grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Im Knast

Foto0154 Achtung, Achtung, Polizei!

Und dann ruft mich diese junge Franzoesin und es ist um mich geschehen.  Klingt nach einem guten Einstiegssatz, ist aber natuerlich Quatsch. Ich muss die Sache anders erzaehlen: Sonntagabend, nicht viel los in Tupiza, noch weniger als am Samstag jedenfalls. Selbst die meisten Restaurants haben geschlossen. Ich speise in einem, na ja, geht so, Laden etwas Lomo mit Reis und Salat, trinke ein Bier dazu und mache mich auf den Rueckweg zum Hostal. Halb zehn, na gut, noch einen Bogen ueber die Plaza, auch da nichts los, also dann.

Auf dem Rueckweg in der Calle Florida ruft eine junge Frau, hey, du bist doch der, der auch bei der Salar-Tour war. Ich gucke sie an und tatsaechlich, eine Franzoesin, die im zweiten Hostel am Nachbartisch sass, die bei einer der vielen anderen Gruppen mitfuhr, wir hatten uns kurz unterhalten. Jetzt ist sie mit noch einem Franzosen, einem Paerchen aus Bunos Aires und einem Ami auf dem Weg zur Plaza. „Wir haben eine Flasche Wein“, sagt sie, „bist du allein unterwegs? Dann komm doch mit!“

Achtung, Achtung, Polizei!

Aber ich mag nicht auf Wein  umsteigen, ich geh noch kurz in einer der Licorerias hier in der Strasse, in der er alle Arten von Alkohol gibt, Wein, harten Alkohol, ganz harten Alkohol. Auch Bier? Ja, sagt der dicke Typ, der hinter der Ladentheke in einem Stuhl mehr liegt als sitzt, ja, im Kuehlschrank. Ich nehme ein Paceña, zwar in einer Dose, aber das ist das brauchbarste Bier hier in Bolivien, und gehe zurueck zur Plaza, zu den anderen.

Achtung, Achtung, Polizei!

Die fuenf sind heute von Uyuni hergekommen, die gleiche Strecke, die ich gestern gefahren bin – wenn auch mit deutlich weniger Abenteuer. Denn ihr Busfahrer wollte anders als meiner tags zuvor nicht vollbeladen durch die letzten beiden Fluesse fahren. Also mussten alle Passagiere, ausser die ganz alten, aussteigen und zu fuss durch das mehr als knietiefe, rauschende Nass staken. „In Unterhosen“, sagt Diego, der Argentinier.  „Und der Bus hat nicht mal am anderen Ufer gewartet, sondern viel weiter weg“, empoert sich Titi, seine Freundin. „Neben mir ging eine junge Mutter mit zwei Kindern auf dem Arm“, erzaehlt Adeline, die Franzeosin. „Wir haben deren Rucksaecke nehmen muessen“, sagt Baptist, der andere Franzose. „Was fuer ein Abenteuer“, sagt Vincent, der US-Amerikaner.

Achtung, Achtung, Polizei!

Wir reden kaum fuenf Minuten auf der baumbestandenen Plaza, da tauchen ein paar Polizisten auf, einer, zwei, drei, vier, spaeter mindestens fuenf. Wir sollen mal mitkommen zu ihrem Wagen an der Ecke, sagt der eine. Was denn los sei?, wollen wir wissen. Das klaeren wir dann, erst mitkommen, beharrt der Polizist. Immerhin, alle fuenf tragen ordentliche Uniformen. An der Ecke wartet ein Polizei-Pick-Up-. Scheint alles echt zu sein.  Was denn nun los sei?, wiederholen wir mehrfach unsere dringeste Frage bis schliesslich einer sagt, Alkohol trinken in der Oeffentlichkeit, das sei in Bolivien verboten. Oh, sagen wir, das haben wir nicht gewusst, das tut uns leid, ich biete an, mein kaum angetrunkenes Bier in den naechsten Muelleinemr zu schmeissen und fertig. Aber nein, die Uniformierten sind sehr bestimmt, nicht unfreundlich, ueberhaupt nicht gewalttaetig, aber eben sehr bestimmt. Steigen sei ein!, heisst es, hinten auf den Pick-Up, Papiere kontrollieren auf der Wache. Ich sage gleich, dass ich meinen Reisepass wie immer im Hostal habe, aber das interessiert hier keinen. Aufsteigen! Los!

