grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Der tanzende Feuerwehrmann

„Chuck.“ „You mean Chuck like Chuck Norris?“ Der Typ nickt. Er liegt auf einem der acht Betten im wunderbar geräumigen Schlaafsaal des brandneuen Hostels Tunich Naj in Valladolid. Ein ganzer Kerl. Glatze über den breiten Schultern und als er aufsteht mindestens 1,90 Meter groß. Ich bin beeindruckt und wahre erstmal Abstand.

Später treffe ich ihn wieder auf der kolonialen Plaza des kleinen Städtchens. Er warnt mich vor. Pünktlich um 5 würden die Vögel kommen, in Schwärmen laut kreischend die Baumkronen erobern und dann alles darunter vollscheißen. Er zeigt auf die weißen Kleckse auf dem Boden vor meiner Parkbank. Und auf meiner Parkbank. Ich lenke ein, wir wechseln die Bank und hocken uns stattdessen neben die im Zentrum des Plazes stehende Brunnenstatue.

Die stellt anders als in en meisten anderen lateinamerikanischen Städten keinen berittenen Kriegs- oder Freiheitshelden dar, sondern eine junge Frau in einem weißen Kleid, das an den Schultern und am Saum mit bunten Blumenmustern verziert ist – so wie das vor allem ältere Frauen hier tragen.

„Die ehren keinen Helden, sondern die normalen Leute von hier“, freut sich Chuck. Und dann noch einen Frau! Vielleicht, wende ich ein, konnten sie sich nur nicht auf einen männlichen Helden einigen, wende ich ein. Denn Valladolid, so erfährt man auf großen Wandbilder in der Casa Cultural gleich neben der Plaza, ist eine gleich vierfach heroische Stadt. Erst heroisch im Kampf gegen aufständische Ureinwohner. Dann heroisch im Kampf gegen die Versklavung der Mayas. Drittens heroisch im Kampf gegen die Diktatur. Und viertens … hab ich vergessen. Wahrscheinlich aber war es der Unabhänigigkeitskampf gegen die Spanier.

Und schon sind wir in einem Gespräch über Heldentum. Und kommen dann auf unsere Jobs zu sprechen. Chuck ist Feuerwehrmann, oder besser gesagt: er war es 35 Jahre lang. Jetzt ist er in Rente, mit 62, ein Alter, dass man ihm keineswegs ansieht. Ob er viele Menschen gerettet hat? Ja, sagt Chuck und nickt. Einmal, erzählt er, habe es einen großen Waldbrand gegeben. Das Feuer stand schon kurz vor der Stadt, als plötzlich ein Sturm aufkam und die Funken in die Wohnviertel bließ. 350 Häuser haetten gebrannt. Für ihn sei das, auch wenn es seltsam klinge, ein toller Tag gewesen. Er wurde  gebraucht, er war zur Stelle.

Ich erzähle ihm vom vorvergangenem Mittwoch, vom Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris. Und wie das das aktuelle Arbeiten für unsere Zeitung verändert hat. Da saßen wir abends nach der Produktion einer Sonderausgabe auch mit ein paar Kollegen zusammen und waren uns einig, dass die gemeinsame Arbeit an der besonderen Ausgabe Spass gemacht hatte. Das Wissen, etwas gutes geschafft zu haben – auch,  ja wohl gerade an eigentlich schlechten Tagen.

Wir verstehen uns.

Chuck reist allein, weil seine Frau die Hitze nicht mag. Und auch nicht das Fremde. Wenn sie zusammen verreisen, dann stets mit dem großen Camper, da hat sie ihr zuhause, ihr gewohntes Umfeld immer mit dabei. Und die Maschine, mit der sie die ganzen Quilts zusammenflickt, die ihre Wohnung schmücken.

Abends gehen wir nochmal auf die Plaza. Eine der vier Straßen ist komplett für Autos gesperrt, unter den Kolonaden spielt eine Altherrenband mit Pauken und Trompeten, Posaunen, Gitarren, Keyboards und jede Menge Percussionsinstrumenten Rumba, Cha Cha und Son. Die Menge tanzt auf der Straße, alt und jung, schwungvolle Profis und ungelenke Amateure.

Irgendwann hält es Chuck nicht mehr. Er fordert eine auf einem weißen Plastikstuhl am Straßenrand sitzende Mexikanerin auf. Und schon beim nächsten Lied tanzt er auch noch mit ihren drei Freundinnen, mit allen zugleich. Von den Regeln des lateinamerikanischen Tanzens hat er offensichtlich keine Ahnung. Spanisch kann er auch nicht. Aber der Feuerwehrmann und seine Mittänzerinnen unterhalten sich gut.

„Ich war“, erzählt Chuck später auf dem Rueckweg zum Hostal, „an 9/11 in New York. Nicht als Feuerwehrmann, nur zu Besuch. Aber das hat mein Leben verändert. Seither nehme ich nicht mehr alles so ernst. Die Arbeit schon, ich bin ja ein Profi. Aber nach Feierabend, das weiß ich heute, da muss man Freude haben, da mache ich, was mir in den Kopf kommt. Denn dafür leben wir doch!“

Was für ein Kerl!

Praktische Infos: hier.

 

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