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die welt liegt uns zu füßen

Wer ist der Mann mit dem Hackentrick?

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Dies zumindest ist sicher: Es ist das Tor des Jahres, wenn nicht des Jahrzehnts. Denn dieser Treffer ist außergewöhnlich. Ein langer Pass nach vorn auf den Stürmer – und der kickt dann im vollen Lauf volley mit seiner Hacke unter den direkt hinter seinem Rücken herunterkommenden Ball, so dass dieser einen Bogen fliegt, rund 40 Meter weit, hinweg über die Gegenspieler, über den verdutzten Torwart, um dann passgenau ins Netz zu segeln. Wow!

Kein Wunder, dass der Treffer im Internet gefeiert und das Video weltweit verlinkt wird. Das auf youtube veröffentlichte Orginalvideo wurde in nur vier Tagen fast 2 Millionen Mal angeklickt. Hinzu kommen zahlreiche Kopien des Filmchens, die teils auch schon mehrere Hundertausend Klicks aufweisen. 11freunde feiert den Schützen als „Glücksritter mit Hacke“, Spiegel Online schreibt von „Zauberfußball“ und bild.de meint „Spektakulärer als Zlatan“, denn, so bild.de weiter, „Wer ist Zlatan?“ – also der bisher wegen seiner spektakulären Treffer für Paris St. Germain und die schwedischen Nationalmannschaft gefeierte Zlatan Ibrahimovic – im Vergleich zu diesem Kunstschützen?

Nur eine Frage beantworten all die kleinen Hymnen nicht. Dabei ist die viel angebrachter: Wer ist der Torschütze?

Aus den Minitexten zum Video erfährt man nur rudimentäres: Der Spieler heißt Motaz Salhani, auf manchen Internetseiten auch Moataz Salhani geschrieben, er ist 28 Jahre alt – und Syrer. Salhani ist Stürmer bei Al-Weedat (manchmal auch Al Wahdat oder Al-Wihdat geschrieben), einem Verein in der jordanischen Fußballliga, der in diesem Spiel auf den Konkurrenzclub Al-Ramtha traf. Das war es dann auch schon.

Selbst um zu erfahren, wie das Spiel eigentlich ausgegangen ist, muss man sich tief durchs Netz wühlen, zumal man selbst auf der inaktuellen Seite des Jordanischen Fußballverbands nicht fündig wird. Besser informiert wird man auf Fußballstatistikseiten wie soccerway, wo man schließlich erfährt, dass die Partie Al Ramtha gegen Al Wihdat am Samstag, den 15. März 2014 mit 0:1 endete. Salhanis Kunstschuss war folglich nicht nur einmalig toll, sondern auch spielentscheidend. Al-Whidat liegt Dank dieses Sieges am 12. Spieltag punktgleich mit dem Spitzenreiter Al-Faisaly auf Platz 2. Al-Faisaly ist der Rekrodmeister in Jordanien mit bisher 32 Titeln, Al-Whidat ist der größte Konkurrent und kommt auf 12 Titel, wie man in deutschen Wikipedia erfährt.

Und dann steckt man plötzlich mitten in den ganzen Konflikten, die den Nahen Osten seit Jahrzehnten beschäftigen.

Denn beide Clubs stammen aus Jordaniens Hauptstadt Amman, Al-Whidat aber hat eine besondere Geschichte: Es ist der Club des Amman New Camp, einem der größten palästinensischen Flüchtlingslager in Jordanien. Es wurde nach Angaben der UNO bereits 1955 gegründet, um Palästinerser aufzunehmen, die damals aus dem neu gegründeten Israel flohen. Das längst Stadt gewordenen Flüchtlingslager hat heute 51.000 Bewohner, 13 Schulen, ist vollkommen überbevölkert, leidet unter Armut, Arbeitslosigkeit und unter dem Mangel an Grünflächen.

Aber: das Camp hat einen eigenen Fußballclub – Al-Wihdat.

Und dort spielt heute Motaz Salhani. Allerdings erst seit kurzem. Bis Jahresbeginn war er noch im Team von That Ras, einen anderen, nicht ganz so erfolgreichen Club der jordanischen Liga. Bis 2011 war Salhani – wie man zum Beispiel auf bei der Statistikseite goalzz erfährt – Spieler bei Al-Wahda, einem Verein aus Damaskus, der Hauptstadt seines Heimatlandes Syrien.

Die englische Wikipedia führt Salhani mittlerweile in der Liste einstiger „Famous Players“ von Al-Wahda. Zwei weitere Spieler werden dort mit der Bemerkung „killed in Syrian civil war in Oct 2013“ geführt. Bei einem weiteren heißt es „passed away in 2011“. Auf der Seite des Violation Document Center in Syria, einer NGO die die Namen der Bürgerkriegsopfer auflistet, heißt es über Anas Shalash, einen der beiden getöteten Spieler, dass er am 25. Oktober 2013 zusammen mit dutzenden anderen Zivilsten durch eine Autobombe getötet wurde, die nach einem Fraitagsgebet vor einer Moschee hochging.

Fußball und Krieg – ein zweites Mal treffen sie aufeinander, bei der Suche nach der Geschichte von Motaz Salhani.

Und eine weitere Frage drängt sich auf: Hat Salhani, der Mann mit dem Hackentrick, Syrien verlassen, weil dort der Bürgerkrieg begann? Oder ist er nur das Nachbarland gewechselt, weil er dort bessere sportliche oder finanzielle Perspektiven hatte?

Ich weiß es nicht. Vielleicht weiterführende Internetseiten sind auf Arabisch. Und das kann ich nichtmal lesen. Ich wüsste gern mehr darüber.

Am 15. März 2011 demonstrierten erstmals Studenten in Damaskus gegen das Assad-Regime. Der Tag wird von vielen heute als Beginn der Proteste gesehen. Exakt drei Jahre später, am 15. März 2014, erzielt Motaz Salhani sein Traumtor. Sicher, das ist nur ein kalendarischer Zufall. Aber er verdeutlicht, wie sehr selbst so eine Nebensache wie der Fußball einen Bezug zum Krieg in Syrien hat.

One response to “Wer ist der Mann mit dem Hackentrick?”

  1. herr grimo sagt:

    Der Kollege Martin Krauss hat jetzt ein paar Antworten auf meine Frage gefunden und für die taz aufgeschrieben: http://www.taz.de/Moataz-Salhanis-Hackentreffer/!135398/

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