Achtung, Achtung, Polizei!, summt es die ganze Zeit in meinem Kopf. Und da faellt mir auch wieder ein, woher ich das kenne und wann ich das zum ersten Mal gehoert habe. Wir hocken zu sechst auf der Ladeflaeche des Pick-Up. Verzweifeltes Laecheln. Nicht zu ernst nehmen, bloss nicht zu erst nehmen. „Lo siento“, sagt die Franzoesin zu mir. Es tut ihr leid, dass sie mich auf die Plaza gelotzt hat. Schon okay. Zur Polizeiwache ist es nicht weit, sie liegt gleich ums Eck von der Plaza. Ich weiss das, weil ich sie erste heute nachmittag fotografiert habe, wegen der Kondorfigur davor, die Gewehre in ihren Krallen traegt. Und wegen des Spruchs ueber der Einfahrt: patria o muerte – Vaterland oder Tod. Aussteigen! Mitkommen! Hier lang! Die Ansagen sind klar, wir schleichen durch die Einfahrt auf den Hof, dann links ein Durchgang zum zweiten Hof, wieder links, das Verhoerzimmer oder wie auch immer man das nennen soll. Ganz links an der Wand eine Bank fuer die sechs Schwerverbrecher. Ganz rechts ein schwerer Schreibtisch hinter dem einen Frau sitzt, eine Polizisten, offensichtlich, so stellt sich bald heraus, die Chefin hier. Rechts neben ihr, auf einem Extratischchen stehen die Beweismaterialien: die Weinflasche und meine Bierdose. Wir sollen unser Namen nennen und unsere Ausweise zeigen. Drei haben keinen dabei. Wieso das denn nicht?, will der in der Tuer stehende Polizist wissen, ob wir in unseren Laendern nicht stets einen Ausweis dabei haben muessten? Ich erklaere ihm, dass ich in Sucre von einer freundlichen Tourismus-Polizistin ein Flugbatt mit Sicherheitshinweisen bekommen hatte. Und dass da unter anderem  drin stand, dass man seinen Pass stets an einem sicheren Ort, also im Hostel bewahren sollte.

Die Polizisten wechseln das Thema. Alkoholkonsum in der Oeffentlichkeit, erklaert uns die Chefin  mit sonorer Stimme, sei in Bolivien verboten, das sei ein nationales Gesetz und das gelte natuerlich auch fuer Auslaender. Und sie sei dazu da, die Einhaltung  der Gesetze durchzusetzen. Wer ein fremdes Land besuche, muesse sich vorher informieren ueber die dort herrschenden Sitten und Gebraeuche, zum Beispiel im Internet, betont sie mehrfach, und das gelte auch fuer die Gesetz. Unser Einwand, dass wir uns sehr wohl informiert haetten, aber keiner von uns an irgendeiner Stelle oder von irgendeiner Person darauf hingewiesen wurde, laesst sie nicht gelten. Alkoholismus sei ein schweres Porblem in Bolivien, sagt sie nach langem hin und her und daher muesse sie hart durchgreifen. Die Strafe fuer Alkohohlkonsum in der Oeffentlichkeit sei: acht Stunden Arrest.

Acht Stunden? Acht? Ein kurzer Blick auf die Uhr. Es ist mittlerweile 22 Uhr. Acht Stunden? Bis sechs Uhr frueh? Fuer so einen kleinen Fehler, den wir unwissentlich begangen haben und fuer den wir uns mehrfach instaendig entschuldigen? Na gut, sagt die Polizistin. Sie werde bei uns einer Ausnahme machen, weil wir Touristen sind. Aber dennoch muesse sie uns festhalten, zwei bis drei Stunden. Oft komme das nicht vor, wir seien die ersten Touristen in diesem Monat. Der hat ja auch gerade erst angefangen, denke ich, sage aber selbstverstaendlich nichts. Wir haetten Glueck, sagt die Uniformierte, bei Bolivianern wuerde sie keine Ausnahme machen. Einmal habe sie gar eine junge Mutter mit ihrem Baby eingesperrt.

