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Medellin: der Lärm, die Kunst und der Saft

Nein, ich werde nicht mehr warm mit Medellin. Da können andere noch so oft schreiben, dass die zweitgrößte Stadt Kolumbiens die Stadt des permanenten Frühlings sei. Vom Klima her mag das ja stimmen. Aber was nutzt ein angenehmes Klima, wenn man umgeben ist von ununterbrochenem Lärm. Und von Abgasen.

Das Zentrum von Medellin ist für mich nur ein permanenter Stressfaktor. Überall brummt der Verkehr, dazwischen Tausende, die alles möglich an allen möglichen Ecken verkaufen. Obst in allen Formen und Farben liegt auf Tischen oder Tüchern auf den schmalen Bürgersteigen. Busse, LKW, Taxis, Motorräder brummen vorbei. Die Händler versuchen gegen den Lärm ihre Waren anzupreisen. Und weil die natürliche Stimme dazu kaum reicht, setzen sie auf Mikro und Verstärker, auch wenn sie nur Tomaten von einem Handwagen verkaufen. Oder dieses Erfrischungsgetränk in grünlichen Flaschen, von dem ich dank der ununterbrochenen Ausrufe nur zwei Dinge weiß: dass es garantiert gut gekühlt ist und dass die Flasche nur 500 Pesos kostet.

All das wäre erträglich, wenn es irgendwo auch ruhige Ecke gebe, zum Durchatmen, zum Verschnaufen. Aber ih zumindest habe sie in der Innenstadt der Drei-Millionen-Metropole nicht gefunden.

Nach der Frauentagsdemo war ich noch mit Uriel und einer Freundin unterwegs. Er hat mich auf die Calle Junin geführt, eine Fußgängerzone, über die man hier so gern flaniert, dass es sogar ein eigenes Verb dafür gibt: juninear! Da sind wir dann im Versalles, einem argentinischen Cafe gelandet, in dem man sich seit 50 Jahren trifft. Es wäre mir beim Vorbeischlendern allerdings nicht als besonders aufgefallen.

Und das scheint hier vielleicht mein größtes Problem. Ich messe die Stadt mit meinem europäischen Blick – und bin somit automatisch blind für die kleinen Schönheiten.

Immerhin gibt es hier – anders als in Bogota – eine Metro, die vor allem aus der Nord-Süd-Linie besteht, die auf gigantischen Betonstelzen durch die Stadt fährt. Schön ist das auch nicht, aber unglaublich fortschrittlich.

Mit der Metro erreiche ich das MAMM, das Museo de Arte Moderno de Medellin, das in einer alten Industriehalle und einem modernen Anbau untergebracht ist. Aktuell ist dort eine Retrospektive des kolumbianischen Konzeptkünstlers Antonin Caro zu sehen, die den tollen, weil dank des Namens des Künstlers doppeldeutigen Titel „EN MEDELLIN, TODO ES MUY CARO“ (in Medellin ist alles teuer) trägt. Caro setzt sich in seinen Arbeiten vor allem mit der Diskriminierung der Indigenas, dem Produktwahn, der Abhängigkeit Kolumbiens von internationalen Konzernen auseinander.

Auch hübsch: von der Dachterasse des Museums schaut man in einen direkt daneben liegenden Wohnsilo, der hier offensichtlich nicht für ärmer Schichten, sondern eher für die wohlhabende Mittelschicht gebaut wurde, und erhält so einen kleine Einblick wie die Menschen dort wohnen.

Danach: erstmal Regen , richtiger Regen. Und Zeit für einen Kaffee in einem Café gleich nebenan in einem der Neubauten, das ganz nebenbei offensichtlich das Fahrradfahren gutheißt. Eine Radlerin schmückt das Logo, Räder hängen unter der Decke und auf dem Tisch steht ein Serviettenhalter in Form eines Dreirads.

Auch sehr sehenswert ist das Museo de Antioquia an der Plaza Botero, für das mir nach einem überflüssigen Abstecher in das Viertel El Poblado (was offenbar allenfalls interessant ist, wenn man abends ausgehen will) leider nur anderthalb Stunden bleiben.

Drinne gibt es mal wieder zahlreiche Bilder des hier omnipräsenten Fernando Botero zu sehen, die ich mitär aber gespart habe, weil ich das ja schon in Bogota gewürdigt habe.

Interessanter war die Ausstellung „Historias locales / Practicas globales“, die sich mit dem Umbau Medellins im Allgemeinen und dem Friedensprozess im Speziellen auseinandersetzen, etwa in der Unterabteilung „Gewalt, Krieg, Erinnerung“, in der auch Arbeiten aus Sarajewo, Albanien, der Türkei oder Afrika zu sehen sind. Und viele, viele spannend wirkende Videoarbeiten, für die mir leider vollends die Zeit fehlte.

Draußen, direkt neben und hinter dem zentralen Museum der Stadt, dort wo wieder all der alltägliche Lärm beginnt, stehen unaufdringlich, aber auffällig viele leicht bekleidete Frauen rum. In einer kaum fünf Meter breiten Seitenstraße, reihen sich auf der rechten Seite lauter Läden mit Technik- und Elektronikbedarf aneinander, in der Mitte bieten Händler an ihren Ständen Obst und Gemüse und auf der linken Seite sind lauter Bars, an deren Tresen wieder diese unaufdringlich, auffälligen Frauen sitzen. Eine seltsame Mischung.

So wie die ganze Stadt – oder zumindest das, was ich in den drei Tagen hier kennenlernen konnte.

Zurück auf dem Weg zum Bus, der mich dann wieder in einer einstündigen Fahrt die Serpentinen ins 1.200 Meter höher gelegene Santa Elena bringen wird, noch zwei Begegnungen. Zum einen findet sich unter den zahlreichen Büsten, die Gouverneure, Professoren, Bürgermeister und Humanisten an der Avenida de la Playa ehren, auch eine, die einen Mann zeigt, dessen Beruf bzw. lobenswerte Hauptbeschäftigung hier mit „Diktatator“ angegeben wird. Er war im 19. Jahrhundert aktiv.

Und dann ist da noch dieser Saftladen. Frisch gepresste Obstsäfte bekommt man in Kolumbien ja zum Glück fast überall. Dieser eine hier aber bietet wirklich Mixgetränke an – für die mindestens vier verschiedene Sachen zusammengerührt werden. Da die Kombinationen alle wunderbar seltsam klangen, hab ih einfach die oberste bestellt. Neben Bananos wurde da auch Spinat reingerührtr und zwei Sachen, die ich nicht kannte, eine davon war rot.

Großartig und lecker. So großartig, dass ich allein dafür gerne morgen nochmal runter in diese lärmende Stadt fahren würde. Aber morgen will und muss ich ja leider schon weiter.

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