grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Tarata und die vier Cochabambinos

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Heute sollte ein ganz entspannter Tag werden. Ein kurzer Ausflug von Cochabamba in die nahegelegene Kleinststadt Tarata. Und weil es so schoen ist: mit dem Schienenbus. Der faehrt laut Fahrplan dreimal die Woche. Dienstag, Donnerstag und Samstag. Immer um 8 Uhr morgens. Fuer so ein besonderes Fahrzeug steht man auch mal gerne frueher auf. Dummerweise haelt sich das tolle Gefaehrt nicht an seinen Plan. Der gelbe Bus steht zwar auf dem Gleis, aber die Gitter zum Bahnsteig sind verschlossen. Davor warten ein paar Quechua-Frauen und zwei Franzosen. Dahinter taucht irgendwann mal eine Putzfrau auf. Sie meint, heute wuerde wohl kein Zug fahren. Wieso, weshalb, warum, kann sie auch nicht sagen, dafuer sei der Stationsvorsteher zustaendig und der kommt nie vor halb 9.  Irgendwann kommt auch noch ein Polizist mit Halbwissen vorbei. Ja, am fernen Ende der Strecke gebe es Probleme mit einer Bruecke, Regenzeit halt. Die Frauen stiefeln von dannen, ich auch.

Macht ja nichts, denn gleich um die Ecke starten Trufis, das sind Taxis, in die sich bis zu sieben Fahrgaeste quetschen, um eine laengere Strecke gemeinsam zu fahren. Aber die Trufis sind auch nicht da. Es gebe ein Problem, sagt die Frau an der Abfahrtstelle, „hay un bloqueo“. Bloqueos, also Strassenblockaden, sind eine in Lateinamerika beliebte Protestform. Worum es hier und heute geht, kann oder will niemand sagen. Nur: es kann lange dauern.

Zum Glueck faehrt ein paar Meter weiter dann doch noch ein Minibus einer anderen Firma. Der Fahrer sagt, es werde etwas laenger als die uebliche Stunde  dauern und auch mehr kosten wegen des Umwegs. 8 statt der ueblichen 6 Bolivianos. Das sind dann 90 Cent, kein Grund zur Aufregung. Immerhin geht es bald  los und der Fahrer schiebt fuer den ueberdurchschnittlich langbeinigen Tourist aus Europa sogar eigens noch dessen Sitz zurueck. Danke!

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Tarata ist alle Umstaende wert. Richtig viel gibt es zwar nicht zu sehen. Aber das bisschen, die kleine Plaza im Kolonialstil, die bescheidenen Gaesschen drumherum und schliesslich der Convento oben auf dem Huegel, vor rund 300 Jahren von Franziskanern gegruendet. In der zugehoerigen Kirche laeuft gerade eine Messe. Es ist voll – an einem Dienstagmorgen. Somos catolicos, das gilt fast ueberall in Lateinamerika.  Der Klosterbau selbst ist verschlossen. Laut Aushang kann man ihn bis 11.30 Uhr besichtigen – wer rein will, soll klopfen. Aber es tut sich nichts. Ich will schon wieder von dannen ziehen, da kommen vier junge Bolivianer, wie sich spaeter herausstellt zwei Lehrerpaerchen aus Cochabamba, vorgefahren. Die klopfen nicht, sondern ziehen merhfach beherzt an dem langen Seil neben der Tuer. Ein  Glocke ertoent, haette ich auch drauf kommen koennen.

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Schliesslich kommt  ein aelterer Mann, fuehrt uns freundlich durch den Hof, zeigt uns ein paar Raeume, darunter den Saal, in dem die Moenche ihren Rotwein gekeltert haben. Und ein an der Wand haengendes Gemaelde von Gottvater, Sohn  und Heiligem Geist – alle drei mit den Gesichtern der hiesigen Indigena. Der Garten ist ebenfall sehr reizvoll.

Nach der kurzen Vorstellungsrunde der Besucher wechselt schnell das Thema. Berlin? Die Mauer? Wie dick war die eigentlich? Kann man die noch sehen? Gibt es in Berlin nicht eine beruehmte Kirchenruine? Nach einer netten halben Stunde ist alles wieder vorbei.

Schon wenig spaeter treffe ich die Lehrerpaerchen an einem Strassenlokal wieder. Sie haben gerade „Chorizo de Tarata“ bestellt, die lokale Spezialitaet: duenne Wuerstchen in heissem Fett erhitzt, dazu ein wenig Salat und gekochte Weizenkoerner. Die vier laden mich an ihren Tisch ein. Sie heissen Lis (Biologie und Chemie), Angel (Grunschule), Joel (Geschichte) und Nancy (Frueherziehung, hier gern auch „Kinder“ – die Kurzform des internationalen Wortes „Kindergarten“ – genannt).

