grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Der Junge mit den Landkarten

David ist 14 Jahre alt. Sagt er zumindest. Ich haette den kleinen, schmaechtigen Jungen hoechstens auf 12 geschaetzt. David arbeitet auf den hundert Metern der Plaza Arce, an der sich saemtliche auf Touristen spezialisierte Lokale in Uyuni befinden. Es gibt gleich mehrere Pizzerien, andere bieten „steak llama“, und dann gibt es noch das Lokal, aus dem immer Bob Marley erklingt – die weltweite  Erkennungsmelodie fuer die globale Hippie-Rucksack-Gemeinde.

David setzt sich zu mir, als ich draussen auf einer der Baenke mein in der kleinen Markthalle zusammengestelltes Menu geniesse. Eine sehr gute Avocado, leckeren Schafskaese und jede Menge Brot – also die hier typischen flachen Broetchen, die es am Markt in Uyuni nur im Zehnerpack gibt.

David fragt, ob ich eine Karte kaufen will, eine Landkarte von Bolivien oder von der Gegend hier rund um den Salar de Uyuni, den grossen Salzsee, der der einzige Grund ist, warum die Reisenden in Massen hierher kommen. Die Karten sind auf ein braeunliches, gern alt aussehendes, kartonartiges Papier gedruckt. Schoen, sage ich, aber nein, wie soll ich die denn in meinen Rucksack verstauen, ohne dass sie kaputt geht? Na gut, sagt David, und holt die Allzweckwaffe aller Strassenverkaeufer heraus: bunte, geflochtene Armbaendchen. Die sind auch huebsch, aber eben nur wenn man tatsaechlich noch Teil der Hippie-Rucksack-Gemeinde ist.

David hat Verstaendnis, dass ich nichts kaufen will. Aber besonders gluecklich ist er nicht. Die Geschaefte laufen schlecht. Ich biete ihm eins meiner Broetchen an und Kaese dazu. Er nimmt beides gerne. Ob er denn gar nicht zur Schule muesse, frage ich ihn. Nein, sagt er, es sind doch Ferien. Ob er in Uyuni wohne, frage ich. Nein, sagt er, in Sucre. Das liegt eine gut achtstuendige Busreise von hier entfernt. David ist ganz allein hier in Uyuni, er wohne dahinten, sagt er und zeigt in ein ungefaehre Richtung hinter seiner rechten Schulter, in einem Alojamiento – so werden die billigesten, meist privaten Unterkuenfte in Bolivien bezeichnet. Morgen, sagt er, kommen seine Eltern.

David hat mindestens 20 eingerollte Karten auf seinem Ruecken und viele weitere in der Unterkunft. Drei will er verkaufen pro Tag – das waere nicht schlecht, sagt er. Eine Karten kostet 50 Bolivianos. „Findest du das zu teuer?“, fragt er. Nein, sage ich. Drei verkaufte Karten, das sind 150 Bolivianos, etwa 16 Euro Tageseinnahmen. Ich schenke ihm die uebrigen Broetchen den restlichen Kaese.

David ist keine Ausnahme in Bolivien. Kinderarbeit ist in diesem armen Land alltaeglich, so alltaeglich, dass es sogar einen Verband der arbeitenden Kinder und Jugendlichen gibt, die fuer ihre Rechte kaempfen – insbesondere fuer ihr Recht auf Arbeit. Kuerzlich habe ich hier in einer Zeitung gelesen, dass sich Vertreter des Verbandes nach langen Verhandlungen auf Grundsaetze fuer eine Neuregelung der Kinderarbeit geeinigt haben. Unter anderem heisst es darin, dass Kinder immer nur freiwillig arbeiten duerfen – aber wer will das schon kontrollieren.

David ist hier, weil sein Vater es so gesagt hat. Was der so mache, will ich wissen. Er verkauft Artesania in Santa Cruz, sagt David, und zeigt auf einen vielen Laeden mit dem immergleichen latinobunten Stoffen, Taschen, Hueten, Baendchen, T-Shirts etc. Dann haben deine einen Laden in Santa Cruz, ich dachte du kommst aus Sucre?, frage ich etwas verwirrt. Nein, sagt David, sein Vater habe keinen Laden, er verkaufe auch auf der Strasse, immer dort, wo gerade die meisten Touristen sind, der Vater in Santa Cruz, er eben in Uyuni.

Nach meiner Salar-Tour treffe ich David wieder. Er grinst und haelt sich die Hanede vor die Augen. Wie gehts?, fragt er. Schlecht, sage ich, der Magen. Und dir? Schlecht, antwortet er, ich habe heute noch keine Karte verkauft. Er fragt, ob ich ihm ein Eis spendiere. Klar, aber der Eisladen hat noch zu. Was anderes vielleicht? Ja, gerne eine Cola.

Ich will wissen, was David lieber machen wuerde, als die Karten zu verkaufen. Auf der Plaza kickt ein Vater mit seinem Sohn gegen einen Ball. Fussballspielen?, frage ich.

Ja, murmelt David halbherzig. Dann macht er eine Pause und fuegt hinzu: „Estudiar!“ Studieren. Was genau, weiss er noch nicht. Aber er will an die Uni. Drei Jahre Schule sind es bis dahin noch.

3 Responses to “Der Junge mit den Landkarten”

  1. […] treffe David wieder, er hat gute Laune, er hat eine Karte verkauft, eine. Ich spendiere ihm ein […]

  2. […] Uyuni: Die Stadt in der es nichts zu sehen gibt, außer dem benachbarten Salzsee. Und dem Friedhof der Lokomotiven. So steht es in den Reiseführern und entsprechend kurz bleiben die Reisenden. Wenn man aber  – zum Beispiel wegen einer Magenverstimmung – doch länger bleibt, kann man wie überall interessante Menschen kennen lernen. […]

  3. […] Die üblichen Hostals von der Stadt am Salzsee befinden sich alle rund um die Plaza Arce und die Av. Ferroviaria. Die Nacht vor der Salar-Tour habe ich im Hotel Avenida verbracht, in einem […]

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