grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Tupiza, das Pferd und die rote Fahne

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Tupiza ist schoen, wunderschoen, so schoen, dass ich hier bei meinem schon letzten Etappenziel vor der Rueckfahrt nach La Paz einfach nochmal ueber alle Massen ins Schwaermen geraten muss. Um es deutlich zu sagen: wer auf seiner Bolivien-Reise Tupiza auslaesst, der hat eindeutig etwas verpasst.

Das liegt weniger an der ruhigen, etwas verschlafenen Kleinstadt ganz im Sueden des Landes. Ausschlaggebend ist vielmehr ihrer Lage. Ganz egal in welche Richtung man schaut, stets sieht man am Ende der Strasse einen Berg. Und was fuer einen! Gross. Hoch. Mehrere hundert Meter. Steil. Und rot. Dunkelrot. Manchmal auch hellrot. Mal ins ocker changierend, mal braeunlicher, mal gelber. Je nach Sonnenstand und Wolkendichte. Aber rot.  Und dahinter machmal noch ein Berg: der dann in gruen. Oder dunkelgrau, schwarz.

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Um solch eine beindruckende Stadtlage zu erleben, muss man in Bolivien in tiefer gelegene Gegenden fahren, also auf unter 3.000 Meter. Tupiza liegt auf 2.950 – und damit ziemlich exakt auf der Hoehe des Gipfels der Zugspitze. Nur dass das hier nicht der Gipfel ist, sondern das Tal, Vorschau der Änderungendas wunderbare Tal – Valle Hermoso, so heisst mein nettes Hostal. Es hat eine Dachterasse, wegen der Aussicht,  so soll es sein.

Und es hat Vanessa, die junge Bolivianerin sitzt an der Rezeption, ist fast etwas enttaeuscht, dass ich auch Spanisch kann, wo sie doch so gern Englisch redet, und bietet mir gleich eine Tour in das wunderbare Umland des wunderbaren Tals an – fuenf  Stunden, mit dem Pferd! Dabei bin ich doch noch nie geritten.  Macht nichts, sagt sie, denn da ist noch ein weiterer Gast des Hostals, der diese Tour machen will, und zu zweit wird es wesentlich guenstiger. Ich zoegere, ich bitte um Zeit, ueber das Angebot nachzudenken – bis zum naechtsen Morgen. Ich auf nem Pferd? So weit kommts noch!

Vor ziemlich genau 40 Jahren war da dieses Pony am Ostseestrand. Meine Eltern hatten es fuer einen Ausflug gemietet. Ich weiss gar nicht, ob ich ueberhaupt mal drauf gesessen habe oder nur mein grosser Bruder. Aber eins ist sicher: das bloede Vieh wollte die ganze Zeit nur fressen, gruenes Gras am Wegesrand.

Heute weiss ich: das geht der ganzen Gattung so. Tango, der achtjaehrige Hengst, hat gerade erst seine Heimatkoppel verlassen, da macht er schon Halt am Wegesrand. Frisches Gras knabbern. Hey, sage ich, so nicht, mein Freund. Ich zerre am Zuegel, so wie Jorge, unser Guia, uns das gerade erst beigebracht hat. Aber Tango will fressen. Fester, sagt Jorge. Ich reisse ein wenig unsanft am Zuegel, Jorge schnalzt freundlich mit der Zunge und tatsaechlich laesst sich der Gaul dazu bewegen, weiterzutraben. Ein paar Meter wenigstens, dann haelt ihn das naechste leckere Gebuesch auf. Na toll.

