Nebenan zupft irgendwo irgendwer an der Gitarre. Einmal erhöht er das Tempo des Anschlags, so dass es russisch klingt. Die Vermieterin unseres Zimmers spricht Hebräisch – und Russisch. Wir verständigen uns problemlos per Google-Translater. Ihr Smartphone verrät uns, wir könnten erstmal Ferien machen, bis das Zimmer fertig ist. Na dann. Erstmal zum Strand. Dawei, dawei.
Später laden die Zimmernachbarn, zwei Paare die – na klar – russisch reden, uns ein, ein paar Fleischspieße von ihrem frisch gegrillten Berg zu essen. Sie sind unsere Rettung. Denn sonst gibt es hier nichts, hier in Neve Zohar einer Siedlung am südlichen Becken des Toten Meeres.
Eigentlich gibt es hier weit und breit nichts. Außer zwei Hotelburgen eine Kilometer weiter nördlich, an deren Strand wir ins Wasser gehen. Und – wichtiger noch – unter deren Stranduschen wir das Salz wieder von unserer Haut spülen dürfen.
Es ist Januar, absolute Nebensaison, die Luft hat „nur“ 23 Grad. Katha war im Sommer hier, da war es über 45 Grad heiß. Jetzt aber ist das Wasser tatsächlich so kühl, dass man einen Moment braucht um einzutauchen.
Und gleich danach wieder auf. Schon in die ins Wasser gehaltenen Hände drängen wieder an die Oberfläche. Der ganze Körper liegt später vollkommen entspannt im Wasser. Hält sich ohne eine Bewegung. Als ich auf dem Rücken liegend völlig loslasse und auch meinen Kopf etwas einsinken lassen, steigt das Wasser genau so hoch, dass es gerade meine Ohren verschließt.
Dann vollkommene Stille. Schwerelosigkeit. Bis irgendwann ganz ganz leichte, sanfte maximal einen halben Zentimeter hohe Wellen an meine Wangen stranden und mich stören. Denn dahinten in rund 20 Metern Entfernung ist noch eine weitere Person zu mir in die Bucht gestiegen. Behutsam. Und doch – mein perfekter Moment des Losgelöstseins ist leider dahin.
Später, ein Stück weiter Richtung En Bokek, vorbei an den von hohen Holzballustraden eingezäunten Bereichen, in denen Männer und Frauen geschlechtergetrennt baden können, aus dem uns ein Mann, bekleidet nur mit Badehose und Kippa entgegen kommt, da finden wir doch noch ein Strandcafé – mit leider mal wieder sehr milchigem Cappuchino. So wie er hier in Israel halt serviert wird: heiße Milch mit Kaffeegeschmack. Aber wer würde sich beschweren.
Neve Zohar ist hier im Süden der einzige Ort, der nicht ausschließlich aus Hotels besteht. Sein Herz: eine ab 2008 errichtete hübsche Reihenhaussiedlung, die laut einem Artikel aus der Haaretz mehr Menschen in diesen Ort bringen sollte, die sich ein Zugeld mit der Vermietung von Privatunterkünften verdienen sollten.
Heute gibt es hier jede Menge Katzen, einen Spielplatz, zwei Bunkereingänge – und in jedem zweiten Haus die Möglichkeit ein „Zimmer“ zu mieten – das genau so heißt „Zimmer“. Unsere Unterkunft zum Beispiel heißt „Zimmer Dora“, obwohl die Chefin offensichtlich aus Russland stammt.
Auch der knuffige Fahrer der Buslinie 486, der beim Einstiegen in Jerusalem seinen Gästen aus aller Welt nicht nur Tickets verkaufte, sondern sie immer auch gleich fragte, woher sie kommen und wohin sie wollen, um ihnen umgehend eine kleine Tourberatung zu geben (No, you don’t want to go there, beach there is expensiv, you want to go to the public beach, trust me), freut sich nicht nur, dass wir aus Berlin kommen, wo er unbedingt mal leben will, als er hört, wie groß die Stadt ist, in der er nie war, nein, dieser Fahrer fragt uns, die einzigen Gäste in seinem, die nach 2,5 Stunden bis zur Endstelle wollen, auch ob wir hier, am Ende der Welt ein „Zimmer“ hätten.
Das Zimmer ist für Selbstversorger eingerichtet, samt Mikrowelle, Herd und Kühlschrank. Man muss halt nur vorher wissen, dass man hier Selbstversorger ist. Denn außer der Reihenhaussiedlung gibt es hier noch die eingezäunte Kommunalverwaltung. Und die Bushaltestelle. Das war’s.
Aber deswegen sind wir ja hier. Um abzuschalten, uns ein wenig treiben zu lassen im Salz des Toten Meeres, über 400 Meter unter dem Meeresspiegel in der angeblich tiefst gelegenen Ansiedlung der Welt.
Salzwasserbalett, Paartreiben. Falls das mal olympische Sportart wird, hätten wir Chancen.
Abends funkeln die Sterne um die Wette.
Am gegenüberliegenden Ufer blinken ein paar Lichter aus Jordanien rüber.
Theoretisch könnte man dorthin rüberlaufen, über die vielen Deiche, die das Meer hier durchziehen, die laut Betreten-Verboten-Schild Privatgelände sind, auf die aber trotzdem alle hier ein paar hundert Meter mal hinauswandern, um einen anderen Blick zu kriegen, auf das Wasser und die daraus wie Eisschollen ragenden Salzablagerungen.
Hier und da stehen Bagger herum und verkünden, dass hier bald mehr entstehen könnte, vielleicht schon seit Jahren.
Am nächsten Morgen liegt uns die Animateurin des Hotelpools mit unendlichem Palaver und Autoscootertechno in den Ohren. Dafür haben wir den Strand wieder fast für uns.
Dann kommt auch schon der Bus, der einzige heute, der uns zurück nach Tel Aviv bringt.