grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Lima. Der Tag am Meer

En Casa. Zu hause. Es ist unglaublich, wie schnell sich dieser Bergriff relativieren kann, wenn man vier Wochen in einem fremden Land herumgereist ist, und dann für ein paar Stunden in einem anderen Land ankommt, das eigentlich genauso fremd ist, in dem man aber schon mal war, zweimal sogar. Und vor allem: in dem jemand auf einen wartet, den man kennt.

In diesem Fall stehe ich in Lima, der Hauptstadt Perus, am Flughafen. Und Juan holt mich ab. Ihn und seine Freundin, beide Journalisten aus Lima, hab ich vor zwei Jahren in Chachapoyas kennengelernt, bei meiner Tour zu den Ruinen von Kuelap. Und dann haben wir zufälligerweise am nächsten Tag auch noch zusammen den großen Wasserfall in der Nähe besucht.

Jetzt sehen wir uns wieder. Die Verabredung lautet: wir treffen uns in einem der Cafés im ersten Stock des Flughafens. Für alle, die das auch mal Vorhaben. Nehmt das Cafe 4D, das ist das erste, liegt gleich neben der Rolltreppe, die aus der unteren Halle nach oben führt, und bietet Dank großer Glasfronten einen guten Blick darauf, man kann sich also gar nicht verpassen.

Mit Juans schickem Toyota fahren wir nach Miraflores, dem modernstes und auch europäischsten und sicher auch teuersten Stadtteil von Lima. Er liegt an der rund 70 Meter hohen Steilküste über dem Strand, der in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem Treffpunkt und Erholungsgebiet ausgebaut wird. Man sieht, dass es Peru gerade richtig gut geht. Es ist, erzählt Juan, das Land mit dem derzeit stärkstem Wirtschaftswachstum in Lateinamerika – über 5 Prozent. Das hat diverse Auswirkungen auf den Alltag. Zum einen haben die Leute in den letzten Jahren wie verrückt Autos gekauft, so dass der Verkehr in der 9-Millionen-Stadt jetzt endgültig zum Erliegen kommt. Immerhin ist derzeit aber der Bau einer U- bzw. Hochbahn in Planung. Das dürfte Abhilfe verschaffen.

Zum anderen, erzählt Juan, kommen nun die Musikstars aus der ganzen Welt nach Lima, um hier erstmals Konzerte zu geben. Nicht die superaktuellen, sondern eher die von vorgestern, so wie Elton John, Paul McCartney oder auch Morrissey. Dessen groß angekündigter Auftritt fiel dann  kurzfristig ins Wasser, weil sich der Vegetarier an einem Nudelgericht den Magen verdorben hatte. Das war, so Juan, ein großes Thema in dem eher fleischlastigen Land, vor allem weil er laut Zeitungsberichten „penne“ (also ein Nudelgericht) gegessen haben soll, was fälscherweise gern als „pene“ (also: „Penis“) weitererzählt wurde.

Wir aber widmen uns der guten Küche von Lima und essen Fisch, in einem der neuen, noblen Restaurants, die sich in schicken Architekturwürfeln unten am Strand angesiedelt haben. Juan führt mich in eins davon, das Segundo Muelle. Wir finden einen netten Tisch auf der Terrasse, hinter schützenden Wänden aus Glas, die weniger den Wind, als die an den Betonkai brandende Gischt der Wellen abhalten.

Eigentlich denke ich, dass ich hier unbedingt Ceviche essen muss, schließlich ist dieses Gericht aus rohem Fisch die bekannteste Spezialität aus Lima. Und das Segundo Muelle hat es in gleich sieben Variationen auf der Karte. Aber Juan sagt, wir sollten lieber tiraditos nehmen, das sind Gerichte, die ebenfalls aus rohem Fisch hergestellt werden, die aber den hier sehr starken Einfluss der asiatischen, speziell japanischen Küche zur Geltung kommen lassen, denn der Fisch und die darin verwendeten Meeresfrüchte würden ähnlich wie Sushi zubereitet. Das Ganze kommt dann mit einer dekorativen Wurst aus Avocadocreme und einer herrlich gewürzten, weißen kalten Soße. Dazu ein eiskaltes cusqueña, das bekanntlich beste Bier aus Peru.

Für den zweiten Gang empfiehlt Juan Causas, das sind eigentlich kleinere Gerichte, aber sie sehen kaum danach aus. Juan bekommt einen Zylinder aus feinstem Kartoffelpüree mit Mariscos serviert, ich bestelle tigre de leche – also Tigermilch -, was in einem Glaskelch serviert wird. In einer weißlichen, leicht scharfen Flüssigkeit schwimmen Tintenfischstücke, dazu gibt es als leckere Deko zwei frittierte Bananenscheiben und die Scheibe eines tomatenähnlichen Gemüses. Dummerweise begehe ich den kulinarischen Fehler meines Lebens, als ich mir das rote Gemüse wie selbstverständlich in den Mund führe. Juan schaut erst auf meine überquillenden Augen, dann fragt er ungläubig, ob ich das wirklich gegessen habe, schließlich entschuldigt er sich, dass er während unseres angeregten Gesprächs einen Moment nicht aufgepasst habe, denn das Ding – meine Zunge, mein Gaumen, meine Lippen wissen das längst – sei eigentlich eben nur optische Deko, die zudem ein wenig Schärfe der Tigermilch beimischen soll, wenn man es aber in den Mund steckt, dann entpuppt es sich als das schärfste Etwas aller Zeiten. Mein Körper beginnt zu schwitzen, meine Nase läuft, ich atme schnaufend, ich versuche es mit dem kalten Bier zu löschen, vergeblich, Rettung bringt erst die sanfte Kartoffelcreme, die Juan mir von seinem Teller anbietet. Der sehr zuvorkommende Kellner entschuldigt sich, dass er mich nicht vorgewarnt hat und gießt mit nochmal Bier nach.