Ich bin ratlos. Mitzi, der Japanerin, die mich auf dieser zum Glueck doch nur dreistuendigen Tour begleitet, oder die vielmehr ich auf dieser Tour begleite, denn schliesslich war es ihre Idee, ist es ihre Schuld, dass ich jetzt hier wackelig im Sattel sitze, Mitzi also, die sich wahrscheinlich anders schreibt, auf jeden Fall, klar, mit japanischen Buchstaben, die man aber genau so ausspricht, wie wenn man eine Katze ruft, erklaert sie mir auf englisch, Mitzi also geht es zum Glueck keinen Deut besser. Ihr Pferd heisst Papi und ist – bei einem Blick zwischen das hintere Gelaeuf ueberdeutlich zu sehen – ein geschlechtsreifer Hengst. Aber auch Papi hat mehr Interesse an Gras und Gebuesch am Wegesrand, als an den Wegen selbst.

Immerhin bewegen sich die Tiere sehr langsam. Und wir tragen Sturzhelme.

Jorge schnalzt und schnalzt. Ab und an kommt er herbeigeritten, zieht mal bei mir, mal bei Mitzi am Zuegel und irgendwann scheint so ein stolzes Tier wie Tango tatsaechlich zu begreifen, dass nun eben ein blutiger Anfaenger wie ich das sagen hat. Ein leichter Stoss mit den Fuessen in die Seite und das Tier trabt voran. Unglaublich. Die Zuegel etwa nach rechts und das Tier trabt nach rechts, ganz in echt. Tolle Sache. Wenn nur nich dieser staendige Gedanke waere, was wohl passiert, wenn der Gaul doch ploetzlich Lust hat, loszugaloppieren.

SONY DSCHat er aber nicht. Stattdessen geht es in langsam gemuetlichen Trab erstmal in die Quebrada de Palmiras, durch ein nahezu trockenes Bachbett sanft ansteigend durch Sand und Geroell an Kakteen mit weissen Blueten vorbei und zwischen sehr stacheligem Bueschen mit bohenartigen Fruechten hindurch, die man, nein, nicht essen kann, sgat Jorge, die aber bei der hiesigen maennlichen Bevolekerung als natuerliches Viagra gelten, was er natuerlich noch nie ausprobiert hat, vorbei an Geroell, Kakteen und Gebuesch also hinauf zu den roten Bergen, die die Stadt umgeben. Diese roten Berge!

Am Ende der Quebrade steht die puerta el diablo, das Teufelstor. Es besteht aus zwei vielleicht 20 Meter hohen, senkrecht stehenden Felswaenden rechts und links, natuerlich beide rot, zwischen denen eine Luecke klafft. Senkrecht, das ist das Zauberwort in dieser Gegend. Denn die geologischen Schichten, die sich irgendwann vor Millionen von Jahren mal in der Waagerrechten offensichtlich aus mineralhaltigen Sanden und Geroell gebildet haben, wurden durch die Entstehung der Anden in die Senkrechte gekippt – und sind so nun der Erosion ausgesetzt.

Was dabei herauskommt, kann man im valle de los machos bewundern, das gleich hinter dem Teufelstor beginnt: Jede Menge senkrechte, von einander abgegrenzte Felsscheiben, die teilweise wiederum selbst durch die Erosion so zerklueftet sind, dass nur noch einzeln stehende, ja sehr phallisch wirkende – daher der Name des Tals – Saeulen in den blauen Himmel ragen. Schon wieder koennte ich jede Minute zehn Fotos machen. Aber – aehnlich wie bei einer Busfahrt ist auch das Fotografieren auf einem Pferderuecken dem Zufall ueberlassen. Also stecke ich die Kamera wieder weg, weil es eh keinen Zweck aht. Und hol sie gleich wieder raus, weil diese Landschaft, diese Zerklueftung, dieses Rot, dieses unglaubliche …, irgendwie muss man das doch einfangen, also wengistens versuchen.

Das Tal wird eng und enger. Und dennoch geht es weiter in den letzten Teil, eine enge Schlucht, den cañon de los inkas. Ob die hier gelebt haben, die Inkas, will ich wissen. Ja, sagt Jorge, es gebe jede Menge archaeologische Funde, die belegen wuerden, dass die Inka selbst hier im Sueden Bolivien eine zeitlang aktiv gewesen sein muessen.

