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die welt liegt uns zu füßen

Islas del Rosario: Nennen wir es Schatzsuche

Es war ein Sonntag im November oder Dezember vergangenen Jahres, als ich zum ersten Mal von den Islas del Rosario gehört hatte. Und vielleicht auch von Cartagena. Jedenfalls habe ich mich da erstmals mit der Geschichte dieser Stadt auseinandergesetzt, ein wenig zumindest. Mit ihrer Bedeutung für die spanischen Kolonisatoren, die von hier aus die frisch erbeuteten Goldschätze nach Europa verschifften. Und von dem unwiderstehlichen Reiz, den diese Transporte für Piraten darstellte – allen voran der berühmte Francis Drake.

Denn an jenem Sonntag saß ich in der Redaktion, die Nachrichtenlage war ziemlich dünn. Doch dann gab es da diese eine News, die die kleinen Jungs in der Redaktion (auch wenn sie längst größer und vor allem älter geworden sind) faszinierte: vor der Karibikküste Kolumbiens, hieß es da, genauer gesagt vor Cartagena und noch genauer irgendwo bei dem Archipel Islas del Rosario hatten Forscher nach langer Suche das Wrack einer spanischen Galeone geortet. Nicht von irgendeiner bedeutungslosen Schaluppe, sondern von dem Schiff, das im 16. Jahrhundert randvoll beladen mit Gold und anderem wertvollem Zeugs von Francis Drake und seinen Mannen im Kampf zwar nicht gentert, dafür aber versenkt worden war.

Mein lieber Kollege K. war sich schnell sicher: dazu machen wir eine Seite 2! Auf meinen Einwand hin, dass wir in Kolumbien doch gar keinen Korrespondenten haben, hat er mich freundlicherweise dazu gezwungen, den Nachrichtentext einfach selber zu schreiben. Sein bestechendes Argument: du treibst dich doch immer in Lateinamerika rum.

Zwar war ich bis dato noch nie in Kolumbien gewesen, aber die Online-Ausgaben der dort führende Zeitungen hätten die wichtigsten Nachrichten parat. Das reichte für eine Zusammenfassung. Unser Spanienkorrespondent ergänzte das um eine kleine historische Einordnung.

Fertig war die Seite – und in mir die Lust geweckt, das alles mal aus der Nähe zu betrachten.

So sitze ich jetzt an einem schönen Samstag morgen in diesem Boot, zusammen mit 30 anderen und bin – nein, nicht auf Schatzsuche, sondern endlich mal richtiger Tourist. Oder genauer noch: Wochenendausflügler.

Der Tripp hat drei Stationen. Nach einer etwa einstündigen Fahrt mit der Schaluppe, ja, hier ist der Begriff wirklich angebracht, erreichen wir eine kleine Insel des Archipels. Hier dürfen wir zwischen zwei Aktivitäten wählen – beide gegen Aufpreis. Einmal kann man auf der Insel das Ozeanearium besuchen, mit Delfinshow und allem. Oder man darf schnorcheln – vor der Nachbarinsel, die einst dem berüchtigten Drogebboss Pablo Escobar gehörte und heute vom kolumbianischen Staat genutzt wird.

Das zeigt ganz nebenbei auch die Stellung, die Escobar bis zu seinem gewaltsamen Tod in den 90er Jahren in diesem Land hatte. Zwar hat auch der Präsident eine Präsidentenvilla hier ganz in der Nähe, aber die befindet sich auf einer der größeren Inseln, die er sich mit vielen anderen teilen muss, die zwar allesamt auch reich oder wichtig oder wahrscheinlich sogar beides zugleich sind, aber eben nicht reich und wichtig genug, als dass sie eine eigene Insel nur für sich hätten.

Beim Sprung ins flache Wasser neben dem Ex-Drogenboss-Eiland bin ich zunächst enttäuscht, weil es eigentlich nichts zu sehen gibt. Dann aber schnorchelt die kleine Gruppe der Mitschwimmer (die Kolumbianer wollten fast alle in die Delfin-Show) zu einer Reihe von strahlend bunten Fischen, die in ihrer Farbigkeit sogar noch die Pracht der Unterwasserwelt toppen, die ich vor einem Jahr in Belize sehen durfte.

Was Menge, Dichte und Intensität des Gesamterlebnissses angeht war es dort allerdings doch um Klassen besser. Auch weil das hiesige Vergnügen nach gerade mal 45 Minuten auch schon wieder vorbei ist. Denn wir müssen weiter nach Cholon.

Üblicherweise macht diese Tour einen Halt an der Playa Blanca auf der Halbinsel Baru südlich von Cartagena. Da wollten die meisten hier eigentlich auch hin, aber aus irgendeinem Grund, den ich trotz Nachfragen nicht verstanden habe, geht das heute nicht.

