grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Sahara-Rock: Tinariwen im Bi Nuu

Tinariwen im Bi Nuu

Dieses Konzert ist wie eine Reise. Nein, dieses Konzert ist eine Reise, es geht weit, ganz weit, ganz weit weg. Sofort, wenn diese sechs Männer in den langen Gewändern der Tuareg die Bühne betreten, wenn sie sich hinter die Mikros stellen und beginnen zu singen. Zu dritt. Oder zu sechst, wenn man die Stimmen des Bassisten, des zweiten Gitarristen und des Perkussionisten im Hintergrund mitzählt, auch wenn man nicht genau weiß, ob sie singen, weil sie diesen Turban tragen, ein Kleidungsstück, das nicht nur die Haare sondern auch den Mund bedeckt, was praktisch sein muss, in einer Wüste, in der entweder die Sonne brennt, oder der Wind dir den Sand ins Gesicht presst. Denn da kommen sie her, die sechs Musiker von Tinariwen, aus der Sahara, aus dem Norden von Mali.

Und jetzt stehen sie da und singen. Und tanzen mit den Händen. Klatschen. Mit ausgestreckten, nach oben weisenden Fingern. Vier Viertel, immer wieder, nicht zu schnell, nicht allzulangsam. Aber vor allem nicht zu schnell. Und doch treibend, wohlwollend voran ziehend. Und dängeln auf ihren Gitarren durch die Gegend, dass man sofort, ja sofort mitgeht, mitzieht, mitlächelt, sich die Tränen – wo kommen die jetzt her? – aus dem Gesicht wischt, auftsteigt, sich einreiht in die Karawane, die weiter muss, lauscht den Gitarren, die sich flirrend unterhalten, fragen, antworten, singend, schweifend, schwelgend, und dann wieder diese Stimmen, allein, zu dritt zu sechst, und die Hände, die klopfenden, schlagenden Finger des Percussionisten, die dich anleiten, die eigenen Hände in den Rhythmus, in die Höhe, in den Takt, der Körper wiegt sich sanft – ist das jetzt falsch, nur ein blödes Klischee?, an einen Ritt auf einem schaukelnden Kamel zu denken – der pluckernde Bass, dieses unglaubliche Lächeln des ältesten der drei Sänger vorne am Bühnenrand, der so wunderbar mit dem Oberkörper schaukeln kann, die Ausfallschritte des Mittleren, der seine Akustikgitarre bezupft, wie, ja wie eigentlich? – wie ein Tuareg vielleicht – und der coole Blick des Jüngsten, der mit seiner E-Gitarre und seinem Gesicht, seiner unbedeckten Lockenpracht hier heute aben alle haben könnte, Männlein wie Weiblein.

Die Männer auf der Bühne trinken allesamt nur Wasser aus großen Flaschen, es ist heiß in der Wüste.

Sahara-Rock.

Und ich stehe, tanze in der erste Reihe, hier im Bi Nuu. Vorne rechts. Und ich würde gerne mitsingen, lauthals. Aber ich verstehe kein Wort von dieser gurrend schönen Sprache der Tuareg.  Und ich verstehe alles, jeden Ton, jeden Schlag dieser unglaublichen Live-Musik, dieser Band, die ich vor ziemlich genau einem Jahr im Flug entdeckt habe – bei einer Reise.

Nur ein Wunsch bleibt offen. Die Songs sind viel zu kurz, sie enden alle schon nach vier, ja fünf Minuten, dabei würde man ihnen folgen wollen, diesen, ja ich muss mich wiederholen, wunderbar dängelnden Gitarren und dem sanften Klatschen, durch die Nacht und durch den Tag und durch die nächste Nacht auch noch, bis sie dann irgendwo ankommt, die Musik, die Karwane, in, ja vielleicht, nein sicher doch, in Timbuktu, oder, wer kennt sich denn da schon aus?, irgendwo da, eine Oase vielleicht, hinter der nächsten Düne, hinter den felsigen Bergen, an einem schattigen Platz. So was denkt man da, vor der Bühne, auf der die sechs Männer von Tinariwen stehen.

Und dann haut es dich vollkommen weg!

 

Dieses Konzert.

Nur falls das jemand noch nicht begriffen haben sollte.

War pures Glück.

 

Ein Freund schickte mir vor wenigen Tagen den Link zu dem Video von der Poetry-Slammerin Julia Engelmann, das gerade offenbar jeder anschaut, weil es, nein, weil sie da etwas über das Leben sagt, über die vielleicht auch kitschige Sehnsucht danach, etwas mit seinem Leben anzufangen. Er habe, schrieb er, auch beim dritten Anschauen geweint.

