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Cáceres – mit dem Rollstuhl durchs Mittelalter

Cáceres ist eine Herausforderung. Ein Juwel, ein mehr als lohnendes Ziel. Aber die Stadt ziert sich. Das fängt schon an mit ihrer Lage auf der Karte, weit im Westen Spaniens in Estremadura. Wer hier nicht wirklich hinwill, kommt auch nicht zufällig vorbei. Aber wir wollen ja.
Vor Ort geht es weiter. Denn Cáceres ist vor allem wegen seiner Altstadt sehens- und besuchenswert. Die heißt anders als in anderen Städten nicht centro historico sondern centro monumental – und dieser Name sagt alles. Der mittelalterliche Stadtkern liegt innerhalb einer Festungsmauer, in der sich jahrhundertealte Häuser, Paläste und Kirchen an engen Gassen drängen, die über holpriges Kopfsteinpflaster teils steil bergauf oder bergab führen, wenn sie nicht gleich aus Treppen bestehen.


Anders gesagt: für Rollifahrer die Hölle. Oder eben eine Herausforderung. Wir nehmen sie an.
Beim ersten Besuch am Montagabend starten wir von der schön weitläufigen, autofreien Plaza Mayor, auf deren einen Seite sich Restaurants mit leckeren Tapas drängeln und auf deren andere Seite die Burg steht. Es geht steil bergauf, aber es geht durch den Arco de La Estrella hinein ins holprige Vergnügen. Zur kaum 100 Meter entfernten Plaza de Santa Maria geht es leicht, denn wie fast überall im centro monumental gibt es neben der Holperstrecke in der Mitte der Gasse am Rand so eine Art bordsteinlose Randspur aus Granitplatten – fast immer in Rollstuhlbreite. Das holpert zwar auch, aber es geht. Umso schöner dass diese Spuren auch quer über die Plätze gelegt sind, das macht das centro tatsächlich erfahrbar. Nicht nur Herr Oppermann, auch Familien mit Kinderwagen und andere ältere BesucherInnen, die vor allem in die am Platz liegende Concatedral de Santa Maria strömen, nutzen dieses Angebot gern.
Die Kirche ist rappelvoll, Menschen gehen ein und aus, drinnen ist gerade eine Messe – wie eigentlich immer den ganzen Tag. Laut Aushang gibt es hier 11 Messen täglich – sonntags natürlich noch mehr.
Drinnen über dem Altar thront die Jungfrau in einem hellblauen Mantel. Sie wurde – erklärt uns später ein Kellner – an diesem Wochenende per Prozession durch die Stadt getragen und hat ansonsten einen anderen Mantel an, deshalb ist die Stadt heute am 1. Mai voller fein gekleideter Menschen, die der Jungfrau ihre Aufwartung machen.
Herr Oppermann hätte über das Portal auf der rechten Seite in die Kirche gekonnt, dort gibt es drinnen eine Rampe, aber es ist einfach zu voll. Also hoppeln wir weiter über die Plaza Golfines zur Plaza San Jorge, zu der sogar eine Rampe hochführt! Dann ist aber schon Schluss für heute. Die eine Gasse führt steil nach unten, die andere steil nach oben, so steil, dass sie nur noch aus Treppen besteht. Und so weit gehen wir mit unserem extreme wheelcharing dann doch nicht.
Auf der Plaza aber gibt es ein nettes kleines Café mit kühler Cerveza, den hier üblicherweise dazu servierten köstlichen Oliven und einem rollstuhlgerechten Klo!

Derweil klärt mich Herr Oppermann noch ein wenig auf. Denn Kopfsteinpflaster ist nicht gleich Kopfsteinplaster. Es gibt solches wie in Berlin, wo viele Wege mit den kleinen Steinen versehen sind, die in ortsüblicher Tradition dort gern am 1. Mai durch die Gegend geworfen werden. Über die lässt sich, wenn sie gut verlegt sind, ganz gut rollen. Es gibt die mit den breiteren Hubbeln. Die sind schon haariger, weniger wegen der Hubbel, als wegen der tieferen Kanten dazwischen, in denen sich die kleinen Vorderräder des Rollis verkanten können. Und dann gibt es so hübsches Mittelalterplaster wie hier in Cáceres, wo wild durcheinandegewürfelte, teils spitze Steine aus dem Boden ragen. Geht gar nicht! Oder besser gesagt: rollt gar nicht! Und die freundlich gemeinte Hilfe vom Schieber kann zur Katastrophe führen, wenn sich der Rolli verkantet und dann durch den gut gemeinten Druck von hinten eins der kleinen Räder bricht. Das kann auch auf den eigentlich besser geeigneten Granitplatten passieren, wenn sich wie hier zwischen Ihnen teils tiefe Furchen auftun.