Schnell reden wir ueber Gott und die Welt, Schulsysteme hier und dort, die gestern von mir gesehen Schlangen wartender Eltern vor den Schulen, boese Polizisten in La Paz und lohnende Ausflugsziele wie Villa Tunari, wo ich morgen hin will. Ob ich heute noch was vorhabe, fragt schliesslich Joel und laedt mich ein, sie in seinem Wagen auf ihrer Tour durch die Gegend zu begleiten.

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Bevor wir losfahren kommt aber erst noch das zum Essen gehoerende Getraenk: eine klare, rote Limonade, wenn ich es richtig verstanden habe, heisst sie Mogo Chinci. Sicher ist: sie besteht aus Zimt und Pfirsich. Sehr suess. Sehr lecker. Der Witz an der Sache sind aber die Glaeser. Erstens hat das Lokal nur vier fuer uns fuenf, wie die Bedienung bedauert. Das macht aber nichts, Nancy, die man uebrigens mit klassischem „a“ und nicht mit englischem „ae“ ausspricht, hat eh keine Lust auf die fluessige Suessigkeit. Aber die Form der Glaeser sorgt allgemein fuer Heiterkeit. Sie stellen nackte Torsi dar, zwei weibliche, zwei maennliche. Angel ist so irritiert, dass er sein Glas mit seiner Freundin tauscht. Aus einem nackten Mann mag der junge Mann nicht trinken.

Dann wird schnell noch ein Foto gemacht, auf einer kaum einen Meter hohen, schmalen Bruecke, die hier scheinbar sinnlos im Weg steht. Sie wurde auf Geheiss von einem der drei Praesidenten errichtet, die in dem Viertausendseelennest geboren wurden. Er gilt, auch weil er im 18. Jahrhundert grosse Teile das Landes an Brasilien verschenkt hat, als etwas verrueckt. Der von ihm angeblich vorgetragenen Grund fuer den Brueckenbau laesst daran wenig Zweifel: er wollte nicht, dass seine Pferde sich die Hufe schmutzig machen beim Ueberqueren der Strasse.

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Mit Joels Mitsubishi, der wahlweise mit Benzin oder mit Gas betrieben werden kann, weil die hiesige Regierung das foerdert, fahren wir ueber Cliza nach Punata. Dort ist gerade feria, also ein grosser Markt, der sich ueber mehrere Strassenzuege erstreckt. Es gibt: alles, wie auf hiesigen Maerkten ueblich. Von der Jeans bis hin zum Zauberbedarf. Tellergrosse runde Gebilde, auf denen Herz, Haus, Geld und andere Symbole angebracht sind. Wenn man das Ganze verbrennt, bringt das Glueck. Lamafoeten sind auch im Angebot. Sie werden, wenn ich richtig informiert bin, u.a. in Grundmauern eingelassen, damit das Haus nicht einstuerzt. Für die Damen der Gegend gibt es gleich mehrere Stände, an denen sie ihre typischen Hüten kaufen können.

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Und dazu passend etwas, das mich dann doch sehr überrascht hat: Haare. Dunkle, schwarze Haare. Lose oder auch schon fertig zu einem dieser typischen, dicken und bis auf den Po reichenden Zöpfe geflochtet, wie sie hier ausnahmslos alle traditionell gekleideten Frauen tragen. Das ist, erklaert mir Joel, für die Frauen, die keine so langen Haare haben, als Verlängerung. Es gibt die Zöpfe aus echtem Menschenhaar oder aus Pferdehaar.

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Wir haben uns an herkoemmliche Ware gehalten: 1 Kilo koestliche bolivianische Pfirsiche. Ich koennte Fan werden.

Spaeter fahren wir noch weiter, ueber Arani hinaus, wo die laut Joel sehr huebsche Kirche leider geschlossen ist, bis in ein winzges Dorf, neben dem an einem reissenden Bach Wassermuehlen stehen. Auf dem Weg dorthin trete ich versehentlich in eine Pfuetze, die sich als rund 30 Zentimeter tiefer Graben entpuppt. Macht nichts, trocknet wieder. Ausserdem regnet es eh gerade ein wenig.