Inwischen hat sich die Restaurantterrasse gut gefüllt, nobles, gut situiertes Publikum, die Rechnung ist entsprechend. Draußen über den Wellenkämmen fliegen sieben Pelikane in Formation. Die Sonne knallt. Ein paar Surfer warten auf den nächsten Brecher.

Wir spazieren am Meer entlang, unterhalten uns über Bolivien und Peru, über Print- und Onlinejournalismus, über die Notwendigkeit in Lima ein Auto zu besitzen, darüber dass es in Berlin genau das Gegenteil ist, über steigenden Mieten hier und die Preise für Wohnungen dort ( ein 70 qm Appartement in Miraflores kostet laut Juan auch schon 300.000 US-Dollar), über die Politik in Peru, die Bedeutung Deutschlands für die Welt, über wachsende ausländische Investitionen in Peru und die steigende Zahl von Europäern, die hier in Lateinamerika ihr Glück suchen, auch weil meinen, dass die Latinos einen direkteren, besseren, ursprünglicheren Bezug zur Natur haben, während die Peruaner in immer größerer Zahl in die Haupstadt ziehen, fast jeder dritte Peruaner lebt schon in dieser lauten Megastadt. Und dann erzählt Juan noch, dass trotz des Wachstums, trotz des unübersehbaren Aufschwungs, trotz der im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Länder wie Bolivien oder Argentinien gute ökonomischen Lage, sich viele Peruaner wünschen würden, sie könnten in einem Land wie Spanien leben, denn was dort als die Folgen der heftigsten Wirtschaftskrise seit langer Zeit erlebt werde, das sei hier in Peru immernoch Alltag, ein Dauerzustand. Und von Zuständen wie in Deutschland, mit seiner niedrigen Arbeitslosigkeit, seiner boomenden Wirtschaft, der Sozial- und Krankenversicherung, den öffentlichen Transportsystemen, der kostenlosen Bildung, von so etwas, sagt Juan, wage von in Peru nicht einmal zu träumen. Und wieder einmal wird mir durch das Gele Reisen klar, welch ein Glück es ist, in Deutschland mit einem deutschen Pass leben zu dürfen.

Wir fahren nochmal hoch nach Miraflores, schlendern zum Parque Kennedy, wo ich bei meinen Peru-Reisen abends rumgehangen habe, wandern zurück bis zur Steilküste, stehen diesmal aber oben bei den Hochhäusern, die mir sonst immer so  seltsam, so unpassend für mein Peru-Empfinden erschienen waren, die mir jetzt aber, sehr zu meiner Überraschung das eingangs beschriebene Gefühl des Zuhauseseins noch verstärken.

Und dann ist es auch schon Zeit zu gehen, leider Zeit zurückzufahren, um rechtzeitig durch den Stau wieder zum Flughafen zu kommen, wo 12 Stunden nach meiner Ankunft aus La Paz der nächste Flieger Richtung Amsterdam auf mich wartet.

Und wo Mariaisabel, die Freundin von Juan, jetzt im Cafe 4D sitzt, denn sie ist gerade von einer viertägigen Reise aus Madre de Dios, im Südosten Perus wiederkommen, es war kein Vergnügen, im Gegenteil, sie hat die von den schwersten Regenzeitfluten seit Jahren betroffene Region des Landes besucht, um eine eindrückliche Reportage darüber zu schreiben, die sie – verfluchte Vorgaben ihres Redakteurs – gerade noch um 500 Zeichen kürzen muss und dann irgendwie schnell per Mail schicken, auch wenn das verflixte WIFI hier im 4D gerade nicht funktioniert. Und schon hat sie mich wieder, die Welt des Journalismus mit ihrem quälenden, aber immer auch wieder spannendem Alltag.

Ich hole schnell noch meinen Boardingpass, zahle die 31 US-Dollar Ausreisesteuer, trinke eine Flasche Wasser, drücke die beiden, weiß, dass ich sie wiedersehen werde, vielleicht bei ihrer Hochzeit nächstes Jahr hier in Peru, vielleicht bei ihrer Hochzeitsreise, die sie sogar nach Berlin führen könnte. Und dann gibt es auch schon den letzten Ausreisestempel im Pass und ich sitze auf Platz 22A am Fenster mit Blick auf einen in der Dunkelheit der Nacht entschwindenden Kontinent.

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