Wir versuchen alles, wir reden von Sitten und Gebraeuchen der Polizei bei aehnlichen Verstoessen in unseren jeweiligen Heimatlaendern, wir sagen, dass wir die  Schwere unserer Tat begriffen haetten, dasss wir selbstverstaendlich das Recht in Bolivien fortan respektieren wuerden, dass wir alle anderen Mitreisenden, die wir noch treffen , eindringlich vor einem aehnlichen Verstoss warnen wuerden, dass wir nicht mal im Ansatz betrunken sind, dafuer randvoll mit Verstaendnis. Aber die Frau bleibt, was sie und ihre Kollegen von Anfang an sind: sehr bestimmt. Unerweichlich. Stattdessen haelt sie uns noch einen Vortrag, dass wir mit unserem Touristenvisum nichts anderes machen duerften als reisen, keinesfalls arbeiten, nichts verkaufen, was wir eh nicht vorhaben. Und schliesslich ist alles gesagt. Fehlt nur noch ihr letzter Satz: Die beiden Frauen duerfen hier bleiben, im Verhoerzimmer auf der Bank.  Die vier Herren sollen ihrem Kollegen folgen.

Der fuehrt uns ueber den Hof, vorbei an einer baufaelligen Treppe durch einen schmalen Gang mit einer funzeligen Glühbirne und einem kaputten Stuhl bis zu dieser Gitttertuer, in den Raum dahinter. Unsere Zelle. Die Tuer faellt hinter uns zu. Ein paar Minuten spaeter kommt er nochmal und bringt ein Vorhaengeschloss an. damit wir nicht weglaufen. Die Zelle ist das reineste Klischee. Zwei Schritte breit und vier, vielleicht fuenf lang, dafuer sehr hoch, bestimmt fuenf, vielleicht sechs Meter sind es bis zum Wellblechdach. Sitzgelegenheiten gibt es keine, Licht auch nicht. Nur die Birne aus dem Vorraum hellt das Ganze etwas auf. Der Raum ist komplett leer. In der Ecke hinten rechts ist der Boden noch etwas dunkler, man ahnt, was andere Insassen dort gemacht haben.  Man moechte nicht hinriechen.

Puh, sagt Baptist, wenn man hier eine Woche aushalten muesste. Drei Stunden sind auch mehr als genug. Diego holt eine Schachtel raus, Zigarette? Na gut, was soll man denn auch sonst machen, als frischgebackener Knastbruder. Vincent beginnt zu singen, er ist Gitarrist und Bluessaenger, eigentlich, sagt er, sei das ganz gut hier zu sein, denn schliesslich sei jeder Bluessaenger, der was auf sich halte, mindestens einmal im Gefaengnis gewesen. Jetzt gehoere er endlich dazu. Er will gleich einen entsprechenden Song schreiben, noch in dieser Nacht. Auf Spanisch, versteht sich, claro.

Im Knast war zuvor noch keiner von uns. Nicht Vincent, der Ami, nicht Diego, der Argentinier, nicht Baptiste, der Franzose. Ich auch nicht. Baptiste weiss immerhin, was man hier machen muss. Er ritzt – wie schon viele andere vor ihm – mit einer Muenze seinen Spitznamen und das heutige Datum in den weichen Stein: „Bat 2.2.14“. Er holt seine Kamera raus. Darf man hier mit Blitz fotografieren? Warum eigentlich nicht. Im Gang ist eh niemand zu sehen.