Die ganze Tour hat Joel fuer seine Freunde, die er alle von der Uni kennt organisiert. Er interssiert sich seit vielen Jahren fuer die Gegend rund um Cochabamba, ist viel herumgefahren  und zeigt mir und den drei anderen nun seine Lieblingsorte.

Unterwegs unterhalten wir uns ueber Geld – ein bolivianischer Lehrer verdient umgerechnet etwa 300 Euro, von denen er hier zwar einigermassen gut leben kann, aber die vier finden es verstaendlicherweise trotzdem nicht gerecht, dass Menschen mit aehnlichen Berufen aus anderen Teilen hierherkommen koennen, sie es sich umgekehrt aber nie leisten koennen. Auch die Landreform  unter Praesindenten Evo Morales kommt zur Sprache, schon weil sie unuebersehbare Folgen zeigt. Eine ganze Siedlung kleiner Lehmhaeuser entsteht gerade entlang der Landstrasse. Das sieht aermlich aus, ist aber dennoch ein Fortschritt, weil die Menschn hier erstmals eigenen Grund und Boden zugeteilt bekommen haben, auf dem sie sich einrichten koennen.

Schliesslich will Angel noch wissen, wie gut die Deutschen ueber den Nationalsozialismus Beschied wuessten, ob das ueberhaupt Thema in den Schulen sei. Und ob dann, wie in Bolivien leider ueblich, altbewaehrte Ressentiments (hier zum Beispiel gegenueber Chilenen) gelehrt werden.

Zum Abschluss machen Angel und Joel nochmal Gruppenfotos: „por el face“, wie man hier sagt. „Fuer Facebook“.  Wir werden uns also – zumindest im Internet – wiedersehen.

Doch Joel hat noch einen Trumpf fuer die lange Rueckfahrt. Er haelt vor einem unscheinbaren Haus mit einer halboffenen Holztuer, an der „bitte klopfen“ steht. Dahinter verkauft eine Quechuafrau ihr selbstgebackenes Brot. Joel sagt, ich solle mal reingehen. In dem dunklen Erdgeschoss stehen etwa zehn wagenradgrosse Koerbe mit frischen Broten, in allen moeglichen Ausfuehrungen. Allein der Geruch ist umwerfend. Ich nehme drei empanadas con queso. Glueck geht durch den Magen!

PS: Nancy wollte sich bei mir entschuldigen, dass ein Bolivianer mich in La Paz ausgeraubt hat. Ich habe das als ablsolut unnoetig zurueckgewiesen – zumal Menschen, die aus reiner Freunde einen wildfremden Touristen in ihre Auto laden und durch ihr Land kutschieren sich schon malñ ueberhaupt fuer gar nichts entschulidgen mussen. Dennoch habe ich ihr noch erzaehlt, was mir eine der beiden Koreanerinnen im Hostel in La Paz berichtet hatte. Sie war schon im Jahr 2006 auf einen falschen Polizisten hereingefallen. Sie hatte ihm, leichtglaeubig wie sie war, sogar die Geheimnummer ihrer Kreditkarte gegeben. Den falschen Polizisten hatte sie allerdinsg nicht in La Paz, Bolivien getroffen – sondern in Frankfurt am Main, im so ordentlichen Alemania. Boese Menschen gibt es ueberall. Gute zum Glueck auch. Und letztere sind eindeutig in  der Ueberzahl.

 

 

 

5 Responses to “Tarata und die vier Cochabambinos”

  1. Mama sagt:

    Lieber Gereon, heute stand in der WAZ die Geschichte über den treuen Hund Hachi , der seit 5 Jahren an einer Straßenecke in Cochabamba auf sein Herrchen wartet. Dieser ist bei einem Autounfall gestorben. Hachi wird von der Nachbarschaft versorgt. Vielleicht hast du ihn gesehen.
    Gruß Mama

  2. Treuer Hund Hachi in Cochabamba

    Auch zu lesen bei Stern.de oder Focus online.

    VG
    herr oppermann

  3. herr grimo sagt:

    Schoene Geschichte. Aber nein, ich kannte sie noch nicht. Und den Hund habe ich auch nicht gesehen. Dafuer gleich ein ganzes Rudel, das zu zehnt eintraechtig nebeneinanderher eine Hauptstrasse entlang lief.

  4. […] Den Ausflug in die schöne Kleinstadt kann man von Cochabamba wirklich gut auf eigenen Faust machen. Ich wollte eigentlich den […]

  5. […] Menge besuchenswerte Kirchen, u.a. das alte Kloster der Karemilterinnen. Lädt zu Ausflügen in die nähere und weitere […]

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