grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Mittagessen mit Delfin

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Von La Paz nach Cochabamba sind es acht Stunden mit dem Bus. Von Cochabamba nach Villa Tunari nochmal fuenf. Von dort nach Villa 14 de Septiembre ist es gut eine Stunde mit dem Minibus. Und von da nochmal eine weitere halbe Stunde mit dem trufi, dem hiesigen Sammelñtaxi, nach Puerto San Francisco. Und da musste ich heute hin. Denn in Puerto, so sagt es ja schon der Name, so sagt es mein Reisefuehrer und so sagt es die lokale touristeninformation, da fahren Schiffe. Boote eher, kleine Boote. Aber die in den Regenwald, fuer zwei Stunden, fuer drei tage oder einen ganze Woche. Und ich will in den Wald, etwas tiefer als gestern.

Es geht vorbei an Wald, Wald und Wald.  Erst ueber eine breite Schotter- und Lehmpiste, dann ueber Kopfsteinpflaster. Erst mir 15 Passagieren im Bus, dann mit 8 im taxi. Wir durchqueren einzelne kleine Doerfer, in denen die oertlichen Kokaleros ihre Kokablaetter vor der tuer in der Sonne trocknen. Hier und da waechst Mais, da und dort stehen Bananenstauden. Nach und nach steigen alle anderen Fahrgaeste aus. Ich bin der letzte, als das trufi in einer unscheinbarben Dorfstrasse haelt. Wir sind da, sagt der Fahrer. Und wo ist der Hafen, frage ich. Da und da, sagt er. Und da auch. Er deutet nach vorn, nach links und noch weiter nach lin ks.

Aber da ist alles andere als ein Hafen. Okay, am Ende der Strasse ist wenigstens die Biegung eines Flusses, der ist kaum breiter als zehn Meter. Und da liegen am Ufer auch zwei Boote, eins leer, eins mit Bananen. Holzboote, schmal, vielleicht acht bis zehn Meter lang. Weiter rechts liegt noch so eins. Von dem springen drei vergnuegte Jungs in das truebe Gewaesser. Das ist also ein Hafen.

Ich schaue mich mal um. Puerto San Francisco besteht aus kaum 20 Haeusern. Dazu eine Sammlung verschieden grosser, neuerer Huetten, an einer steht „Baño“.  Laut einem Bauschild handelt es scih hierbei um ein tourismusprojekt, gemeinsam gefoerdert von der bolivianischen Regierung, der Vereinigung der Koka-Bauern – und der Europaeischen Union.  Wow, was fuer einen Kombi! Die Huetten stehen leer.

Dahinter verbirgt sich eine weitere Biegung dess Flusses. Und nach ein paar Metern bin  ich wieder am Ausgangspunkt. Mehr gibt es hier nicht. Wann wird wohl das naechste taxi kommen, um mich zurueckzubringen.

Eine Gruppe Bolivianer laesst sich am Ufer nieder, es sieht nach Picknick aus. Die Kinder spielen, die Frauen legen sich ein paar Meter weiter ins Gras. Ein aelterer Mann setzt sich und streichelt ein junges Wildschwein. Nicht besonders wild, dieses Wildschwein, sage ich. Er laechelt und fasst dem Schwein an den Ruessel. Es fletscht kurz die Zaehne und kuschelt sich dann wieder an den aelteren Herrn. Die beiden kennen ich offensichtlich. Hat es einen Namen, frage ich. Diana, sagt der Mann und erneut durchzieht ein Lachen sein sonnengegerbtes, faltiges Gesicht.  Er ist keineswegs auf einem Ausflug hier. Ihm gehoert das Gelaende. Das Haus dahinter. Die Boote. Und noch merh Boote, die sind aber gerade unterwegs.

Er ruft einen der kleinen Jungen heran. Bring uns die Chicha, sie steht auf dem Holztisch,  und zwei Glaeser.  Der Kleine ist nur einer von insgesamt 16 Enkeln des Mannes. Dazu hat er acht Kinder, von zwei Frauen. Die erste Ehe nach 25 Jahren beendet, oben im Norden, in der Region Beni, dann hier nochmal geheiratet. Auch schon wieder 28 Jahre her.  Familie, sagt er, das sei wichtig. Aber die neue Generation hier in Bolivien, die sei nicht mehr so. So wie, frage ich. Na ja, sagt er, die halte nichts mehr aus, die sammle keine Erfahrung im Wald, die wolle andere Dinge.  Nicht so wie er, sagt er. Ueber 60 seiner 70 Lebensjahre habe er jetzt schon im Regenwald und auf den Fluessen verbracht. Bis nach Brasilien sei er einst gefahren, eine tour dauerte 18 tage, nur die Hinreise.

