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die welt liegt uns zu füßen

Ameisen auf dem Weg von Barichara nach Guane

Eins vorweg: Ameisen sind faszinierende Wesen. Sie kraxeln von rechts nach links über die Felsbrocken, die den camino real von Barichara nach Guane bilden. Und damit man sie nicht übersieht, winken sie mit großen Blättern! Drei-, vier-, fünfmal so lang wie die Tiere selbst, wirkt ihre Last tatsächlich eher wie große Fahnen, denn wie ein Gepäckstück. Ich lege meine Kamera auf den Boden und lasse die Tierchen vor meinem Makroobjektiv vorbeistolzieren. Warum das jetzt so wichtig ist? Erklärt sich später!

Dächer mit Ziegeln 

Erstmal ganz was anderes. Denn das fällt wirklich auf: die Häuser hier in Kolumbien haben Dächer! Also nicht nur irgendetwas oben, dass den Regen einigermaßen davon abhält, ins Haus zu dringen. Sondern richtige Dächer. Schräg. Mit roten Ziegeln. Manchmal sogar mit Dachgauben.

Für Europa wäre das nichts besonderes, für Lateinamerika aber doch. Denn in Bolivien, Peru und auch in Mexiko herrscht vor allem bei neueren Häusern nur ein Baustil vor: der einfache, permanente und nie beendete Bau. Häufig ist dort die Fassade komplett unverputzt, geschweige denn gestrichen. Und oben ragen Metallstreben heraus, damit man später, wenn mal wieder Geld oder Bedarf vorhanden ist, weiterbauen kann. Überall steht ein offensichtlicher Pragmatismus ganz vorn beim Bauen.

Nicht so in Kolumbien. Auch hier gibt es unfertige Häuser, aber selbst denen sieht man an, dass sie auf einem Entwurf, einer architektonischen Idee beruhen. In den Städten der Regionen Boyacá und Santander, durch die ich bei der siebenstündigen Fahrt von Bogota nach San Gil gekommen bin, war sogar so etwas wie Siedlungsbau zu erkennen. Und einmal sah ich ein prachtvolles Freibad mit 50-Meter-Becken. Ich kann mich nicht erinnern, auf all meinen anderen Südamerikatouren ein Schwimmbad gesehen zu haben.

Tatsächlich hatte ich anderes erwartet. Denn schließlich plagt das Land seit fast 70 Jahren der Konflikt zwischen linker Guerilla auf der einen, sowie Militär und Paramilitärischen Gruppen auf der anderen Seite, was dazu führte, dass Kolumbien das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen weltweit war – bis Syrien diese Spitzenposition übernahm.

Zwar ist in den Zeitungen längst von „posconflicto“, also der Zeit nach dem Konflikt die Rede. Zwar hat sich die Lage in den letzten Jahren offensichtlich sehr entspannt, so sehr, dass auf der Serpentinenstrecke von San Gil hoch nach Barichara, die ich am Sonntag mit dem Bus gefahren bin, unzählige schicke Landvillen zu sehen sind, offenbar für wohlhabende Gäste aus Bogota. Aber diese Entspannung allein kann nicht der Grund sein für die auffällig gepflegte Architektur. Das Land muss trotz des Konfliktes immernoch einen höheren Lebensstandard gehabt haben als einige seiner Nachbarn. Und es muss ein kulturelles Bewusstsein für den gepflegten Hausbau geben.

Barichara – zu schön

Der ultimative Beleg dafür ist das Städtchen Barichara. Es ist einfach perfekt. Es besteht nahezu ausschließlich aus alten, einstöckigen und einfachen Bauten im Kolonialstil. Alle, tatsächlich alle Häuser an den teils steil an den Hängen liegenden Gassen strahlen weiß im Sonnenlicht. Vom schmalen Bürgersteig bis etwa in Hüfthöhe sind sie zudem bunt angemalt. Mal blau, mal gelb, mal grün. Und immer akkurat parallel zur Neigung der Straße. Schon in den frühen 70er Jahren wurde Barichara zum nationalen Kulturgut erklärt und offenbar aufwendig saniert. Und dass nicht nur einmal. Auf der Plaza verkünden brandneue Marksteine vom Abschluss der jüngsten Renovation im Dezember 2015.

Viel machen kann man in Barichara allerdings nicht. Außer rumlaufen. Bergauf. Bergab. Dann rechtsrum. Wieder links. Hinter der Kirche entlang, dann einfach mal der Nase nach und wieder von vorn. Man könnte auch einen Film drehen, so wie das angeblich schon viele Fernsehteams hier gemacht haben, die Kulisse ist schließlich perfekt.