Ich schaue auf die Uhr. 15 Minuten sind schon um. Erst um. 15 Minuten von bis zu 300. Diego sagt, der Service hier koennte besser sein. Vincent meint, ich haette mir gleich zwei Bierdosen kaufen sollen, dann haetten wir die zweite jetzt hier drinnen trinken koennen. Baptiste meint, stimmt, das waere ja legal, weil wir nicht mehr auf der Strasse stehen. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Vincent hat eine Kamera mit Selbstausloeser, neben der Gittertuer gibt es einen kleinen Mauervorsprung, auf den man sie legen kann. Das obligatorische Gruppenfoto der vier Knastbrueder entsteht. Ein Argentinier, ein US-Amerikaner, ein Deutscher und ein Franzose in einem Knast in Bolivien, sagt Diego und lacht. Wir lachen alle mit. Was soll man auch sonst tun.

Dann kommt unser Polizist und schliesst die Zelle auf. Dabei ist erst eine halbe Stunde um. Niemand beschwert sich. Wir sollen zurueck ins Verhoerzimmer. Titi und Adeline sitzen dort immer noch auf der Bank und empfangen uns mit skeptischem Laecheln.  Die Chefpolizistin  kommt, ermahnt uns nochmals, sagt aber, nach den 20 Minuten in der Zelle – halt, denke ich, es waren doch 30, aber wer will denn jetzt kleinlich sein – nach den 20 Minuten in der Zelle also wolle sie es fuer heute gut sein lassen. Wir duerfen gehen. Ins Hostel, auf moeglichst direktem Weg. Wir bedanken uns hoeflich, schuetteln ihr beim rausgehen die Hand, lassen uns den Weg zurueck zur Plaza erklaeren und verschinden schnell ums Ecks.

Um 23 Uhr sind wir zuruck auf der Plaza. Wir zeigen gegenseitig schnell noch unsere Fotos rum. Ein betrunkener Bolivianer torkelt mit einer Bierdose lallend an uns vorbei. Achtung, Achtung, Polizei!, denke ich. Aber von der ist weit und breit niemand zu sehen. Die anderen fuenf beschliessen, ihre Plaene zu aendern. Statt sich ein wenig in Tupiza zu erholen, reisen sie am naechsten Morgen gleich weiter, raus aus Tupiza, raus aus Bolivien ins nahe gelegen Argentinien.

Ich bleibe und lese Zeitung. In El Correo steht ein Artikel ueber die boesen Jugendlichen in Sucre. Die wollten frueher Karneval feiern als erlaubt und sind schon am Wochenende auf die Strassen gezogen. Dabei habe die Stadtverwaltung ausdruecklich solche  Vorfeiern verboten, sie sind fruehestens am Wochenende vor Karneval erlaut. Ausserdem verstossen die Jugendlichen, so steht es in der Zeitung, noch gegen das nationale Verbot, Alkohol in der Oeffentlichkeit zu konsumieren, das gelte schliesslich das ganze Jahr ueber. Die Zeitung ist von Sonntag, kommt aber wegen der Transportprobleme hier in Tupiza immer erst mit einem Tag Verspaetung an. Es ist also nicht meine Schuld, wenn ich diesen fuer mich so wichtigen Hinweis erst am Montag lese.

4 Responses to “Im Knast”

  1. Wenn das mal nicht eine hervorragende Grundlage für einen neuen „Jailhouse Rock“ ist – oder besser “ Canción Prisión“ 😉
    Prost!

  2. […] mag ich dann noch nochmal ein Bier trinken. Das nachholen, was mir gestern versagt blieb. Ich gehe also wieder in meine Lieblings-Licoreria und kaufe ein neues Paceña. Der dicke Typ […]

  3. […] ein sicheres Taxi bekomme, und schließlich die Truppe in -> Tupiza, die mich mit fünf anderen wegen unerlaubtem Alkoholkonsum auf der Plaza festgenommen hat. Das Gute daran: Am Ende wird alles zu erzählenswerten […]

  4. […] in der Öffentlichkeit scheint hier erlaubt zu sein oder wird immerhin geduldet – anders als in Südbolivien. Und davon machen alle reichlich […]

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