grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Feiertag und Friedhof

Es ist Mittwoch, ich bin immernoch in Sucre, und ich beginne Dinge wiederzuerkennen.  Zum Beispiel, dass es heute so ruhig ist, wie am Sonntag. Kaum Verkehr in den engen Strassen. Und auch die meisten Geschaefte sind geschlossen. „Heute ist ein Feiertag“, erklaert der freundliche Salteñas-Verkaeufer, der trotzdem mit Schlips und Anzug in seiner kleinen Bude in der Markthalle sitzt und seine Leckereien anbietet. Ich nehme diesmal Salteña mit Huhn, auch wieder leicht suess-sauer, sehr lecker. Was denn gefeiert werde, frage ich. Der Mann weiss es nicht genau. Es sei ein neuer Feiertag und die Medien haette nicht so gut erklaert, worum es eigentlich ginge, meint er.

„Gefeiert wird der Jahrestag des Uebergangs Bolviens von der Republik zum plurinationalen Staat“, erklaert der ebenso freundliche junge Mann in der von Studenten betriebenen Tourismusinformation. „Oder der Jahrestag, an dem Evo Morales Praesident wurde“. Genauer weiss er das auch nicht. Sicher ist: Morales kam heute vor acht Jahren ins Amt. Und er hat spaeter die neue Verfassung veranlasst. Und: er will im Herbst ein drittes Mal gewaehlt werden. Ob es grosse Feiern in Sucre gibt, will ich wissen. Nein, sagt der Student mit einem Lachen, wir hier in Sucre sind konservativ, nur die Geschaefte sind zu.

Der Jahrestag von Evos Praesidentschaft ist auch das grosse Thema in den Zeitungen. Morales habe das Land veraendert, jubeln seine Anhaenger.  Ein Lokalpolitiker seiner Partei MAS (movimento al socialismo) nennt drei Beispiele: der Satellit, den Bolivien kuerzlich mit Chinas Hilfe ins All geschossen hat. Die Ralley Dakar, die gerade durchs Land gerast ist. Und die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der G77. Dieser Staatenbund, dem nahezu alle Staaten von Lateinamerika, Afrika und Asien angehoeren, feiert im Juni in Santa Cruz. Morales, sagen viele, habe Bolivien die Wuerde wiedergeben, es zurueck auf die Weltkarte gebracht. Auch seine Gegner sagen, dass Morales das Land veraendert habe – in eine Autokratie, die die Rechte der Opposition beschnitten habe und in der Evo Morales alles verfuegen koenne, zum Beispiel, dass er ein drittes Mal zur Wahl antreten darf, obwohl die Verfassung eigentlich nur zwei Amtperioden vorsah.

Der Friedhof oben auf dem Huegel

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Eigentlich wollte ich heute endlich mal ein Museum oder eine der sehenswerten Klosterkirchen besuchen. Aber die haben, anders als die Touristeninfo, wegen des Feiertags geschlossen. Geoeffnet hat aber der Friedhof, ein paar Blocks von der zentralen Plaza entfernt auf einemHuegel gelegen. Und der lohnt tatsaechlich den Besuch. Kurz schiesst mir durch den Kopf: wenn man schon irgendwann sterben muss, dann moechte man hier begraben sein.

Hinter einem grossen, weissen Torbogen liegen die Graeber unter eng stehenden, Schatten spendenden Baeumen. Einige Buesche sind zu Formen geschnitten, die an Buchstaben erinnern. Die meisten Graeber sind, wie in Bolivien ueblich, in regalartigen Trakten untergebracht. Vorn hat jedes Grab eine Glasscheibe, hinter der frische Blumen, Bilder der Verstorbenen, manchmal auch Heiligenbildchen und – bei Kindergraebern – auch Spielzeug zu sehen ist.

Im vorderen Teil des Freidhofs gibt es einigen aufwendig gestaltete Mausoleen von reichen Familien. Auf Parkbaenken am Rand des zentralen Weges, bieten ein aelterer Man sowie eine Frau Gebetdienste an. Neben der Frau sitzten gerade zwei Quechua-Frauen, die recht unbeteiligt dem eintoenigen, aber inbruenstigen Singsang der Betenden lauschen. Nur ab und zu laesst die eine der beiden ein paar Namen fallen und spezielle Wuensche fuer die Verstorbenen, die die Betende dann in ihre Texte einbaut. Am Ende bekreuzigt sie sich mit einem Rosenkranz.

SONY DSCEs gibt auch einen kleinen, abgesperrten Teil mit juedischen Graebern. Auf den Grabsteinen stehen ausschliesslich deutsche Namen. Bei einem steht als Ortsangabe dabei: „Frueher Berlin“. Ein Gedenkstein erinnert an diejenigen, die es nicht herausgeschafft haben, aus Nazi-Deutschland.

 

SONY DSCIm hinteren, neuen Teil des Friedhofs wird gerade ein Denkmal mit einem ueberdimensionalen Gitarre fuer Huascar Aparicio Gonzales errichtet. Der offensichtlich sehr verehrte Folkloresaenger aus Surce war im Juni 2013 mit nur 41 Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Neben der Gitarre stehen auf drei goldenen Tafeln Texte seiner Lieder, eins ist eine Hymne an den Freiheitskampf, ein anderes eine an seine Heimatstadt Sucre.

Von einem der hinteren Grabfeldern kommt eine junge Frau herbei und setzt sich auf eine der Baenke. Sie weint bitterlich – und erinnert mich daran, dass dieser Friedhof, bei aller Schoenheit, doch vor allem ein Ort des Abschieds und der Trauer ist.

 

One response to “Feiertag und Friedhof”

  1. […] Der habe, sagt Jose, in seiner achtjaehrigen Amtszeit ganz bestimmt das Land veraendert. Anders als Evos Parteifreunde nennt Jose aber nicht den bolivianischen Satelliten oder die Ralley Dakar, sondern handfestere […]

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