grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Der Bolivianer-Bus und der kleine Jose

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Viertel vor sechs. In aller Fruehe faehrt der Bus nach Atocha an der Haltestelle in Uyuni vor. Der rechte Scheinwerfer funktioniert. Der linke nicht.  Es ist ein kurzer Bus. Stauraum fuers Gepaeck gibt es nicht, jedenfalls nicht unten. Der Rucksack muss aufs Dach.

Drinnen draengelt sich die Menge. „Das ist ein echter Bolivianer-Bus“, sagt der offensichtlich aus Sueddeutschland stammende, junge Mann vor mir zu seiner Freundin. Insgesamt befinden sich vier Touristen in dem Bus. Der Rest: Bolivianer. Die haben es nicht so eilig. Die Abfahrt verzoegert sich mehrfach, bis tatsaechlich alle an auf ihren Plaetzen sind, vor allem weil eigentlch jeder erstmal mit Sack und Pack, sei es mit grossen Taschen oder mit in die ueblichenbunten Allzweckdecken Gehuelltem in den Bus einsteigt, dann drinnen feststellt, dass hier ueberhaupt kein Platz dafuer ist, wieder rausgeht und doch das Ganze auf dem Dach unterbringen laesst.

Kaum macht der Bus sich auf den Weg, haelt er auch schon wieder am Stadtrand. Wir warten nochmal eine Viertelstunde auf einen weiteren Passagier, der mit dem Taxi angebraust kommt und vorn in der Fahrerkabine sitzen darf. Muss wichtig sein. Hinten waere auch kein Platz mehr gewesen, drei Maenner stehen schon im Gang, und zwei Kinder sitzen bzw. liegen dort auf Gepaeckstuecken. Immerhin ist es durch die Verzoegerung inzwischen taghell, da macht das mit dem kaputten Scheinwerfer nichts mehr. Und was denkt man, wenn man in einen Bus mit kaputtem Licht am  Tag faehrt? Na dass das selbstverstaendlich der einzige Schaden am Fahrzeug ist, sonst waere es doch nicht im Einsatz , oder?

„Mal schauen, ob wir ankommen“, sagt der neben mir sitzende, alte Bolivianer. Er denkt nicht an die Technik. „Gibt es Probleme wegen der Regenzeit auf dieser Strecke?“, will ich wissen. „Der Regen ist nicht das Problem“, antwortet der Alte mit der Baskenmuetze, „das Problem ist das Wasser“. Er meint: wenn es erstmal unten ist und sich in den schnell steigenden Fluessen sammelt. „Durch drei muessen wir durch!“ „Durch?“, frage ich, „gibt es keine Bruecken?“ „Nein“, sagt der Bolivianer, „zwar hat die Regierung versprochen, dass welche gebaut wuerden, aber …“ Er zuckt mit den Schultern.

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SONY DSCDie Fahrt geht stundenlang durch eine Hochebene, die diesen Namen mehr als verdient, stellenweise reicht sie auf beiden Seiten bis zum Horizont – und dass auf knapp 4.000 Meter Hoehe. Mal wachsen hier zahlreiche Buesche, mal nur ein wenig Gras, mal waechst gar nichts. Dann  schieben sich Sandduenen durchs Gelaende. Mal steht eine Lamaherde am Wegrand, mal sind es drei Esel.

Dann passieren wir den ersten Fluss – per Bruecke. Aber der zaehlt nicht. Dann den ersten ohen Bruecke. Es geht ueber eine Holzrampe runter ins Flussbett, durchs rund zehn Meter breite Wasser hindurch, auf der anderen Seite wieder hoch. Kein Problem. Dann kommt der zweite Fluss: wir fahren eine Kurve um zur offensichtlich seichtesten Stelle zu kommen. Auf beiden Seiten warten LKW, der auf unserer traut sich nicht. Der Busfahrer zieht vorbei, runter zum Ufer, ins Wasser, es spritzt gehoerig, schon sind wir auf der anderen Seite. Geschafft.

SONY DSCSONY DSCEs geht weiter ueber die nahezu schnurgerade Schotterpiste bis zum letzten Fluss ohne Bruecke. Er ist breit, sehr breit. Er schlaengelt sich in zwei bis drei Armen durch die sandige Senke. Mittendrin steckt ein Jeep mindestens einen halben Meter tief im Schlamm. Daneben steht auf der einen Seite der ratlose Fahrer, auf der anderen ein Trecker, der offensichtlich schon versucht hat, den Jepp herauszuziehen. Unser Bus bleibt stehen. Dann drueckt der Fahrer aufs Gas, holt Schwung, rast den Bogen zum Fluss hinunter, ins Wasser rein, mit Volldampf am Jeep vorbei, auf das andere Ufer zu, nur noch wenige Meter – geschafft. Man muss halt ein guter Fahrer sein, dann geht das auch. An der Scheibe, die die Fahrerkabine von den Reisenden trennt steht: gente que sabe lo que hace. Menschen, die wissen, was sie tun. Sag ich doch.

Ploetzlich bricht die Hochebene auf, zerklueftet sich in Graeben, Taeler, Formen. Es geht ein wenig bergab durch eine Landschaft, die wie ein Canyon wirkt, nur dass die Seiten nicht aus Granit oder Fels sind, sondern aus sandigem Lehm, alles scheint im Fluss, weich, anpassusngfaehig immer wieder neu. Man moechte jede Minute ein Foto schiessen, zum Glueck weiss ich ja, dass die aus dem Bus eh nichts werden. Ich knipse trotzdem.