Oder man isst Ameisen. Die gelten hier als Delikatesse und werden in jedem zweiten Laden – si hay hormiga! – angepriesen. Laut Reiseführer werden sie zu einem Pulver zerrieben, dessen Geschmack gewöhbubgsbedürftig ist.

Also hab ich mir gedacht, ach das kannst du auch später mach, trink erstmal einen Kaffee in der Heladeria an der Plaza. Und wandere dann nach Guane.

Der königliche Weg 

Dorthin führt der camino real. Ursprünglich von einem Deutschen im Jahr 1864 als Handelsweg angelegt, dient er heute vor allem als Wanderweg. Schilder am Wegesrand und auch Kolumbianer vor Ort rühmen noch heute den Deutschen. Doch wenn man die rumpelige Brockenpiste mit den 400 Jahre älteren und perfekt gemauerten Teilen des Inkapfades vergleicht, die ich in Peru und Bolivien gesehen habe, kommt man eher auf den Gedanken, dass diese deutsche Meisterleistung ein früher Vorfahre solch genialer Projekte wie dem Berliner Flughafen war. Aber egal, zum Wandern reicht’s.

Unterwegs gibt es vor allem eins: Stille. Nur unterbrochen von hier und da singenden Vögeln oder den Grillen, die teilweise klingen, wie ein nicht anspringender Treckermotor.

Ansonsten trifft man bei der zweistündigen Wanderung nur drei Kühe am Wegesrand, die fleißigen Blattschneideameisen, zwei entgegenkommende Wanderer und die drei Alten, die gut hundert Meter oberhalb des Weges vor einem Haus sitzen, zu dem mich das Schild „gaseosas frias“ gelockt hat.

Der Älteste trägt einen Cowboyhut und ein großes Pflaster unter dem rechten Augen und sagt kein Wort. Dem etwas jüngeren muss bei irgendeinem Unfall mal die Haut von nahezu dem gesamten Gesicht verbrannt sein, aber er lächelt freundlich und zeigt mir seinen Fossiliensammlung, von der ich Stücke kaufen könnte, wenn ich wollte. Ich nehme dann aber doch nur die kalte Cola aus dem Kühlschrank, die mir die dritte reicht, eine vergnügliche, kleine Frau, mit von der Sonne gegerbter Haut, die mir auch noch gleich ihre drei Hunde vorstellt: Chocolate, Rambo und Fuscha (beim letzten Namen bin ich aber nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe).

Wir schwärmen noch eine Weile von der Schönheit der Landschaft und der erholsamen Ruhe, bis ein hässlicher Truthahn vorbeigackert und mit seinem Geschrei die Stille vertreibt. Die Cola ist dann auch alle, ich ziehe weiter.

Barichara in echt

Guane ist wie Barichara. Nur in echt. Wesentlich kleiner, kaum mehr als einen Block von der Plaza entfernt, hört das Dorf auch schon wieder auf. Die Häuser aber sind auch alle weiß, nur mit Gebrauchsspuren, mit Patina.

Auf der Plaza spielen vier Mädchen Basketball. Eine trifft richtig gut. Vor dem Laden an der einen Ecke hocken die Männer mit ihren Sombreros und lachen. Ein anderer Laden wirbt: nimm kein Viagra, trink Ziegenmilch! Ich nehme einen tinto, wie hier in Kolumbien schwarzer Kaffee genannt wird – und lasse einen der stündlich zurück nach San Gil fahrenden Busse sausen. Um den Moment zu genießen.

Kurz bevor der letzte Bus kommt, taucht der freundliche Mann mit dem verbrannten Gesicht auf. Ob ich denn auch das Fossilienmuseum hier an der Plaza besucht hätte, will er wissen. Nein, sage ich, das hatte geschlossen. Sofort will er den Bürgermeister rufen, damit er mich einlässt, aber da kommt schon der Bus und ich muss weiter.

Und was war jetzt mit den Ameisen? Ja genau, die wollte ich ja nach der Wanderung in Guane probieren. Aber da gab es gar keine, jedenfalls wurden sie nicht so offensiv wie im Touristenattraktionsstädtchen Barichara angeboten. Und nachfragen mochte ich auch nicht mehr, nicht nach der Begegnung mit den starken Blattschneiderinnen auf dem camino real.

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