Was das mit dem Tinarwien-Konzert zu tun hat? Ganz einfach. Man steht da, die Musik umhüllt einen, wie diese wallenden, langen Gewänder die Tuareg, und man hat plötzlich eine unbändige Lust auf Leben, Intensität, Koffer packen, los ziehen, jetzt gar nicht mal von hier nach da, geographisch, sondern mit dem Kopf.

Und dazu ein sanftes Klatschen mit den Händen im Viervierteltakt. Kein Hektik, keine übertrieben Eile, aber doch vorwärts, ohne Zweifel voran.

So ungefähr.

Und ich habe geweint, einfach so, weil die Musik und meine Stimmung in diesem Moment, in diesen anderthalb Stunden des Konzerts zwei wunderbare Freunde waren.

Und ich war nicht allein.

Die junge Frau mit dem fanzösischen Akzent, die sich ganz nach vorne drängt, tanzend, wippend, sich offensichtlich dem lächelnden Tuareg da oben in die Arme schmeißen wollen würde, jetzt für diese Sekunde zumindest, die dann nach Feuer fragt, weil sie rauchen will, aber niemand hat jetzt Zeit für sowas. Der Typ mit dem schütteren Haar, der das ganze Konzert mit seinem iPhone aufzeichnet, teilweise lauthals mitsingt, auch wenn unklar bleibt, ob er tatsächlich irgendwas versteht oder ob er nur mitsummt, einfällt in den Klang, der sich später als Stefan entpuppt, der alle seine Hörer im Radio immer wieder auf diese Konzert eingeschworen hat, weil er dieser Band verfallen ist, was er jetzt auch nicht mehr hätte sagen müssen, weil es eh wunderbar offensichtlich ist.  Die Frau, die Stefan um den Hals fällt, weil sie ihn zehn Jahre nicht gesehen hat, aber jetzt hier, die sich dann darum streiten, ob die Musiker nun aus dem Norden Malis oder aus Algerien oder woher kommen, die dann darauf beharrt es besser zu wissen, schließlich habe sie über die Tuareg ihre Magisterarbeit geschrieben und ein Jahr bei ihnen gelebt, damals 1990. Die Frau im Rollstuhl, die dem vorn am Bühenrand sich ein Tanzduell mit einen der Sänger liefert – mit Augen und Händen.

EMMAARSpäter habe ich noch die gerade erschienene neue Tinariwen-CD Emmaar gekauft, klar nach so einem Konzert. Sie ist wunderbar, aber diese intensität eines Konzert, bei dem man in der ersten Reihe steht, erreicht sie leider nicht.

Aber vielleicht sollte man bei keiner guten Live-Band den Fehler machen, direkt nach dem Konzert auch noch Studioaufnahmen zu hören. Denn heute, am Tag danach, schwingen ich schon mit, nickt der Kopf sanft, möchte ich wieder wissen, wovon die da eigentlich Singen, tauche in diese Stimmen, die Gitarren, steige auf und ziehe mit ihnen von dannen.

 

PS: Das Bi Nuu unter dem U-Bahnhof Schlesisches Tor in Kreuzberg ist vollkommen ebenerdig und daher bestens für Rollstuhlfahrer geeignet. Beim Tinariwen-Konzert zum Beispiel waren gleich zwei dort. Behindertengerechte Toiletten gibt es allerdings leider nicht.

rollstuhl6.jpgrollstuhl6.jpgrollstuhl6.jpgrollstuhl6.jpgrollstuhl6.jpgnicht so doll für Rollifahrer

 

4 Responses to “Sahara-Rock: Tinariwen im Bi Nuu”

  1. herr grimo sagt:

    ein Reihe schöner Fotos von dem Konzert, hat der Fotograf, der eine zeitlang neben mir stand, online gestellt:
    https://www.facebook.com/media/set/?set=a.739980866036648.1073741931.144280198940054&type=1

  2. […] Vor einer Woche, nach dem Auftriit von Tinariwen im Bi Nuu, hatte ich gedacht, ich hätte schon das Konzert des Jahres gesehen. So kann man sich […]

  3. […] den Fingern der einen in die Fläche der anderen Hand zu klatschen, sondern – so wie ich das letztes Jahr bei der wunderbaren und musikalischen verwandten Band Tinariwen schon beobachtet hatte – mit beidhändig ausgestreckten […]

  4. […] Wer ein gewisses Faible für Sahararock hat, als für Tuareg-Musik mit E-Gitarren aus Westafrika, der hatte in den vergangen Tagen in Berlin die Qual der Wahl. Umso besser, wenn man dabei offensichtlich den Hauptgewinn zieht! Los ging es am Mittwoch, das spielte Tinariwen im Postbahnhof. Das sind bekanntlich die Könige des Sahararock, die Klassiker, seit Jahrzehnten auf Tour und ein großartiges Live-Erlebnis. Aber das wusste ich schon, weil ich die Band erst vor einem halben Jahr gesehen hatte. […]

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