grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

50: Neneh Cherry @ the temple of rave

neneh cherry berghainAm Anfang ist das Kleid. Genauer gesagt ist es gar kein Kleid. Nur ein Shirt. Und ein Rock. In orange, sannyasin-orange, fast schon neon, tritt es aus dem Schatten vorn auf die Bühne, da wo es das Licht der Scheinwerfer reflektieren kann. Und strahlt, strahlt durch die dunkle Halle des Berghain, strahlt wie das Gesicht dieser Frau, die jetzt anfängt, anfängt zu singen, zu rappen, zu sprechen, zu flüstern, zu schreien, zu tanzen – ja, immer wieder zu tanzen, mal dezent, mal wiegend, mal extatisch. Und zu lächeln. Was für ein Lächeln. Was für eine Freude, was für einen Spaß diese grundsympatische Frau da oben auf der Bühne austrahlt. Und wie sie den Saal füllt. Mit ihrer Stimme, mit ihrer Präsenz, mit diesem Rhythmus, mit dieser Musik, die keinen besseren Ort hätte finden können als diesen: das Berghain.

Es wurde Zeit, sagt sie, Zeit hier zu sein, hier in diesem „temple of rave“.

Neneh Cherry. Die Schwedin, die man kennt, na ja, zumindest in Erinnerung hat, wegen dieser Popsongs, wegen Buffalo Stance, wegen Manchild und wegen 7 Seconds, dem Duett mit Youssou N’Dour. Wann war das noch? In den 90ern? Oder schon in den 80ern? Lange her.

Jetzt steht sie da oben und macht alles anders. Alles andere als Pop. Nur ihre Stimme, die bleibt unverkennbar. Rechts sitzt ein Schlagzeuger, links ein Typ mit Keyboards, Laptop, Elektrozeug, all diesen Dinge, die man heutzutage braucht, um eine Halle wie das Berghain mit fettem Sound zu füllen – bis an den Rand. Rocketnumbernine heißt die Band, oder besser gesagt: das Duo. Und wer hören will, wie gut die beiden sind, muss nur mal schnell bei soundcloud klicken.

Jetzt steht sie also da, schwebt auf den Wellen des Sounds, nimmt gefangen, jeden einzelnen hier unten im Publikum, wird jünger von Song zu Song und dann, dann sagt sie diesen Satz, der bleiben wird von diesem Abend, dieser wunderbaren Nacht.

nenehcherryNach dem Lied, das auf ihrem gerade veröffentlichten Album „Blank Project“ den kryptischen Titel „422“ hat, den sie aber auf der Bühne mit dem zentralen, dem treffenden Wort des Refrains ankündigt, „Bullshit“, dessen Text mit den vielsagenden Zeilen „I was feeling younger / As the days were passing me by“ beginnt, nach diesem Lied also sagt Cherry, jetzt mit dem fast ein wenig schüchtern wirkenden Lächelns eines Mädchens, „am Montag“, sie macht eine kurze Pause, so als könne sie es selbst nicht glauben, „am Montag werde ich 50.“ Sie lacht. Aber es gebe keine bessere Art, diesen Geburtstag zu feiern, „then riding on the back of rocketnumbernine“.

Wenn man es nicht wüsste, wenn man es nicht irgendwo schon gelesen hätte, man würde es nicht glauben, nicht für möglich halten, dass diese Frau genauso alt sein soll, wie … ja, wie die gelegentlich doch arg verzweifelten, irritierten, spätmidlifekriselnden Altergenossens, die plötzlich überall auftauchen. Aber wenn man es weiß, weil man es hört und sie sieht, dann will man nichts anderes mehr als sofort 50 zu werden, 50 zu sein und auf dem Rücken von rocketnumbernine dahinbrausen.

Das kann man dann ja auch, in der glücksbeseelte Menge, die sich hinwegfegen lässt, von dem klaren Sound der Berghain-Boxen – bis die drei da oben alles gegeben haben, alle Songs des neuen Albums.

In den meisten der meist verdientermaßen hymnischen Rezensionen zu „Blank Project“ steht, dass dies Neneh Cherrys erstes Album nach 18 Jahren  sei, ein echtes Comeback also. Was stimmt, aber eben nur fast. Denn dabei wird übersehen, dass sie vor zwei Jahren schon zusammen mit dem norwegischen Freejazztrio „The Thing“, ein Album hingelegt hatte, das schlichtweg die Ohren freibließ. Auf „The Cherrything“ finden sich Coverstücke, u.a. eine unglaublich kraftvolle Version des Präpunkklassikers „Dirt“, der urspünglich von Iggy Pops Band The Stooges stammt.  Spätestens hier hatte Cherry gezeigt, was sie kann: Jazz. Und Coverversionen.

Und das zeigt sie auch im Berghain. Ganz am Schluss, als Zugabe. Sie singt. „Who’s that gigolo“. Sie stockt kurz, lächelt, wieder einmal, setzt neu an, sagt, ja, es geht, why not?, und dann legt sie richtig los. „Who’s that gigolo on the street / With his hands in his pockets and his crocodile feet / Hanging off the curb, looking all disturbed / At the boys from home.“. Es ist tatsächlich „Buffalo Stance“, ihr allererster Hit, aus dem Jahr, schnell nochmal nachgeschaut, 1988. Dabei hatte man bis gerade eben noch geglaubt, dass nichts die Stimmung, die Farbe der Musik dieses Abends mehr brechen könnte, als ein Rückgriff auf diese ganz alten poppigen Zeiten.

Aber Cherry macht das. So wie bei „The Cherrything“, sie covert alte Klassiker und haucht, nein hämmert ihnen einen zeitgemäße Energie ein, dass es kracht.  Nur dass hier auch das Orginal von ihr selbst stammt. Und sie macht es diesmal eben nicht mit den Saxophonfolterern von The Thing, sondern mit den Elektroniker von rocketnumerbnine. Kawumm.

Und dann lächelt sie nochmal, strahlt, bedankt sich beim Publikum und tritt ab in ihrem immernoch unglaublich orangenen Kleid, das kein Kleid ist. Aber das ist jetzt sowas von egal.

Später, viele später, als nur noch ein paar Hanseln in der Halle stehen, die sich einfach nicht lösen können, weil sie noch ein Bier trinken und schwärmen müssen, da geht sie einmal quer durch den Raum, jetzt mit einer schwarzen Jacke über dem Kleid, aber immernoch oder schon wieder mit diesem Lächeln – direkt in die Augen. Danach kann man dann aber auch wirklich nach hause gehen.

PS: Vor einer Woche, nach dem Auftriit von Tinariwen im Bi Nuu, hatte ich gedacht, ich hätte schon das Konzert des Jahres gesehen. So kann man sich täuschen.

PPS: Und dass ich sowohl Tinariwen, als auch Neneh Cherry & The Thing vor einem Jahr gemeinsam bei einer Flugreise für mich entdeckt hatte, passt da nur umso besser.

 

 

 

One response to “50: Neneh Cherry @ the temple of rave”

  1. herr grimo sagt:

    und wie begeistert die Kollegin Doris Akrap war steht hier: http://www.taz.de/Neneh-Cherry-im-Berghain/!134447/

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