grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Lima – Es spricht Cesar

Manchmal muss man von aussen kommen, mit dem Bus in die Stadt hineinfahren, um etwas zu begreifen, was man laengst gewusst hat. Wer auch immer den Reim vom prima Klima in Lima verfasst haben mag, er kann entweder nie hier gewesen sein – oder er war besoffen, blind und vor allem ohne funktionierende Nase. Dabei mag man das Klima an sich noch als halbwegs akzeptabel durchgehen lassen. Immerhin ist es hier regelmaessig locker um die 30 Grad, was man vor allem nach den kuehlen Naechten in den Bergen geniessen kann. Und zudem regnet es bekanntlich nie. Doch gerade ein richtig heftiger Schauer taete der hiesigen Dreckluft mehr als gut. Denn Limas Luft ist ungefaehr doppelt so belastet, wie die des Ruhrgebiets in den 60er Jahren. Zumindest stelle ich mir das so vor. Wer mit dem Bus von Sueden die Autopista hochkommt, sieht vor allem eins: truebe, graue Luft. Am liebsten wuerde man umgehend jegliches Atmen einstellen. Oder einen Filter in Mund und Nase einbauen. Aber egal. Einen letzten Tag lang darf ich das gerne noch aushalten.

Den letzten Abend auf der Plaza Kennedy hier im Stadtteil Miraflores jedenfalls hab ich sehr genossen. Denn erst kam Enrique. Und dann kam Jose. Und schliesslich Cesar. Und dann auch noch Manuel und die zwei Italiener und die zwei Musiker mit Gitarre und Bongo auf den Fahrraedern. Aber Cesar ist unuebertroffen.

Eigentlich wollte ich nur noch mein letztes und zugleich erstes Eis auf dieser Reise (Cafe und Banane, lecker) geniessen, um dann mein durch den 28-Stunden-Bus-Trip von La Paz hierher arg gebeuteltes Haupt ins kuschelige Bett zu legen. Doch dann setzte sich Enrique zu mir. Ein freundlicher Limeno, mit dicken Rastazoepfen und einer senegalesischen Trommel, die zugleich sein Handwerkszeug ist, um ein paar Soles einzunehmen. Kaum waren wir ein wenig ins Gespraech gekommen, ueber saubere und dreckige Hippies, zuviele und zu wenig Drogen und wie gefaehrlich bzw. ungefaehrlich denn Lima nun tatsaechlich ist, da mischte sich auch schon der Typ neben ihm auf der Sitzbank ein. Supergefaehrlich sei die Stadt, deshalb verbringe er auch seine Ferien hier in einem Apartmenthaus mit Wachschutz unten an den Tuer, den er gebeten habe niemanden hinein zu lassen. Und gefaehrliche Stadtteile – das sind seiner Meinung nach ausser Miraflores so ungefaehr alle hier in Lima – meide er grundsaetzlich, denn dort wuerde er ja sofort ueberfallen, klagt der Mann mit dem seltsamen spanischen Akzent, den Charakter betonenden Falten im Gesicht und den Turista kennzeichnenden kurzen Hosen.

Die Shorts, erklaert Enrique mit einem freundlichen Lachen, muesse er gegen etwas laengere Pantalones austauschen. Und wenn er dann noch die lustigen bunten Artesania-Armbaender ablegen wuerde, anhand derer ihn derzeit jeder potenzielle Raeuber sofort als Tourist identifizieren koenne, dann, so meint Enrique, wuerde er glatt als Einheimischer durchgehen und von allen Belaestigungen verschont bleiben. Jose, der seinen seltsamen Akzent aus Santander im Norden Spaniens mitgebracht hat, bleibt trotzdem skeptisch. Er klagt ueber die fehlenden Klasse der meisten Menschen. Selbst wenn sie Geld haetten, wie etwa die Besitzer der Modekette Zara, die mittlerweile von armen einfachen Schneidern zur reichsten Familie Spaniens aufgestiegen seien, fehlen ihnen die notwendige Nobelesse und der Stil, sagt der Mann mit den Socken in den Sandalen.

