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Bogota: Es regnet! Und was wird jetzt aus dem Frieden?

Schon erstaunlich, wie schnell sich erste Eindrücke verändern können. Als ich vor knapp vier Wochen das erste Mal in Bogota ankam, erschien mir die Stadt unwirtlich und abweisend. „Dunkel und wenig einladend“, schrieb ich damals. Nicht sehr vertrauenerweckend. Bei der Fahrt vom Flughafen in das Altstadtviertel La Candelaria waren mir vor allem hohe Häuser, breite Straßen und dunkle Ecken auf gefallen.

Jetzt vier Wochen später gibt es natürlich auch noch die Hochhäuser und die breiten Einfallstrassen, nur die dunklen Ecken erscheinen nicht mehr ganz so düster. Das mag zu einem daran liegen, dass ich bei ersten mal gegen Mitternacht ankam und diesmal am frühen Nachmittag. Aber das ist nicht vor alles.

Denn viel ausschlaggebender ist: ich weiß diesmal, was mich erwartet. Bogota ist nicht mehr die unbekannte Haupstadt eines unbekannten, als extrem gewalttätig bekannten Landes. Nein, es ist nun die Hauptstadt eines Landes, für das ich ein grundlegend positives Gefühl gewonnen habe, eine Großstadt, in der ich weiß, dass und wie ich mich zurecht finden werde, und von der ich weiß, dass ich anders als in Medellin sogar Orte finden kann und werde, die in all dem Trubel eine gewisse Ruhe ausstrahlen.

Einziger Makel: für all das bleibt mir nur eine letzte Nacht. Am Dienstag schon muss ich wieder zum Flughafen. Und dann Miami. London. Berlin.

Noch etwas ist anders in Bogota als vor vier Wochen: das Wetter. Es ist diesmal tatsächlich so, wie es typischerweise hier sein soll. Es regnet. Und es ist kühl. Aber das macht nichts. Auf der Carrera 7, die wie immer für die Autos gesperrt ist, sitzen wieder die Schauspieler, Musiker und Gaukler versuchen ein paar Pesos zu erspielen, Straßenhändler bieten gibt Arepas con queso oder frische Früchte, hier und da stehen ein paar Polizisten, direkt daneben kreuzen Fußgänger die Straßen, wenn Suche eine Lücke bietet, egal ob die Ampel gerade rot oder grün ist.

Muy relajado. Alles sehr gelassen, so ist mein Eindruck von Bogota. Trotz der unübersehbaren Armut. Trotz der offenen großen Gegensätze. Denn es genauso offensichtlich hat sich die Stadt ein Stück Lebensqualität zurückerobert.

Ganz zurecht beklagt mein Taxifahrer am Dienstag, dass es für den stetig wachsenden Verkehr immer weniger Wege gebe. Er zeigt auf die Busspuren, über die exklusiv die Gelenkbusse von Transmilenio fahren. Rappelvoll und schnell. Er meint aber eben auch die Carrera 7, die für Autos gesperrt wurde, damit man dort flanieren kann. Und die Radfahrrerspuren, die zwar bei weitem nicht so häufig und selten so toll sind, wie es gelegentlich in Radlerforen angepriesen wird, die es aber immerhin gibt.

Und – und das ist ganz toll – es gibt diese Plätze, auf denen Tische mit Stühlen unter breiten Sonnenschirmen stehen, die sicher auch bei Regen Hilfe leisten. Solche Sitzgruppen, wie man sie in Europa und vielen anderen Teilen der Welt vor Strassencafes findet.

Die aber fehlen hier. Stattdessen steht auf den grünen Schirmen: „DADEP – Departamento Administrativo de la Defensoria del Espacio Publico“ also Verwaltungsdepartement für die Verteidigung des öffentlichen Raumes. Großartig! Wer hier eine Kaffee haben will, muss sich an einen der fliegenden Händler wenden. Und das mach ich dann auch mit großem Vergnügen ein letztes Mal. In Bogota. In Kolumbien.

Aber ist das Land jetzt eigentlich wirklich und völlig unerwartet friedlich? Oder scheint es nur so? Beim Kaffee lese ich das hiesige Wochenmagazin Semana, so eine Art Spiegel für Kolumbien, nicht ganz so dick, aber mit klugen Analysen und Einblicken in die akutelle Lage des Landes. Vor allem was den Fortgang des Friedensprozesse mit der Guerilla FARC betrifft.

