grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Essaouira, mon amour

Du hast mich gerufen mit dem Zauber deines Namens, der mir auf der Zunge hüpft. Jetzt bin ich da, jetzt bin ich hier, eine Stunde, ach was, fünf Minuten bloß, und du hast mich berührt, hast mich gefangen. Essaouira, mon amour.

Du verführst mich, lockst mich hinter die dicken Mauern in das Labyrinth deiner Gassen, in denen Licht und Schatten, nein mehr noch, schwarze Dunkelheit in tunneligen Gängen und ein das Auge peitschender Sonnenstrahl in hartem Kontrast wunderbar sich ergänzen. Was für eine brutale Harmonie, Essaouira, mon amour.

Du lässt mich tanzen, mit all der Musik, mit den Rhythmen, die in meine Ohren und Beine fahren, lautstark aus dem Plattenladen am Eck oder leise wie ein Hammerschlag, wenn der in der kleinen, dunklen Werkstatt hockende Meister dem gerade fabrizierten Instrument, das mit dem langen, bauchigen Körper und den drei Saiten aus einfacher Kordel, mit sanftem Zupfen die allerersten Töne entlockt, basstief, wohlig, samtweich tragend, den Klang der Trommeln dazu imaginierend, ein Wiegen der Körper, du und ich, Essaouira, mon amour.

Du umschmeichelst mich mit einer Brise vom Meer, so wie die Fischer am Hafen, die ihren frischen Fang, die Sardinen und Doraden, den Hai und den Schwertfisch, ausgebreitet auf Tischen, am Boden in Plastikwannen mit den Händen sanft streicheln, als wäre es der nackte Arm, die weiche Haut der Geliebten, die dort aufgebahrt liegt, dabei ist es doch nur vergangenes Leben, dessen Tod ihnen das tägliche Brot bringt. So, genau so, hast du mich empfangen, Essaouira, mon amour.

Noch weiß ich nichts von deinen Narben, deinen Fratzen, deiner Hässlichkeit. Noch seh ich sie nicht, will sie nicht sehen, die lange Schlange der anderen Verehrer, die sich um dich drängen, sich an dir reiben, die dich verzehren, so wie du sie, noch bist du einzig für mich, Essaouira, mon amour.

Denn ich bin betört von der Präsenz deiner Farben, verwittertes Weiß und blätterndes Blau. Denn ich bin berauscht von der Opulenz deiner Düfte, des Geschmacks, deiner Würze. Das Salz des Atlantiks, die Süße der Kuchen, der Saft einer Kaktusfrucht. Die gibt es auch andernorts, mag sein, aber wie könnten sie besser sein, als bei dir, Essaouira, mon amour.

Du stehst mit dem Rücken zum wild wogenden Meer.

Du versprichst all die Geschichten von Sultanen und Piraten, von Königen und Kaisern, die du alle schon gehabt hast. Und jetzt mich.

Du bist, wer wollte dem widersprechen, das Ziel meiner Reise.

Morgen, ja vielleicht morgen schon werd ich dich hassen, verfluchen, verdammen, weil du falsch spielst, mich übertölpelst und betrügst, weil du vielleicht doch nur eine alte Schachtel bist, die all ihre Not und Armut, ihren Dreck und ihren Schmerz mit billigem Charme verschleiert. Weil du mir bettelnd an jeder Ecke deine faltigen Hände, deinen stumpfen Arm, dein zahnloses Lächeln aufdrängst. Morgen, ja vielleicht morgen schon wirst du mich nerven mit deiner Geschwätzigkeit, die ach so freundlich tut und dann noch nichts anderes will als mein Geld. Morgen, ja vielleicht morgen schon werde ich dich verlassen.

Aber heute werde ich bleiben, ohne Zweifel und für immer, Essaouira, mon amour.

One response to “Essaouira, mon amour”

  1. […] bin ich in Essaouira und auch hier ist die Musik allgegenwärtig. So richtig immer im Juni, wenn zum jährlichen […]

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