Der Enkel kommt mit einer Plastikflasche mit trueber Fluessigkeit. Das sei Chicha de Platano, erklaert der Alte, aus Bananen gebraut. So wie die da auf dem Schiff, sagt der Mann. Die koenne man gerade billig kaufen. Eine komplette Staude fuer 10 Bolivianos, rund 1,10 Euro. Der Preis sei so guenstige, weil die Bananen in der Regenzet so gut wachsen. In der trockenzeit steige der Preis auch schon ml auf 20 Bolivianos.  Die Chicha schmeckt sueffig, suess. Aber ohne Alkohol.

Eine seiner Enkelinnen, erzaehlt er, studiert jetzt in Cochabamba. Englisch, Franzoesisch und Deutsch.  Er ist sichtlich stolz, auch wenn es sich hierbei zweifelsohne um eine Vertreterin der neuen Generation  handelt. Er zeigt auf mein Handy. Ob ich damit tatsaechlich nach Deutschland telefonieren koenne, fragt er. Und wie das geht, will er wissen.

Ich erzaehle, dass ich eigentlich wegen einer Bootstour gekommen bin. Ja, sagt er, er biete sowas an. Aber eher in der trockenzeit. Seit November sei hier eigentlch nichst mehr los. Erst im April wieder. Fuer mich als Freund, sagt er, wuerde  eine Fahrt 1.000 Bolivianos kosten. Fuer eine Woche. Es ginge weit in den Wald rein, zu Indigenas und wilden tieren. 1.000 Bolivianos, das sind kaum mehr als 110 Euro. In Gedanke schmeisse ich schon meine Reiseplaene um. Wo man denn unterwegs schlafe, will ich wissen. Auf dem Schiff, sagt er. Ich zeige verwundert auf die schmalen Bananentransporter. Nein, sagt er, das Schiff fuer die tour sei groesser, habe ein zweite Etage, da koenne man schlafen. Aber gerade sei es unterwegs, erst am Mittwoch komme es wieder.

Heute ist Freitag. Das hiesse also erstmal: fuenf tage warten. Und ausserdem, sagt der Alte  dann noch, sei es eh besser, die Fahrt im August zu machen, in der trockenzeit. Dann sehe man nicht nur Fische und Kaimane, wie jetzt, sondern auch tiger und Baeren.

Nun denn. Ich beschliesse den Regenwaldtrip auf ein andermal zu vertragen. Ich muss wohl tatsaechlich mal einen europaeischen Sommer hierin Suedamerika  verbringen. Fuer den Fall der Faelle gibt mir der alte Mann seinen telefonnummer. Und seinen Namen: Delfin Dorado Bercerra.

Ich lache. Er lacht auch. Doch, doch, sagt er, er heisse wirklich so. Er fordert mich auf mitzukommen ins Haus und zeigt mir Personalausweis, Fischerausweis, Holzfaellerausweis, Versicherungskarte. Und  auf allen steht dieser Name:  Delfin Dorado Bercerra, geboren am 16. Juli 1943.

Er stellt mich seiner Cousine vor, einer alten, zittrigen Dame, die freundlich nickt. Und seiner juengste tochter, die ich auf gehobenes teenageralter schaetze. Offensichtlich liege ich daneben. Sie sagt, sie wuerde auch einmal gern Sprachen lernen, wie ihre Schwester, aber es fehle die Zeit. Schliesslich habe sie schon drei Kinder.  Die spielen nebenan mit Plastikpuppenhaeusern. Darueber haengt ein ausgestopfter Adler mit gespreizten Fluegeln. In der Ecke, vor dem Panzer einer Riesenschildkroete liegt der Schaedel eines Krokodils. Jagdtrophaen von Deflfin. 5,80 Meter lang sei dieses Krokodil gewesen, sagt er mit sichtlichem Stolz.  Was er aus der Haut gemacht hat, will ich wissen. Eine Haengematte, sagt er. Eine Haengematte, frage ich irritiert zurueck. Ja klar, fuer unterwegs im Wald. Er holt die Haut eines anderen Krokodils, das nur drei Meer lang war, und haengt sie eigens fuer mch auf. Es liegt sich fantastisch darauf. Die Haut des groesseren Krokodils sei fuer seine Frau gewesen, die sei etwas dicker, sagt Delfin. Spaeter habe er das kompllette Krokodilleder verschenkt.