Stattdessen weichen wir nach Cholon aus. Das ist eine winzige Ecke einer dieser Inseln. Und hier trifft sich ansonsten die High Society. Warum ist mit erst nicht ganz klar. Denn schön sind die 20 bis 30 Meter Strand, vor denen ein gutes Dutzend schneller Sportboote sowie eine Yacht angelegt haben, die schon durch ihr silbermettalicfarbenes Äußeres klar macht, dass sie nur einen einzigen Zweck hat: beeindrucken. Und zwar sowohl die, die sie nur von weitem sehen dürfen („boah, guck mal!“), als auch diejenigen, die drauf dürfen, weil sie jemanden kennen, der jemanden kennt, dem das Ding gehört. Oder weil sie gut Aussehen im extrem knappen Bikini.

Für den Strand interessiert sich von diesen boatpeople niemand. Wenn sie überhaupt von ihren Schiffchen herabsteigen, dann um im hüfttiefen Wasser unter Schatten spendenen Palmdächern zu stehen und Drinks zu schlürfen, die ihnen die Schwarzen, die hier auf der Inselspitze arbeiten, auf Zuruf bringen.

Theoretisch könnten sie auch an Land gehen, unter eins der Sonnendächer, die hier aufgestellt wurden, damit man darunter Trinken und Speisen kann. Zum Bespiel frisch gefangene, fette Langusten. Oder damit man einem der Strandhändler begenen kann, die die Arme voller Ketten haben – hier, pures Korall, wirklich echt!

In einer Ecke des Strandes steht übrigens ein Schild, das daran erinnert, dass man sich hier in einem Nationalpark befindet. Deshalb solle man auf keinen Fall Dinge aus der Natur und erst recht nicht von den Korallen mitnehmen, geschweige denn kaufen. Außerdem sei es verboten, hier gefangene Tiere zu essen, vor allem die Minilobster (was die Langusten sein müssen, die hier so lecker auf den Grills angeboten werden). Und schließlich wird man ermahnt, all seinen Müll, den man hergebracht hat, auch wieder mitzunehmen. Das ist auch dringend nötig, denn hier in Cholon liegt schon genug herum zwischen den Mangroven.

Cholon ist eine mehr als traurige Angelegenheit. Ich rede mit einem älteren Schweden, der, wenn man seinen Erzählungen glaubt, eigentlich nur noch reist, und dessen Frau aus Thailand jetzt zuhause in Stockholm sitzt, weil sie ja eh mit der Latinokultur und dem Essen hier nicht klarkäme. Dieser geschwätzige Schwede ist mehr als sauer, schließlich wollte er an seinem letzten Urlaubstag nur zur Playa Blanca, um mal was anderes zu sehen als seinen schönen Hotelpool. Und jetzt sei er hier gelandet. Er kann es nicht fassen.

Beim drittelnd und letzten Stop bleibt der Schwede gleich im Boot sitzen. Alle anderen werden auf der kargen Südspitze der Insel Bocachica von hier wohnenden Schwarzen zu einem rund 200 Meter entfernten Restaurant geführt, wo wir gegen unsere Gutscheine ein inklusives Essen bekommen. Frischer Fisch mit Reis und der üblichen frittierten Kochbananenscheibe. Gar nicht mal schlecht.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist nur, dass durch die fast käfigartigen Holzstäbe, die das Restaurant umgeben, weitere Männer und Frauen uns Ketten, Schnickschnack und Gebäck anbieten. Alles billig, alles günstig.

Gewöhnungsbedürftig ist auch das System mit den lokalen Guides, die offiziell nicht zur Tour gehören. Wir wurden hier nur von unserem Kapitän abgesetzt, der dann meinte, dass er uns nach dem Essen auf der anderen Seite der Insel wieder auflese. Und dass das Trinkgeld für die Inselguias selbstverständlich freiwillig sei.

Die überbieten sich zunächst gegenseitig darin, einzelne aus der Bootsgruppe im Restaurant bewirten zu dürfen, treiben uns dann an, dass wir ganz dringend weiter müssten, nicht aber, wie sich später herausstellt, weil das Boot schon wieder los will, sondern weil sie uns unbedingt noch das Fort zeigen wollen, mit dem einst die Einfahrt zur Bucht vor Piraten geschützt wurde. Und in dessen 30 Meter tiefen Burggraben arbeitsunwillige Sklaven den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen wurden.

Aber da habe ich längst meine gute Laune verloren.

Einziger Lichtblick ist ein älteres, sehr nettes Paar aus England, countryside, zwei Stunden von London entfernt, denen ich anfangs die ausschließlich spanischen Ansagen und Erklärungen in groben Zügen übersetze, und mit denen ich mich später beim Essen über den etwas skurilen Ablauf dieser Tour unterhalte.

Nach sieben Stunden sind wir wieder zurück in Cartagena. Was für eine Wohltat, ich begebe mich umgehend auf Schatzsuche und finde ihn bald: auf der Plaza unweit des Hostals, bei einer der ambulanten Verkäuferinnen. Kaffee, stark, schwarz und süß, so wie die Leute ihn hier an der tropischen Küste trinken.

Dazu noch ein paar Kapitel von „hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel Garcia Marquez, das man hier ja fast lesen muss. Und so wird es doch noch ein schöner Tag.

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