Atocha ist eine in ein Tal gequetschte unscheinbare MInenstadt. Aber die Rally Dakar ging hier durch. Kein Wunder, bei einer Gegend, dies nur ueber Schotterpisten erreicht werden kann. An den Berghaengen oberhalb der Stadt werden die Rallyfahrer immernoch mit den gigantischen, aus weissen Steinen gelegten Berggraffiti begruesst.

Wir muessen hier nach einer 100 Kilometer langen, aber dennoch drei Stunden dauernden Fahrt unseren Bus wechseln. Fuer die zweite Etappe gibt es einen normallangen Bus, der auch die ueblichen Gepaeckraeume unten hat. Dafuer ist er von der Sorte, die Rueckenschmerzen sofort garantiert. Der Sitz ist durchgesessen, die Lehne schief, aber unverstellbar. Macht nicht, man gewoehnt sich an einiges.

Neben mir sitzt eine Bolivianerin mit ihrem Baby auf dem Schoss. Vor uns sitzen drei Kinder auf einem Zweiersitz. Sie gehoeren auch zu der Frau. Als erstes dreht sich der siebenjaehrige Jose um. Fragt, wie ich heisse, woher ich komme, und ist ganz stolz, dass er auf Englisch bis zehn zaehlen kann.  Auf Spanisch sogar schon bis hundert, was er auch gleich komplett demonstriert – fast fehlerfrei, auch wenn ein wenig Hilfe seiner etwas groesseren Schwester Luz noetig war. Immerhin, und das scheint ihm wichtig, ist er besser als seine fuenfjaehrige hermanita Dana, die kam nur bis dreissig.

SONY DSCDann will er wissen, warum ich mir meine Haare gefaerbt habe. Ich stutze etwas, seine ansonsten weitgehend stille Mutter lacht zum ersten Mal. Dann faellt es mir ein: klar, meine Haare sind zwar dunkel, aber eben nicht schwarz, tiefschwarz und dick wie bei allen Bolivianern.

Jose meint, er wissen noch ein anderes Wort auf Englisch, nicht nur die Zahlen. Aber das koenne er nicht sagen, sonst wuerde seine Mutter schimpfen. Die laechelt. Ich beuge mich vor, er will es mir ins Ohr fluestern, aber er bringt es nicht ueber die Lippen.

Seine kleine Schwester taucht auf, will auch wissen woher ich komme. Die grosse auch. Ich bringe ihnen die Zahlen eins bis fuenf auf Deutsch bei. Sie scheitern komplett an der Aussprache. Lieber haelt mir Jose Vortraege: ueber seinen Vater, der auch fotografiert, mit seinem Handy, und der auch Fussball spielen kann. Ueber jede Menge Zeugs, von dem ich kein Wort verstanden habe, auch weil der Knirps beim Sprechen immerwieder mit den Fingern an seinen frisch nachwachsenden Zaehnen rumfummelt. Und ueber Oekobewusstsein. Muell, sagt er duerfe man nicht einfach in den Gegend schmeissen, das sei nicht gut fuer die Umwelt. Das klingt exakt so, wie die Umweltwerbung, mit der man hier stets in den Bankautomaten beglueckt wird. Nur die Fortsetzung, die hat der kleine Jose exlusiv: Wenn man doch Muell in die Landschaft schmeisst, weiss er, dann verbrennt einem die Sonne die Haut und der Wind blaest einen um. Denn die Natur, das ist ja wohl klar, weiss sich zu wehren.

Voerst aber haut sie einen um. Mit Landschaft. Landschaft. Landschaft. Unglaublichen Ausblicken, groesser werdenden Kakteen, die meisten mit Blueten, dann wieder Blicke in tiefe Taeler, auf zerkluefete Felsen. Hier und da ein paar Kuehe am Strassenrand. Und dann zwei Frauen, die einsteigen – und Kaese verkaufen, den aus der Milch der Kuehe.

Serpentinen fuehren hinunter ins ploetzlich satt gruene Tal mit grossen Baeumen, immerwieder ueberwaeltigen Felsskulpturen – und dann sind wir da in Tupiza. Mehr als neun Stunden hat die 200 Kilometer lange Fahrt gedauert, sechs waren angekuendigt. Egal. Ich habe keine einzige Minute bereut.

5 Responses to “Der Bolivianer-Bus und der kleine Jose”

  1. Na, der Stillstand scheint vorbei zu sein und ich hoffe, dass es Dir wieder deutlich besser geht – auch Deinem Rücken, nach dieser langen Bustour.

    Ich wünsche Dir noch einen schönen Abend und später eine gute Nacht.
    Ich lese morgen weiter, wenn José „cien“ erreicht hat 😉 und lege mich auf’s Ohr.

  2. herr grimo sagt:

    Danke, alles bestens! Wie gut es mir genau geht, erfaehrst du aus dem naechsten Beitrag. 🙂 Buenas noches!

  3. […] blauen Himmel ragen. Schon wieder koennte ich jede Minute zehn Fotos machen. Aber – aehnlich wie bei einer Busfahrt ist auch das Fotografieren auf einem Pferderuecken dem Zufall ueberlassen. Also stecke ich die […]

  4. […] – Tupiza: Tolle, sehr eindrucksvolle Fahrt, die allerdings regenzeitanfällig ist, weil drei Flüsse ohne Brücke durchquert werden müssen. Bei […]

  5. […] fuenf sind heute von Uyuni hergekommen, die gleiche Strecke, die ich gestern gefahren bin – wenn auch mit deutlich weniger Abenteuer. Denn ihr Busfahrer wollte anders als meiner tags […]

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