal Party.

F. hat dann am nächsten Tag, also jetzt kürzlich, gleich nach dem Film mit dem 20.000 Tage alten Nick Cave, die Platte gekauft. Bad Seeds. Die mit Nick Cave und dem Higgs Boson Blues. Und mir geschenkt. Fast so wie früher, als wir erst in den Plattenläden standen und uns dann die neuen Einkäufe gegenseitig vorspielten. Cant remember anything at all.

Und seither hör ich diesen Blues rauf und runter. Immer die ganzen sieben Minuten.

You’re the best girl I ever had, singt Nick Cave. Wie recht er hat. So sehr, dass man fast den Eindruck hat, dass das in manchen Momenten sogar für männliche Freunde gilt. Auch wenn das gar nicht stimmt. Außer natürlich in diesem einen ganz besonderen Moment.

Sollen wir hier erstmal aufhören?, fragt der Psychologe.

One response to “20.000 Tage mit Nick Cave (und F.)”

  1. Frank sagt:

    Cant remember anything at all.

    https://flic.kr/p/p7pBSZ

    Danke für alles.

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