Optimal für eine Tour durch Städte wie Cáceres wäre eigentlich ein Rolli mit Breitreifen und größeren Vorderrädern. Aber wer hat sowas schon zur Hand?


Den Abend verbringen wir daher unten auf der Plaza Mayor, die ist schön schräg genug. Und es gibt delikate Dinge wie tarta de rabo de torro (was mit Ochsenschwanztörtchen korrekt, aber irgendwie unpassend übersetzt wäre). Oder so ein Spargelschinkenbalsamicoding – lecker!


Weil Herr Oppermann es am nächsten Morgen mal wieder langsam angehen lässt, mache ich mich erst nochmal alleine auf den Weg ins monumentale Zentrum. Treppen rauf und runter vor allem durch das jüdische und arabische Viertel, beide sind sehr eng, sehr malerisch, sehr steil und extrem holperig – und erzählen von der alten Geschichte Spaniens, in der einst Christen, Juden und Muslime auf engstem Raum einträchtig zusammen lebten, bis nach der Jahrhunderte bis 1492 dauernden Reconquista durch die Katholiken Juden und Muslime weitgehend vertrieben wurden.


Theoretisch, so viel wird mir klar, könnte ein Rollifahrer den gesamten „Außenring“ der Altstadt abrollen. Zumindest habe ich auf dem ganzen Rundgang nur zwei, mit etwas Hilfe durchaus zu bewältigende Stufen gefunden. Allerdings sind die Straßen vor allem auf der zum Tal hin abfallenden Seite so steil, dass diese Route wenn überhaupt dann nur mit Hulk als Schieber und Stopper empfohlen werden kann.


Weitaus machbarer ist der Besuch über die Puerta de Mérida, die man über hübsche kleine Sträßchen von der Plaza San Juan aus erreicht. Auch hier sollten Rollifahrer aber einen Begleiter dabei haben, der ab und an mal eine Steigung oder einen Bordstein hoch hilft.
Drinnen in der Altstadt erreicht man dann schnell die am höchsten gelegenen Plaza de San Pablo und Plaza de las Veletas. Von letzterer hat man einen schönen Blick auf das gleich außerhalb der Stadtmauern beginnende bergige Land.
Am Nachmittag sind Herr Oppermann und ich dann von hier über die Calle Condes zur Adarve de Santa Ana geruckelt, die schon wieder an der Außenmauer liegt. In diesem Viertelchen kann man die meisten Gassen per Rollstuhl einigermaßen gut erreichen.


Wir haben uns dann entschieden die Adarve de La Estrella herab zu rollen, zu dem Teil der Stadt, in dem wir schon am Vorabend waren – zur Sicherheit rückwärts mit mir als Bremser voran. Ich will ja nicht, dass mir Herr Oppermann einfach davonrollt.
Wir sind dann nochmal zur Plaza de Santa Maria gezogen. Dort an der Ecke zur Calle Tiendas befindet sich der besuchenswerte Palacio de Carvajal. Gleich im Eingangssaal, den man dank einer kleinen Rampe gut erreicht, befindet sich ein schönes Modell der Altstadt in einer Virtrine. Vom Hof gelangt man nicht nur zu einem rolligerechten Klo, sondern auch zu einem Büro einer Touristeninformation, an deren hinterer Seite sich eine Tür versteckt, durch die Rollifahrer den erstaunlich ruhigen Garten erreichen können. Die Mitarbeiter öffnem einem diese Tür gerne. Und der Garten ist pure Entspannung. Hier und da zwitschern Vögel, ab und an hört man das in Klappern der in Cáceres allgegenwärtigen Störche, die hier auf Kirchtürmen, Mauervorsprüngen oder draußen auf dem Land auf Strommasten nisten.

Cáceres ist eine echte Storchenhochburg, so wie man es sonst nur in Brandenburg kennt. (Man sieht hier übrigens auffällig oft Paare mit Zwillingskinderwagen, der Zusammenhang ist ja wohl offensichtlich.
Und sonst? Sonst ist Cáceres eine weitgehend moderne Stadt, mit den für Spanien typischen Klotzbauten. Es gibt aber eine langgestreckte, parkähnliche Allee in der Neustadt, mit im Schatten liegenden Cafés. Wir waren besonders gern im Kiosko de la Musica, auch weil eine lobenswerte Rampe rein zum Rolli-WC führt.
Auffällig ist noch die extrem fußgängeunfreundliche Ampelschaltung an fast jeder Kreuzung hier – man soll jedesmal ewig auf Grün warten, auch wenn weit und breit kein Auto kommt. Aber vielleicht ist das auch nur so, damit man die gendergerechte Ampel ausgiebigst bewundern kann.

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Und: es gibt ein Denkmal für eine Zeitungsverkäuferin!

Eine sehr sympathische Stadt also.

Herr Oppermann hingegen ist abenteuermüde geworden und meint: einmal reicht.

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