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Kraftwerk live in Düsseldorf

Die Zukunft der Vergangenheit

Das Kraftwerk-Mitternachtskonzert am 18.1. im K20, Düsseldorf

kraftwerk.com

„Boing“. Das Wort knallt mitten in den Raum. „Bumm“. In Comicästhetik, zum Greifen nah vor den Augen. „Tschak“. Rhythmussynchron in die Halle projeziert. Das  beeindruckende Mitternachtskonzert von Kraftwerk im Düsseldorfer K20 läuft gerade mal ein paar Sekunden, da ist nahezu vollständig klar, worum es in dieser Freitagnacht gehen wird. Den rund 700 Besuchern in der großen langgestreckten Halle des Museums für moderne Kunst wird eine perfekte Show geboten, in der er selbst im Mittelpunkt steht. Mittendrin. Im Sound. „Zoing“. Und im Bild. Man ist gefangen. „Peng“. Und fühlt sich aufgehoben. Wunderbar. Und tanzt.

„Katalog“ hat die Urband des Elektropop ihre Konzertreihe genannt, mit der sie letztes Jahr schon im Museum of Modern Art in New York und bald noch mal in London eine Werkschau im musealen Kontext auf die Bühne bringen. Jetzt ist gerade ihre Heimatstadt Düsseldorf an der Reihe. An acht Abenden soll – so wurde es angekündigt – jeweils eine der acht wichtigen Platten des Quartetts aufgeführt werden. An diesem Freitag stand – wie an jedem Abend um 20 Uhr und jetzt wegen der großen Nachfrage bei einem zusätzlichen Mitternachtskonzert – die Platte „Techno Pop“ auf dem Programm, die 1986 unter dem Originaltitel „Elektric Café“ erschienen war. Und daraus stammt dann auch „Music Non Stop“ mit dem  „Boing Bumm Tschak Zoing Peng“, mit dem das Konzert eröffnet wird.

Und es begeistert gleich von Anfang an. Es nimmt ein. Zum einen natürlich durch die Musik, die von den vier Herren, die da vorne auf der Bühne hinter vier identischen, mit Lichtbändern zur reinen Form stilisierten Pulten stehen, gespielt wird. Denn hier wurde auf höchste Klangqualität geachtet. Nicht nur auf über und neben der Bühne hängen die Boxen, auch auf beiden Seiten und an der Rückwand der langen Halle hängt alle paar Meter ein Lautsprecher. So ist die Musik, so sind die einzelnen Klänge nicht nur glasklar, exakt und intensiv wie bei kaum einem anderen Konzert, sie wandern auch durch den Raum. Sie sind vorne. Rechts. Hinten. Links. Manchmal hat man den Eindruck, die Musik hängt greifbar direkt vor Augen.

Das wird optisch noch treffend untermalt. Denn gleich beim ersten Stück platzen nicht nur die „Boing. Boom. Tschak“-Comicblasen mitten im Raum auf. Auch Noten, Notenschlüssel und –linien wandern wild durcheinander wirbelnd durch den Saal – Dank beeindruckender Projektionen in 3D, für die das Publikum am Eingang mit den entsprechenden Brillen ausgestattet wurde. Das sorgt, ganz nebenbei für einen zusätzlichen optischen Effekt, den man allerdings nur wahrnimmt, wenn man sich während des Konzerts mal umblickt. Dann sieht man die gleichförmig mit weißen Pappgestellen bebrillte Masse, die freundlich zu den Rhythmen wippt. Ein Bild, das man aus den Anfängen des 3D-Kinos kennt und selbst zur Ikone einer einstigen medialen Avantgarde wurde. 

Auch dies passt wunderbar. Denn das ganze Konzert ist ein Spiel mit der Vergangenheit der

Zukunft. Das beginnt schon mit den Texten, die der typischen Kraftwerk-Lyrik entsprechend, meist nur Schlagwörter aneinanderreihen, aus denen sich der Zuhörer das eigene Bild baut. Nur was in den 70ern und 80ern als Zeichen für Fortschritt gestanden haben mag, wirkt heute häufig angenehm verstaubt. Oder wann hat man zuletzt Wörter wie „Telespiel“ und „Bildschirmtext“ gehört – als Sinne von Progress? Kraftwerk aber lässt sie nicht nur unverändert stehen. Die Band baut die offensichtliche Verstaubtheit der einstigen Zukunftsästhetik auf der Bildebene sogar noch aus. Mal wird erscheint die alte Wählscheibe eines Telefons, die dann durch ein modernen Tastentelefon ersetzt wird – natürlich mit in den 80ern noch neuen Klängen des Tonwahlverfahrens. Tü-dü-düüt!

