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Taganga: Die Schönheit mit dem Draht

Sie ist die Schönheit. Vielleicht die einzige, in dieser leicht heruntergekommenen Bucht, in der ein paar Fischerboote in der Sonne dümpeln. Oder am Strand vertrocknen.

Sie sitzt im Schatten und blendet die Passanten. Unter einem dieser Kioske mit Schatten spendenden Palmdach, die ein wenig aussehen wie die Hütten in Schlumpfhausen. Nur graubraun. Nicht blau.

Hier ist Hippiehausen. Taganga. Rund 15 Minuten von Santa Marta, über ein paar Berge runter in die Bucht. An den Hängen wachsen neue Häuser, einige auch nicht. Nie fertig gestellte Bauruinen. Vielleicht war es hier sogar mal schön.

Schatten, das ist hier in Taganga eine Währung. Denn den gibt es hier nicht, jedenfalls kaum. Vielleicht irgendwo, im Staub der weiter hinten liegenden Straßen. Aber wer will dort schon sein. Mit etwas Glück auch bei den Fischern, die am einen Ende der Bucht ihren Fang anlanden. Und natürlich in den Restaurants und Bars, die sich entlang der Straße am Strand aufgereiht haben. Und Getränke und Speisen anbieten als Zugaben zum Schatten, den alle suchen, suchen müssen, weil man es sonst nicht aushält, auch nicht mit der sanften Brise, die ab und an wie eine Versehen von der Bucht herüberweht.

Wirklich kostenlos ist der Schatten nur unterm dem Dach dieses einen Kioskes. Denn er hat geschlossen. Also sitze ich hier mit meinem Buch. Ein paar Hunde liegen hier und da. Und die Schönheit wartet auf Kundschaft.

Sie verkauft Draht. Eine schmale Rolle silbernen Drahts ist ihr Kapital. Und ihr Lächeln, ihre Stimme, tief und rauh wie bei einer Andalusierin. Sie raucht. Und trinkt Bier, jedesmal wenn sie mal wieder gegen ein wenig Geld ein Stück Metall in das Armband einer Passantin verwandelt hat, geht sie rüber zum Getränkeladen und holt neues, frisches, kühles Bier in Flaschen. Zwei. Eine für sich, eine für Estefan – wenn das Geld reicht.

Estefan ist ihr Freund. Vielleicht auch ihr novio. Vielleicht auch nicht. Er quatscht mich an. Woher? Wohin? Was ich da lese? Der junge dunkelhäutige Schlaks war selbst schon in Europa. Spanien, Südfrankreich, Sizilien, Kreta. Mit dem Schiff von Panama über den Atlantik, drei Wochen, nur drei Wochen, weil Wind und Strömung günstig waren. Sein Vater, erzählt er, sei Dokumentarfilmer in Berlin. Für einen Lehrgang sei er dorthin gegangen. Und dann geblieben, weil es ihm gefällt. Weil die Menschen so offen seien. Die Schönheit will wissen, ob noch Bier da ist und es dann schnell trinken. Bevor es warm wird. Bei dieser karibischen Hitze.

Die Händlerin mit dem Kaffee in Thermoskannen zieht vorbei. Wer will, bekommt ihn mit Zimtgeschmack. Der Hutverkäufer schläft in der Hitze.

Die Schönheit beschwert sich. Weil ich mir bei einem kleinen Rundgang eine kühle Cola geholt habe, aber ihr kein Bier. Sie singt, gurrend, irgendwas von un poco amor. Sie lacht. Die Hunde im Schatten heben sanft ein Ohr und drehen sich um, um weiter zu dösen.

Die Schönheit ist sicherlich nicht von hier. Aber wer weiß das schon. Die anderen sind es ja auch nicht. Oder vielleicht doch. Die anderen, die nach und nach hinzukommen. Der bärtige Typ mit dem Strohhut. Der Franzose mit den kurzen Hosen. Der blonde Strubbel – naja, woher kommt der bloß, sein Spanisch klingt sehr deutsch. Kommt, ruft die Schönheit, setzt euch um mich herum. Und ich im Zentrum! Sie lacht. Die Männer träumen.

Die Schönheit verkauft dann mal wieder ein Stück Draht, verdreht es mit einer Zange zu einem Kunstwerk, so einem wie es auch rechts und links an den Ohren baumelt. Sie springt wie eine Katze einem Paar in den Weg und nimmt es mit ihrem Lachen gefangen. Sie beschenkt ihre Kundin mit dem Schmuck und betrügt sie zugleich. Mit ihrem Mann, Freund, Begleiter, der gern für das neue Schmuckstück seiner Frau, Freundin, Begleiterin zahlt, weil er – solange sie am Arm der Frau schraubt, ihren Anblick als Dreingabe geschenkt bekommt.

Ihre dunkle Haut. Ihren schmalen Körper. Kaum Oberseite, dafür wilde Rastas über den großen, tiefliegenden Augen, die dich verschlingen. Mit einem Blick.

Die Schönheit trägt kurze Jeans und hohe Boots. Sie lässt sich bewundern – bis er zahlt. Und gehen darf, schadlos und ohne schlechtes Gewissen, weil er ja Schmuck gekauft hat. Für die eine. Alle drei lachen, sind sehr zufrieden mit dieser temporären menage a trois.

Es ist so wie in den Cafés und Bars hier, wo wann gern für Getränke zahlt, wenn man Schatten kaufen will.

Es ist ein Spiel. Ihr Spiel.

Die Schönheit redet jetzt auf den Strubbel ein. Sie tritt auch ihm nahe. Sehr nahe, ohne ihn zu berühren. Sie flüstern. Sie legt den Finger auf ihre Lippen. Sie gestikuliert. Sie beschwört ihn. Es geht um die Nacht. Die nächste, die letzte, wer weiß das schon. Der blonde Strubbel trinkt aus ihren Augen, in diesem Moment bekommt sie alles, was sie haben will. Er schlägt ein, worum auch immer es geht.

Die Sonne steht schon etwas tiefer. Sie ziehen von dannen. Sie vorne weg, er hinten dran. Erstmal wieder zum Getränkehändler.

Die Hunde drehen sich noch einmal um. Ein schwarzer Vogel hat bei den Fischern am Ende der Bucht etwas Hanf geklaut und baut damit in den Palmen sein Nest. Eine Welle plätschert auf den Strand.

So langsam wird es Zeit zurück zu fahren nach Santa Marta. Langsam, keine Eile. Der Minibus kommt alle paar Minuten. Und wenn nicht, dann eben später. Es ist ja zum Glück vollkommen egal.

One response to “Taganga: Die Schönheit mit dem Draht”

  1. […] Pesos). Die Abfahrtsorte der “lokalen” Busse erfragt am besten vor Ort. Busse nach Taganga fuhren quer durch Santa Marta und dann weiter. Busse zum Parque Tayrona starteten an einer Ecke im […]

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