grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Merida und das Haus von Tio Rafa

Rafa wartet schon auf mich. Am Morgen hat er noch per Facebook gefragt, um wieviel Uhr ich denn etwa kommen werde. Jetzt steht er gleich hinter der Tür seines kleinen Hostals in Merida und nimmt mich im Empfang, wie einen alten Freund. „Hunger?“, fragt er und schmeißt gleich ein paar Trotillas  in die Pfanne mit dem brutzelnden Öl.

Wir haben uns vor etwas mehr als drei Jahren in Trujillo im Norden Perus kennengelernt. Da waren wir beide zu Gast im dem netten Hostal El Mochilero. Rafa saß fast die ganze Zeit im ersten Hof und hatte mehr oder weniger den Laden übernommen, führte Neuankömmlinge herum, richtete dem eigentlichen Betreiber eine Facebookseite ein und so weiter. Denn Rafa ist ein Hostalbetreiber von ganzem Herzen.

Damals hatte sein Hostal „la casa del tio rafa“ einen Preis gewonnen. Es hatte bei einer Hostalbuchungsseite die beste Kundenbewertung von ganz Lateinamerika bekommen. Zur Preisverleihung wurde Rafa nach Buenos Aires in Argentinien eingeladen. Das Geld für den Rückflug ließ er sich auszahlen, um über Land zurückzufahren. Und so kreuzten sich unsere Wege in Trujillo.

Seit seiner Rückkehr nach Merida führt er wieder sein Hostal. Ohne Unterbrechung sieben Tage pro Woche. Er schläft immer in der Hängematte im Empfangsraum, damit er nächtlichen Spätheimkehrern die Tür öffnen kann.

Raus komme er nur mal dank der voluntarios, Reisenden die ihm ein wenig unter die Arme greifen und dafür gegen Kost und Logie bleiben dürfen.

Gerade ist da zum Beispiel Jan, ein 26-jähriger Schlaks aus Deutschland, ein ziemlich versponnener Typ mit zwei abgebrochen Studien und einer heftigen Kifferkarriere. Rafa zeigt ihm, wie er die frittierten Tortilla mit der Schwarze-Bohnen-Creme bestreichen soll: nicht zu dick! Aber Jan lässt sich wenig sagen. Rafa verdreht die Augen und häuft dann frittierte Eier, Zwiebeln, Kochschinken und Kräuter auf die Tortillas, die er nun tostadas nennt. Dazu gibt die grüne Chillysoße die nötige Würze. Ja, kann man essen!

Das Hostal selbst ist etwas abgewohnt, der begrünte Innenhof ganz hübsch, aber eng. Die beiden Dormitorios mit je drei Etagenbetten sind auch das komplette Gegenteil von geräumig. Ohne Ventilator würde man ersticken. Es kommt zwar etwas Luft durch die Klappen der Fenster herein, aber vor allem auch der Lärm der direkt dahinter liegenden Straße.

Zuletzt habe er nicht mehr viel gemacht hier am Haus, sagt Rafa. Denn Ende März muss er raus. Dann läuft sein Fünfjahresvertrag aus. Wie es dann weitergeht? Rafa hat keine Ahnung. Er sucht ein neues Haus. Vielleicht macht er aber auch erstmal Pause, falls er nichts anders findet.

Aber erstmal geht er mit mir ins Stadtzentrum zur sieben Blocks entfernt liegenden zentralen Plaza. Er muss ein paar Dinge erledigen. Und ich will mich umschauen.

Unterwegs treffen wir auf der Straße seine beiden Schwestern. Die eine schüttelt lustig empört den Kopf und knöpft Rafa dann liebevoll den obersten Hemdknopf zu, bevor er weiter gehen darf, zuppelt sie noch seinen Kragen zurecht. Rafa erzählt ihnen, dass er mich vor Jahren in Peru getroffen hat. „Hättest du ihn nicht dabehalten können?“, fragt mich die eine laut lachend. „Oder mit nach Deutschland nehmen?“, ergänzt die andere bevor beide ihren Bruder drücken. Mexikanische Geschwisterliebe!