Und dann kommt Cesar. „Habla aleman“, sagt Jose, der oefters die Abende auf der Plaza Kennedy zu verbringen scheint und Cesar schon gut kennt. Denn auch Cesar ist offensichtlich oefters hier. Schon um seine Sprachkenntnisse zu nutzen, erzaehlt der freundliche Mann mit einem leicht nach Hasenscharte klingenden Sprachfehler, der aber eher daher kommen koennte, dass er kaum noch Schneidezaehne hat. Mit 12 Jahren habe er begonnen Portugisisch zu lernen. Dann Italienisch und schliesslich Franzoesisch. Nachdem er alle mit dem Spanischen sehr verwandten Sprachen durch hatte, habe er als fuenftes Deutsch gelernt. Was ihm wiederum sehr geholfen habe, Niederlaendisch, Englisch und Schwedisch zu lernen. Das entwickle sich wie ein Baum. Mittlerweile spreche er zwoelf Sprachen nahezu fliessend. Sein Russisch habe er zum Beispiel am Abend zuvor genutzt, um ein paar Russen die Speisekarte eines Restaurants zu uebersetzen, woraufhin die ihn gleich zum Essen einluden. Insgesamt habe er aber Grundkenntnisse in 20 bis 30 Sprachen, meint Cesar und redet zum Beweis ein paar Saetze in Mandarin, Hindu und Arabisch. Das versteht hier zwar keiner, aber es klingt ueberzeugend.

Denn Cesar kennt nicht nur die Sprachen. Er weiss auch viel ueber ihre Herkunftslaender, etwa dass Schleswig-Holstein im Norden Deutschlands ist oder dass es eine Partei namens PDS gibt – auch wenn er hierbei nach den diversen Namenswechseln der Sozialisten nicht mehr ganz auf dem Laufenden ist. Zudem ueberzeugt er mit den schwierigsten grammatischen Konstruktionen im Deutschen und kennt im Umgang mit Touristen eher selten genutzte Worte wie „Beschneidung“. Kurz gesagt: Cesar ist ein echtes Sprachwunder. Dabei hat der 39-Jaehrige Peru nach eigenen Angaben nie verlassen – und alle Sprachen ohne Lehrer nur aus Buechern gelernt. Logischerweise schlaegt er sich als freier Dolmetscher durch. Wer mal einen Uebersetzer benoetigt in Lima, sollte sich einfach auf diese kreisfoermige Bank auf der Plaza Kennedy setzen. Mit ein wenig Glueck wird Cesar schon auftauchen.

Oder es kommt sein Freund Manuel. Der traegt ein weisses Hemd, Krawatte und Anzugshosen und arbeitet als Bibliotheloge. Das duerfe man nicht mit einem Bibliothekar verwechseln, der nur die Buecher ordne und ausleihe. Ein Bibliotheloge hingegen arbeite mehr wissenschaftlich als themenuebergreifender Dokumentarist.

Cesar moechte mich dann noch unbedingt in eine Sauna mitnehmen, aber das geht mir doch etwas zu weit. Zumal er mir erzaehlt, dass es dort wunderbare Massagen gibt. Ich klaere ihn darueber auf, dass Saunas in Deutschland auch von Frauen und Maennern zusammen besucht werden, was er wiederum kaum begreifen kann. Vor allem nicht, dass dort tatsaechlich dann alle nackt rumlaufen.

Bevor wir uns weiter in die Details vertiefen, gehen wir noch in eine der unzaehligen Bars was trinken, etwa um dort Manuel darueber aufzuklaeren, dass sein Held Karl-Heinz Rummenigge, den er seit der Fussballweltmeisterschaft 1982 verehrt, doch eher ein Unsympath ist. Und irgendwann ist es dann auch schon zwei Uhr morgens. Ich muss Cesar und Manuel versprechen, dass ich mich melde, wenn ich wieder nach Peru komme. Sie wollen mir dann unbedingt die Stadt von einer anderen Seite zeigen – und sind sichtlich enttaeuscht, als ich ihnen nicht zusagen kann, dass ich gleich naechstes Jahr wieder hier bin.

Aber wiederkommen, das ist grundsaetzlich keine schlechte Idee.

berlin-strassenschild-550.jpg

Wegweisender Strassenname am Parque de Kennedy in Miraflores.


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