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die welt liegt uns zu füßen

Bogota: das weltbeste Ajiaco und das weltbeste Wiedersehen

Sie tragen Kleider, eher Röcke. Und Pappschilder. Sie protestieren gegen den Femicidio, den Mord an Frauen, der der schlimmste Ausdruck des Machismo sei. Laut rufend ziehen die sechs Männer über die Plaza Bolivar, auf der ich auf Phillipe warte. Einer versucht ein paar Frauen, die gerade vorbeikommen, auf ihre Parolen einzustimmen, aber die lachen nur.

Dann kommt Philippe. Acht Jahre haben wir uns nicht gesehen, vielleicht auch nur sieben. Das letzte Mal war in Brüssel, wo er damals gewohnt hat. Ich hatte das Europäische Parlament besucht. Ingrid Betancourt, einst Präsidentschaftskandidatim der Grünen in Kolumbien, dann sechs Jahre lang als Geisel der linken Guerilla FARC im Regenwald festgehalten, hielt damals eine emotionale Rede im EU-Parlament. Sie bedankte sich für die Unterstützung, die sie während ihrer Gefangenschaft bekommen hatte, von der sie wusste, weil im Radio darüber berichtet wurde.

Phillipe sagt, lass uns eine Suppe essen. El mejor ajiaco del mundo, hat das kleine Restaurant laut Eigenwerbung im Angebot. Eine fast breiige Suppe mit Huhn und einem Stück Maiskolben. Dazu Reis und ein wenig Avocado. Kein Zweifel, das muss das weltbeste Ajiaco sein.

Philippe erzählt. Er war damals in Brüssel jeden Morgen aus der WG in der alten Schokoladenfabrik mit Anzug und Krawatte zu seinem Job bei einer internationalen Firma aufgebrochen. Und unglücklich. Wenig später hat er gekündigt und ist ein Jahr um die Welt gereist. Asien, Australien, Südamerika.

Danach hat er einen neuen Lebensinhalt gesucht – und beim Internationalen Roten Kreuz gefunden. Er arbeitet jetzt in Konfliktgebieten, als humanitärer, neutraler Helfer, der versucht dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Ein Jahr war er im Libanon, zuletzt fast zwei Jahre in Papua-Neuguina, wo er weit ab von allem zwischen den Konflikten uralter Stämme arbeitet, die seit weniger als 100 Jahren Kontakt zur restlichen Welt haben und heute irgendwo zwischen uralten, gewalttätigen Traditionen, Alkoholismus und dem Internet zerrieben werden.

Vorher war er zwei Jahre hier in Kolumbien, hat sich um in Gefängnissen Inhaftierte gekümmert. Und aus der Zeit noch seine Freundin, die hier in Bogota lebt. Deshalb ist er gerade mal wieder hier für fast zwei Monate. Oft gesehen haben sie sich nicht die beiden, in den letzen Jahren.

In stundenlangen Gesprächen bringen wir uns gegenseitig auf den Stand, während Phillippe mich durch die Stadt führt. Er zeigt mit die bunte Graffiti-Kultur, erklärt mir die einfache Orientierung (Carreras von Nord nach Süd, Calles von Ost nach West und beide schön durchnummeriert) und dass die Menschen hier genau wissen, wann sie sich wo gefahrlos bewegen können. Und wann wo nicht. Dass es einige Viertel gibt, die man am besten immer meidet. Und andere nach Einbruch der Dunkelheit, zumindest wenn man allein unterwegs ist.

Wir laufen Richtung Norden immer mehr oder weniger entlang der Carrera 7, die sich durch die ganze 8-Millionen-Stadt zieht. Er zeigt mit die Parks an den Berghängen, das Hochhaus, das das höchste des Kontinents werden soll, wenn es fertig ist. Das Kulturzentrum „A Seis Manos“, das rund um mehrere Patios Kino, Konzerte, Kunsthandel und eine Bar bietet, und dass Philippe nicht nur so gefällt, weil es einem Franzosen gehört, sondern weil es ihn an Berlin erinnert.

Wir schlendern über einen abgesperrten Abschnitt der Carrera 7, wie hunderte andere entlang der Strassenmusiker und Jongleure. Er zeigt mir das Eckhaus, in dem heute ein McDonalds-Filiale ist, und vor dem 1948 der liberale Präsident Gaitan erschossen wurde, wodurch der Jahrzehnte dauernde Guerilla-Konflikt erst so richtig begann, der nun ganz aktuell nach wiederum jahrelangen Verhandlungen in Havanna im März mit einem Friedensschluss beendet werden könnte. Phillipe warnt mich davor, Kolumbianer zu sehr nach diesem Krieg zu fragen, weil eigentlich jeder Angehörige, die darin verwickelt sind oder waren. Nicht umsonst war Kolumbien lange Zeit das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen -bis es von Syrien abgelöst wurde.

Aber jetzt hoffen alle auf den Frieden, auch die Tourismusbranche. Überall gibt es neue Hostels. Ein Problem aber könnte sein, dass viele, die als Zehn- bis Zwölfjährige zur einen oder anderen Guerilla gingen, nie etwas anderes gelernt haben, als den bewaffneten Kampf – und es nicht unwahrscheinlich sei, dass sie bei den Drognkartellen landen, dem anderen großen Problem des Landes.

Dann zeigt er mir noch La Merced, ein Viertel, das komplett im britischen Stil mit roten Ziegeln errichtet wurde, und ein großes Univiertel, wo wir abschließende Biere trinken – Club Colombiano Dorado – bevor er mir, sicher ist sicher, per App ein Taxi bestellt, die bevor das Auto kommt, den Namen des Fahrers und seine Nummer aufs Handy schickt.

PS: Es hat dann doch nicht geregnet. Kein einziger Tropfen. Aber das kann sich hier schnell ändern. Jahreszeiten gebe es in Bogota nicht, sagt Phillipe. Aber man jedes Wetter häufig an einem einzigen Tag.

PS: in dem kleinen Mittagsrestaurant stand als Nachtisch auf der Karte sowohl „Matrimonio“ (Ehe), als auch „Divorcio“ (Scheidung). Ich hab allerdings vergessen zu fragen, was man da jeweils bekommt.

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