grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Der junge Berber

„Tee?“ Ja, warum eigentlich nicht. Im Eingangshof der Kasbah neben dem leeren Swimmingpool hocken vier junge Typen unter einem Baldachin und quatschen. Sie gehören irgendwie zu der Anlage hier und diskutieren durch die Nacht. Da ist ein Tee tatsächlich mal eine gastfreundliche Einladung. Also ja, merci bien.

Arnouar (der vielleicht so, vielleicht aber auch ganz anders geschrieben wird) ist der Wortführer der vier. Und offensichtlich der mit dem besten Französisch. Dass die Sprache der alten Kolonialherren beherrscht wird, ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, schon gar nicht hier , auf der anderen Seite des Atlas.
Untereinander sprechen die vier Taschelhit, einen der drei Hauptdialekte der Berber, erklärt mir Anouar. Zudem beherrschen sie das marokkanische Arabisch, eine lebendige und sich stets weiterentwickelnde Form des klassischen Arabisch, das wiederum die von Zeitungen oder Behörden benutzte Schriftsprache ist. Marokkanisch mit all seinen Slangbegriffen wird nur gesprochen, genauso wie die verschiedenen Berberdialekte. Zwar gibt es ein eigenes Beberalphabet, aber lesen kann Anouar seine Muttersprache nicht. Denn erst seit kurzem, erzählt er, werden die Berbersprachen auch an den Schulen gelehrt. Für ihn selbst zu spät.

Dafür kann er Englisch, er studiert ja auch Hotellerie und Tourismus, so wie zwei seiner Freund auch. Der vierte studiert Maschienenbau, ist aber der, der uns am nächsten Morgen das Frühstück servieren wird.

Die Wirtschaftslage im Marokko sei mehr als dürftig, erklärt Arnouar. Es gebe eigentlich nur die Landwirtschaft und den Tourismus. Und die Baubranche.
Das ist unübersehbar. Überall im Land werden neue Häuser hingeklotzt. So viele, sagt Arnouar, dass es trotz extrem günstiger Baukredite kaum noch Käufer im Land gebe. Deshalb verkaufe die Branche nun vermehrt an Marokkaner, die in Europa arbeiten – oder gearbeitet haben und nun wegen der Krise dort zurückkehren. Die müssten dann ja hier ein Haus oder wenigstens eine Wohnung kaufen, sagt Arnouar. Zum einen, weil sie ja irgendwo leben müssen, zum anderen um zu zeigen, dass sie in Europa gut verdient hätten, ganz egal, ob das stimme oder nicht.
Es gebe immer noch Marokkaner, die nach drei Monaten in Europa mit einem Ferrari zurückkehren, erzählt er. Aber da sei klar, die hätten dann mit der Mafia zusammengearbeitet. Drogen und so, sagt Arnouar.

Oder wie siehst du das?, fragt er einen seiner Kumpel. Sofort fangen die vier an, wild in ihrer Berbersprache zu diskutieren. Die Hände fliegen durch die Luft, hier springt einer empört auf, dort klopft ein anderer auf den Tisch, Die Augen rollen wie die gurrenden Worte auf den Zungen. Und dann ist mit einem Mal alles wieder ruhig und entspannt. Taschelhit, sagt Arnouar, sei eine wunderbare Sprache zum Streiten. „Ausländer denken immer, wir würden uns an die Gurgel gehen, aber wir diskutieren nur.“ Die anderen drei nicken zustimmend und lachen.

Der zuckersüße Minnte ist längst alle, seine Freunde ziehen nach und nach von dannen. Aber Arnour redet weiter. Marokko, sagt er, sei ein freies Land. Anders als noch unter König Hassan II. könne man heute seine Meinung äußern ohne Angst vor irgendwelchen Spitzeln haben zu müssen. Auch die Presse könne frei berichten – außer über Mohammed VI., der seit 1999 das Land regiert. Kritik am König werde nicht geduldet, sagt Arnouar, aber es gebe auch wenig, denn der sei überaus beliebt, auch wenn nicht sogar vor allem bei den jungen Marokkanern. Der König, sagt Arnouar, eint alle – über alle Grenzen hinweg. Dabei gebe es viele Konflikte im Land. Aber nicht wegen der Religionen, so wie gerade im Irak und Syrien. Zwar gebe es auch hier radikale Islamisten, aber das seien wenige. Die meisten würden es mit dem Islam recht locker nehmen. Statt interreligiösen seien interkultrelle Konflikte das größte Problem. Zwischen Arabern und Berbern und auch zwischen den verschiedenen Berbervölkern. Viele Berber seien rassistisch, der Rassismus unter den Berbern sei das größte Problem, sagt Arnouar, der junge Berber. Aber zum Glück gebe es ja den König, auf den könnten sich alle einigen.
Marokko sei sicherlich keine Demokratie nach europäischen Standard. Aber vielleicht sei das auch besser so, meint Arnouar. Denn ohne den allmächtigen König Würden wohl viele Konflikte aufbrechen.

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