Und dann kommt Merida! Eine hübsche Stadt? Ja, schon, in Teilen zumindest. Das Zentrum ist geprägt von den vielen einstöckigen Häusern aus Kolonialzeiten, die sich an den engen schachbrettartig angelegten Straßen entlang reihen. Ein paar davon sind hübsch herausgeputzt, an vielen anderen bröckelt der Putz, auffällig viele stehen leer und sind zu verkaufen.

Aber Merida ist ein sehr lebendige, leider auch sehr laute Stadt. Überall brummt der Verkehr durch die engen Straßen. Und im Geschäftsviertel Versuchen die Händler Kunden anzulocken, indem sie sich mit lautstarker Musik gegenseitig überbieten.

Wirklich Platz gibt es nur auf dem Boulevard Paseo de Montejo im Norden der Innenstadt, der Ende des 19.  Jahrhunderts angelegt wurde, damit die durch den Sisalhandel reich gewordene Oberschicht einen angemessenen Platz für repräsentative Paläste hat. In einem davon ist heute ein Museum.

Vor allem aber scheint Merida eine Stadt zu sein, die viel Wert auf Kultur legt. Und die auch dabei den allgegenwärtigen Werbealogan „Merida para todos“ (Merida für alle) sehr ernst nimmt. Gerade läuft zum Beispiel das „merida FEST“, ein mehrwöchiges Festival, das fast jeden Abend auch kostenlose Veranstaltungen  auf  Plätzen bietet. Am Donnerstag zum Beispiel modernen Tanz, am Freitag ein Jazzflamencokonzert. Und im dem kleinen Parque Santa Lucia, der eigentlich eher ein Platz ist, gibt es schon seit Januar 1965 jeden Donnerstagabend serenata yucateca, also abendliche, traditionelle Musik. Diesmal spielten dort auf: erst ein Orchester mit vielen Bläsern, dann ein Troubadurquartett mit herrlich zweistimmigem Gesang, ein Solokünstler, der mit Gitarre und Gesang das Publikum zum Lachen brachte, sowie eine ältere, offenbar hier sehr bekannte Dame, die mit einer kleinen Gitarre und imposanter Stimme schmachtfetzige Boleros schmetterte.

Dazu trat noch mehrfach eine Tänzergruppe mit traditionellen weißen Trachten auf. Bei ihrem letzten Tanz balancierten drei Paare Tabletts mit je einer Flasche und vier gefüllten Gläsern auf ihren Köpfen. Erst nur mit der zuvor schon sehr schnellen und wilden Schrittfolge, später drehten sie sich wie Derwische im Kreis, immer schneller, so dass das Wasser aus den Gläsern spritzte. Die Gläser, Flaschen und Tabletts aber blieben bis zum Schluss unversehrt.

Umd während Merida mit klassischen Tänzen begeistert, überrascht es gleichzeitig mit moderner Technik. Denn offenbar gibt es auf allen größeren Plätzen freies und kostenloses WLAN. Auf der zentralen Plaza und auch auf der kleineren, auf der ich gerade neben einer quietschenden Schaukel sitze und in mein Smartphones tippe, gibt es neben einigen Parkbänken sogar Steckdosen, damit man die Akkus aufladen kann. Natürlich auch kostenlos. Merida para todos!

3 Responses to “Merida und das Haus von Tio Rafa”

  1. […] Rafa hat da klare Ansichten: “Dann musst du halt früher auftstehen!” Aber gleich so, dass ich den Bus um 6 Uhr in der Frühe bekomme? Nein, das ist gerade nichts für mich. “Ich bin doch im Urlaub!” Rafa lacht und zieht dabei die Augenbrauen hoch, so wie er das gerne macht. […]

  2. […] Also setze ich mich in den Bus nach Progreso, einen kleinen unspektakulären Ort nördlich von Merida. Am […]

  3. […] Merida: In Merida habe ich im Hostal von Tio Rafa geschlafen. In einfachen Schlafsäle kostet die Übernachtung inklusive Frühstück 120 Pesos. Wer das alte Hostal noch erleben will, muss sich beeilen, es schließt im März 2015. […]

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