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die welt liegt uns zu füßen

Montevideo, kurz vor der Gentrifizierung

Dieser Text erschien während der Reise nur auf Facebook, weil damals der Blog defekt war, er wurde jetzt hier unter dem ursprünglichen Datum nachgetragen.

MONTEVIDEO (gri) Dann geht schon wieder die Sonne unter, spratzt ihr orangenes Licht durch die Wolken und über den Rio de la Plata und wir haben die perfekte Sicht, hier oben auf der Dachterrasse unserer Unterkunft in der Ciudad Vieja, der Altstadt von Montevideo.

Man könnte sagen, Montevideo ist ein wenig wie Cádiz, diese wunderschöne Stadt in Südspanien – nur in groß. Oder wie Colonia, dieses hübsche Ding, in dem wir gerade ein wenig flussabwärts waren – nur in ganz groß. Denn alle drei eint ein geographisches Erfolgsmodell: ihre Zentren liegen auf einer Halbinsel, die sich weit nach Westen ins Wasser schieben.

In Montevideo hat das auch zur Folge, dass es hier wenig Verkehr gibt. Weit kommt man ja eh nicht, wenn auf drei Seiten Wasser ist. Konsequenterweise wurden einige Straßen der Altstadt gleich zur Fußgängerzone umgebaut.

An einer, der Pérez Castellano, wohnen Alberto und Veronica, die ein Zimmer ihrer Wohnung per Airbnb vermieten. Die beiden wohnen nach vorn zur Straße, im Mittelteil ist das schöne kleine Zimmer, hinten eine Küche samt Sitzecke. Alles hat den Charme des Selbstgemachten. Teils haben die beiden Wände aus leeren Flaschen gebaut, andere Wände sind bunt bemalt, das Glas der alten, knarzenden Holztüren wird durch einen Vorhang aus alten Tetrapackschachteln blickdicht. Wer so etwas mag, wird begeistert sein. Wir sind es.

Das beste aber ist die kleine, steile Holztreppe, die neben der Küche nach oben führt. Auf dem Flachdach kann man selbst bei leichtem Regen unter Wellblech frühstücken – immer mit Blick auf den Fluss, der drei Blocks weiter vorbeifließt.

Die eigentliche Sensation liegt am ersten Abend aber nicht vor, sondern hinter uns. Dort türmen sich über der Stadt dunkle Wolken – und ein perfekter, teils sogar doppelter Regenbogen, der den großartigen Sonnenuntergang auf der andern Seite blass aussehen lässt. Kann man besser empfangen werden?

Die Ciudad Vieja ist nicht besonders groß. Und es fehlt ihr nicht nur an Verkehr, sondern auch an Bewohnern. Viele Häuser stehen leer und sind zu verkaufen. Einige wenige bröckeln schon als Ruinen vor sich hin. Ganze Häuser im Kolonialstil vor 150 bis 200 Jahren mit wunderschönen Patios errichtet finden sich auf einschlägigen Seiten im Internet. Man kann sich leicht ausmalen, was hier passieren wird, wenn mal eine internationale Community auf den Geschmack käme.

Erste Anzeichen sind davon zu sehen. Es gibt Bioläden, vereinzelte, nette, kleine Restaurants und Weinbars. Hier und da eine Galerie, die aber eher noch nach Künstleratelier aussieht. Alles mit so viel Charme, dass man glatt beginnt, sich vorzustellen, was man hier mit den richtigen Leuten auf die Beine stellen könnte.

Also solchen wie Alberto und Veronica, die sich ihre helle Wohnung gekauft und hergerichtet haben – und sich nun mit Zimmervermietung und Projekten durchwurschteln können.

Von einer übermäßigen Touristifizierung scheint zumindest diese Ecke von Montevideo noch weit entfernt – auch dank der Wirtschaftskrise in Argentinien auf der andern Seite des breiten Flusses. Die hat dazu geführt, steht in der Zeitung, dass die Touristen aus Buenos Aires ausbleiben. 30 Prozent weniger seien im vergangenen Jahr gekommen. Zudem, erklärt Veronica, hätten viele Uruguayer in den letzten 15 Jahren das Land Richtung Europa verlassen, da die Krise des großen Bruders im Süden auch hier deutlich Spuren hinterlassen hat. Auch deshalb gebe es hier so viel Leerstand.

Die eigentliche Innenstadt beginnt ein paar Kilometer weiter östlich an der Plaza de la Independencia. Dort zuckeln die Busse über die von hohen Häusern und Geschäften gesäumte Avenida. Und noch viel weiter östlich gibt es nicht nur ganz brauchbare Strände, sondern auch offensichtlich die Viertel der Betuchten. Nur das Wasser im Fluss kann nicht mithalten. An einigen Stellen gibt es bräunliche Schaumkronen, da bleibt selbst die begeistertste Schwimmerin nicht lange drin. Zum Glück gibt es guten Kaffee in der einfachen Bude gleich hinterm Strand. Und Empanadas mit Fisch.

Und sonst: Für schöne Buchhandlungen scheinen die Menschen hier ein Händchen zu haben. Ähnlich wie El Ateneo in Buenos Aires, das in einem ehemaligen Theater untergebracht ist, gibt es hier nur wenige Meter von der Plaza de la Independencia entfernt, einen sehr schönen alten Laden über zwei Etagen mit breiter Treppe. Wir haben ein Buch mit Kurzgeschichten von Samantha Schweblin gekauft, das uns gleich zwei MitarbeiterInnen – und zuvor schon eine Argentinierin in Buenos Aires – sehr empfohlen haben. Katha liest es jetzt mit Begeisterung. Es heißt „Siete casas vacias“, also „Sieben leere Häuser“, passt also gut in diese Stadt.

Es gibt auffällig viele und große Graffiti hier, manche sind eher schon Murales. Mal zeigen sie Menschen, mal Tiere wie einen sich über eine Hauswand erstreckenden Wal. Oder fröhliche, pinke Monster, die auf einer Altbautür an der zentralen Avenida behaupten: El mundo es mio. Die Welt gehört mir. Unten am Hafen warnt ein Graffito vor der Gentrifizierung: „Die Mieten steigen. Die NachbarInnen werden vertrieben. Die Identität geht verloren“. Hundert Meter weiter steht ein Mann auf der Straße und grillt.

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