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Er laedt mich zum Essen ein. Es gibt eine leckere Suppe, dann wieder Chicha, diesmal aber aus Mais. Die sei besser, meint Delfin. Er hat recht, sie ist nicht ganz so suess. Und dann kommt noch der Hauptgang. Ein ganzer tropischer Regenwaldflussfisch, dessen Namen ich mir haette notieren sollen. Zu spaet.  Weil ich ein besonderer Gast bin, gibt es obendrauf noch Teile von zwei anderen Fischen, einer davon ist Surubi, der Fisch, den man hier in allen Restaurants serviert, wenn er nicht gerade schon aus ist.

Nach dem Essen bittet mich Delfin in die Sofaecke, gleich neben dem Esstisch. Was ich von Hugo Chavez, dem verstorbenen, linkspopulistischen Praesidenten Venezuelas halte, will er wissen. Und schon sind wir in einer Debatte ueber die neuen Linksregierungen in Ecuador und, na klar, in Bolivien. Ich sage ihm, dass ich die Idee sehr begruesse, Bolivien einen plurinationalen Staat zu nennen, in dem alle Ethnien, alle Kulturen, alle Menschen, ganz egal ob sie nun Weisse aus der Hauptstadt oder Indigenas sind, die gleichen Rechte haben. Und vor allem auch das, ihre Unterschiedlichkeit leben zu duerfen. So, sagt Delfin, habe es das noch nie verstanden,  er habe halt nicht so viel Schulbildung, nur die Schule des Waldes besucht, da lernt man komplexe Woerter wie plurinational eben nicht. Aber Evo, also Evo Morales, den linken Praesidenten Boliviens mag er dennoch nicht. Dabei ist Delfin eigentlich auch eher fuer eine Umverteilung von oben nach unten – und nicht umgekehrt, wie es nahezu alle Vorgaengerregierungen praktiziert haetten. Aber Evo, sagt Delfin, habe heute zu viel Geld, er sei kein Indigena mehr, kein Kokalero. Er sei zu weit weg.

Was ihn aber wirklich stoert, sind die sindicatos, die Syndikate, in denen sich zum Beispiel die Kokabauern zusammengeschlossen haben bzw. zusammenschliessen muessen. Er habe keine Feinde, betont Delfin, sein Leben lang habe er nur Freunde gehabt, keine Feinde, das passe nicht in sein Konzept. Er gebe gerne, sagt er. Und wenn ein Gast kommt, dann macht man das so, das sei so tradition bei den Menschen aus Beni.  Aber die sindicatos, er zoegert, das sei ja wie bei Fidel, bei Fidel Castro in Kuba. Da denke sich oben jemand etwas aus und alle anderen muessten sich daran halten.  Hier in Bolivien bedeutetdas vor allem eins: Wenn du nicht fuer Evo bist,  sagt Delfin, dann nehmen sie dir dein Land weg.

Es  mag sein, sagt Delfin,  nein, es sei sogar sicher und auch gut, dass Evo Morales mit den Ressentiments gegenueber den Indigenas aufgeraeumt habe. Aber er treibe es zu weit. Er arbeite mit neuen Ressentiments. Diesmal gegen die Weissen. Oder gegen die traditionell in Bolivien unbeliebten Chilenen. Ohne Ressentiments komme auch Evo nicht aus. Und das passt Delfin nicht.

Wir haben fast drei Stunden geredet. Delfin Dorado Bercerra hat mich ein wenig in sein Leben  eingeladen.  Ich kann ihm nichts zurueckgeben als meine Fragen und Antworten. Ich habe ja nichts dabei. Das ist schon okay, sagt Delfin, und klopft mir zum Abschied auf die Schulter.

 

In diesem text fehlen alle grossen „t“ und alle Fragezeichen, weil sich die extrem hakende tastatur im Internetcafe weigerte, diese auf den Bildschirm zu hiefen.   

 

 

 

 

 

 

 

3 Responses to “Mittagessen mit Delfin”

  1. […] Nachts sitzt Ottmar an der Rezeption. Noch nicht lange, erst seit ein paar Wochen. Der 42-Jaehrige ist seit drei Jahran auf Reisen, dass heisst, eigentlich nicht, denn er ist schon seit zweieinhalb Jahren hier in Sucre. Hat von hier aus fuer einen Versandhaendler in Deutschland  die Webseite gepflegt und brauchte gerade mal einen neuen Job.  Demnaechst will er aber wirklich mal wieder reisen, Bolivien anschauen. Viel hat er davon noch nicht gesehen. Er fragt nach der Telefonnummer von Delfin Dorado. […]

  2. […] San Franzisco: Um in das abgelegene Nest mit Regenwaldzugang zu kommen, muss man von Villa Tunari zunächst ein Trufi nach Villa 14. […]

  3. […] Villa Tunari: Unspektakuläres Nest auf halbem Weg zwischen Cochabamba und Santa Curz. Reizvoll vor allem wegen seiner Nähe zum Regenwald. […]

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