20130119_003048.jpg Oder es erscheint – in den Animationen zu „Autobahn“ – ein VW Käfer, der von einem auf  Hochglanz polierten Daimler mir Heckflossen überholt wird. Beides Modelle, die in den frühen 70ern noch state of the art gewesen sein mögen. Heute allerdings eher zur Kategorie Designklassiker gehören. Und genau hier reiht sich Kraftwerk mit seiner Konzertreihe ein.

Die aber ist, anders als angekündigt, keine strenge Wiedergabe  des Plattenkalatlog. Die Erwähnung des Songs „Autobahn“ von der gleichnamigen 1974 erschienen Platte hat es schon angedeutet. Kraftwerk spielen an diesem Abend keinesfalls nur die gerade mal sechs Stücke von „Techno Pop / Electric Café“. Sie bieten zudem und sehr zur Begeisterung des Publikums einen kompletten Minikatalog ihrer Hits. Von „Autobahn“, über „Trans Europa Express“ und „Wir sind die Roboter“ bis zur „Computerwelt“ ist alles dabei.   

Dass Kraftwerk dennoch nicht in der Vergangenheit stehen geblieben ist, zeigt sich mit einer einzigen, bandtypisch plakativen Wortumstellung – bei „Radio-Aktivität“. Während die gelben Strahlen des Radioaktivitätszeichens dem Zuschauer in den Augen brennen, listet die Band die Orte der Katastrophen auf. Doch anders als im Orginal folgt auf och „Harrisburg, Tschernobyl, Sellafield“ diesmal nicht „Hiroshima“, sondern „Fukushima“.  Und spätestens jetzt dürfte selbst den Zuhörern, die sich bisher wenig mit Kraftwerk beschäftigt haben, klar sein, dass die Band trotz aller kühlen Zukunftsästhetik keineswegs Propagandisten eines unkritischen Technikglauben sind.

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Eigentlich kann man an diesem großartigen Konzertabend nur zwei Kleinigkeiten aussetzen. Zum einen nimmt die 3D-Optik so sehr gefangen, dass man vergisst, einfach mal die Augen zu schließen – um so besser den unzähligen Details der Musik zu lauschen. Und zum anderen bleibt – der menschliche Makel. Der wird hörbar, wenn der Sänger tatsächlich mal versucht zu singen. So lange er nur seine Schlagworte aneinander reiht, ist alles prima, zumal die Stimme in der Regel noch durch diverse Verzerrer gejagt wird, so dass man schon sehr genau hingucken muss, um festzustellen, dass da auf der Bühne jemand seinen Mund bewegt. Und die Stimme nicht gleich aus der Konserve kommt. Doch bei längeren, gesungenen Textpassagen tritt der Mensch zutage. Er erhebt sich über die Glätte der elektronischen Ästhetik – und bringt die Fassade fast zum Einsturz. Denn plötzlich ist da eine Stimme zu hören, die wackelt, die kippt, die bei hohen Tönen dünn und unsicher wirkt, die vor allem im Kontrast zur elektrischen Perfektion wie ein störendes Element aus längts untergegangenen Zeiten wirkt.

Am offensichtlichsten wird das ausgerechnet bei Kraftwerks wohl populärstem Hit „Das Model“. Denn hier kommt hinzu, dass die Texte der Band doch sehr schnell in eine altbacken, staubige Sprache abgleiten, sobald versucht wird, die üblichen Schlagworte in ganze Sätze zu kleiden. Für sich genommen mag ein Stück wie „Das Model“ durchaus funktionieren. Eingebettet in die perfekt robotisierte Show einer Kraftwerk-Werkschau aber fällt es nach unten raus.

Und so ist man dann am Ende auch froh, dass man bis zum Ende keine Chance hat herauszufinden, was die vier Herren da auf der Bühne eigentlich hinter ihren Pulten treiben. Mal sieht man einen scheinbar an einem Knopf drehen, mal tun andere offensichtlich nichts. Mal stellt sich die Frage, ob da auf den Pulten eigentlich Laptops stehen oder doch noch Keyboards. Mal fragt man sich, ob die vier überhaupt notwendig sind. Aber dann wird klar. Ganz egal, ob oder wie die Bandmitglieder tatsächlich liev an der Produktion der Musik beteiligt ist, die Bewegungen der vier bleiben vor allem ein Art das visuelle Gesamtkonzept ergänzender Tanz. Und genau darum geht es ja. 

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Bleibt noch ein abschließendes Lob. Hinter dem Mischpult war im hinteren Drittel der Halle eine kleine mehrstufige Zuschauerempore aufgebaut. Auf der ersten dieser Stufe waren, erreichbar über eine flache Rampe vier Plätze für Rollifahrer reserviert, so dass diese beste Sicht hatte. Auch für so was kann man

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