Ein großer Text erzählt von den „bacrim“, den bandas criminales, die kurz davor zu stehen scheinen, eine Neuauflage der Paramilitärs zu werden. Die Paras hatten sich einst als eine Art Bürgerwehr und unautorisierter Ableger des Militärs gebildet, um der linken Guerilla etwas entgegenzusetzen. Sie waren dann schnell zum rechtsextremen Gegenstück der Guerilla geworden, genauso ideologisch, mindestens eben so stark in den Drogenhandel verwickelt und offensichtlich – insbesondere was das Leben anderer betraf – noch wesentlich rücksichtsloser als die FARC.

Die Paramilitärs wurden bereits vor Jahren nach einem ähnliche Verhandlungsprozess wie jetzt mit der FARC aufgelöst. Das heißt aber nicht, dass es sie gar nicht mehr gibt. Oder eben nicht schon wieder.

Die Bacrim, die laut Semana in weiten Teilen des Nordens des Landes aktiv sind, haben in den letzten Wochen mindestens ein halbes Dutzend Menschenrechtsaktivisten, lokale Befürworter des Friedensprozesses und Umweltschützer getötet. Längst, schreibt die Semana, sei das zu kritischen Punkt der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC in Havanna geworden. Denn wenn die Guerilleros tatsächlich ihre Waffen abgeben werden, wer soll sie dann vor den Bacrim schützen, die nach leider traditionell kolumbianischer Art auch Auftragsmorde im Angebot haben?

Das Vertrauen in die Macht der Regierung von Juan Manuel Santos jedenfalls ist gering, nicht nur bei den Guerilleros. Auch bei der aus Erfahrung eh schon gegenüber allen Politikern skeptischen Bevölkerung. Das zeigt eine aktuelle Unfrage in der Semana, laut der nur noch 22 Prozent der Kolumbianer den Kurs des Präsidenten unterstützten – ein Tiefswert! Auch glauben die wenigsten, dass sich durch den Friedensvertrag etwas für sie persönlich zum positiven ändern würde. Denn sie sehen ganz andere Probleme.

Die Wirtschaft des Ölförderlandes Kolumbien kriselt heftig, seit der Ölpreis im Keller ist. Der Peso hat dadurch dramatisch gegenüber dem Dollar verloren, was ganz nebenbei einer der Gründe ist, warum sich die Fläche für den Illegalen Koka-Anbau binnen nur zwei Jahren verdoppelt hat, so dass sie den höchsten Stand seit 10 Jahren erreicht hat. Denn je mehr der Dollar wert ist, desto lukrativer wird der illegale Export, also der Anbau und der Schmuggel hin zu den Abnehmern in den USA.

Der andere Grund für den Koka-Anbau-Boom ist das Klimaphänomen El Niño. Denn Kona kommt mit der anhaltenden Trockenheit deutlich zurecht, als andere legale Agrarpflanzen.

Einzige positive Nachricht aus der Semana: gäbe es jetzt die von Santos verprochene Abstimmung über den Friedensprozess, gäbe es mehr Ja- als Nein-Voten. Allerdings sagen auch 37 Prozent der Kolumbianer, dass sie gar nicht zur Abtimmung gehen würden. Eine überzeugende gesellschaftliche Mehrheit ist das also auch nicht.

Und dennoch ist dem Land nichts anderes zu wünschen, als dass sich die Friedenswilligen durchsetzen werden. Schon weil es schier unverständlich erscheint, wie ein Land, in dem die Menschen so offen, gastfreundlich und offensiv hilfsbereit im Alltag sind, sich seit Menschengedenken in nahezu ununterbrochene, gewaltsame Konflikte verstricken konnte.

Und ein bisschen Egoismus ist auch dabei. Denn ich würde gerne wiederkommen können, um mehr zu sehen und zu verstehen von diesem Land.

Das Hostal, in dem ich die letzte Nacht verbringe, ganz oben am Hang von La Candelaria in einem wunderschönen, einstöckigen Altbau aus Kolonialzeiten, mit Hängematten und einer toller Fotoausstellung im Patio und einem Lagerfeuerchen hinten im Garten heißt „Fernweh“ – genau so, auf deutsch, weil es von einem deutsch-kolumbianischen Traveller-Paar betrieben wird, das das Haus erst vor vier Monaten eröffent hat.

Ich habe es auch wegen des Namens gewählt. Denn Fernweh habe ich auch am Ende dieser Reise noch mehr als Heimweh.

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