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Noch zwei, drei Kurven, dann geht es nicht mehr weiter, jedenfalls nicht mit dem Pferd. Wir steigen ab, die armen Gaeule duerfen aus dem kuehlen Gebrigsbach saufen. Mitzi und ich klettern noch ein wenig die Schlucht hoch, aber weit kommen wir auch nicht. Von hier ab geht es fast nur noch senkrecht nach oben, nach oben hinauf zu den Gipfeln der roten Berge. Beim Blick zurueck auf unsere trinkenden Pferde, auf den im Schatten ruhenden Jorge wird klar: niemand wuerde sich wundern, wenn gleich oben auf den schroffen Felsen ein paar laut heulende Indianer mit Pfeil und Bogen auftauchen wuerden. Wir wuerden dann einfach unserer Cowboyhuete – welche Cowboyhuete? Waren das nicht Sturzhelme? – tief ins Gesicht und die Knarre aus dem Halfter ziehen und uns den Rueckweg freischiessen. Ich haette vollstes Vertrauen, dass Tango und seine beiden Kollegen uns sicher nach hause bringen. Die kennen den Weg. Sogar ganz ohne Indianer.

Und was ist jetzt mit der roten Fahne? Ja genau, was soll eigentlich diese blutrote Fahne, da oben auf dem Kamm der roten Berge auf der anderen Seite des Flusses? Jorge fragen! Jorge, kannst du mir sagen, warum das oben eine rote Fahne weht? Klar klann er das. Sie ist Symbol fuer den Kampf. Nicht irgendwelcher Arbeiter, Minienarbeiter vielleicht, denn Bergbau gibt es, wenig ueberraschend bei so offensichtlich mineralhaltigem Gestein auch in dieser Gegend, nein, diese Fahne, sagt Jorge, steht fuer den Kampf des Volkes der Chicha um Anerkenneung und Autonomie. Der Chicha? Ja, sagt Jorge, so heissen die hiesigen Indigenen, von denen auch die Bewohner Tupizas abstammen.  Sie wollen, erklaert unser Guia, so wie die Quechua, die Aymara und viele andere Voelker auch, die in der Verfassung des plurinationalen Staates festgeschriebenen Rechte einer Minderheit in Anspruch nehmen: Autonomie, Selbstverwaltung, mehr Unabhaengigkeit von der Zentralregierung. Aber dafuer muessten sie erstmal als indigene Minderheit anerkannt werden. Und fuer diesen Kampf weht die rote Fahne, hoch oben ueber der Stadt.

Unten in der Stadt, an einer Ecke  der Plaza ist die vielbesuchte Heladeria Cramer, ein Eiscafe, in dem die Bolivianer Eis essen und in dem ich Kaffee trinke. Einen Cafe con leche in der Tasse. Eine Zeitung in der Hand. Einen Pferdeausflug schon nur noch als Erinnerung im Kopf. Ayayay, Bolivia!

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4 Responses to “Tupiza, das Pferd und die rote Fahne”

  1. Herrlich!!!
    Allein bei der Vorstellung, Dich auf dem anfangs lieber grasenden als galoppierenden Gaul – auch noch mit dem Namen Tango – zu sehen, konnte ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen 😀 😀 😀
    Ich hoffe, dass es doch auch ein Foto davon gibt. 😉 und dass das ein oder andere Bild von der Landschaft gelungen ist.

  2. […] und das Buero, das Touren an die Touristen vermittelt. Mal einen dreistuendigen Ausritt, wie bei mir. Mal die Rundreise zum Salar de Uyuni, die man auch von hier aus buchen kann. Sie dauert von hier […]

  3. […] Fast meine Lieblingsstadt in Bolivien. Einmalig zwischen roten Bergen gelegen. Sollte man auf keinen Fall […]

  4. […] Meine Lieblingsüberraschung am Ende einer langen Reise. Die angenehme Kleinstadt Tupiza liegt in einer Talsohle auf 2.900 Metern zwischen fast senkrecht aufragenden roten Bergen, in die […]

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