grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

La Paz – Die Schraege

IndioviertelOben ist unten. Und umgekehrt. Auf halber Hoehe trifft sich alles, dicht gedraengt im bis zum Rand bebauten Talkessel. La Paz ist schraeg. Strassen in der Horizontalen sind hier praktisch nicht zu finden. Es geht hier entweder rauf oder runter. Und das meint dann in der Regel steil rauf bzw. sehr steil runter. Auf rund 3800 Meter Hoehe soll die Hauptstadt Boliviens gebaut sein. Und ich frage mich, welchen Punkt sie dafuer gemessen haben. Denn genausogut koennte man sagen, La Paz befinde sich auf ueber 4.000 Meter. Denn dort auf einer Hochebene – also ganz oben – ist das Armenviertel El Alto, das mittlerweile laengst zu einer eigenen Millionenstadt herangewachsen ist. Und wer Geld hat wohnt ganz unten – in den rund 1000 Meter tiefer gelegenen Vororten.

Aber im Zentrum ist dennoch alles dicht beieinander. Hundert Meter vom Praesidentenpalast stehen ein paar Wellblechhuetten an einem Hang. Und wieder 50 Meter weiter schiessen die Hochhaeuser des Bankenviertels in die Hoehe. Im Indioviertel draengen sich die Touristen an den Artesania-Laeden vorbei, eine Strasse weiter verkaufen die „Hexen“ ihr mehr oder weniger wirksames Zeugs – zum Beispiel San Pedro, einen Kaktus, der sehr hallozinugene Wirkung haben soll, gibt es am Stueck, in Scheiben getrocknet oder als Pulver. Als ich keine der drei dargereichten Formen probieren wollte, war die Verkaeuferin richtig enttaeuscht. Ich hab dafuer Palo Santo erstanden, ein Stueck gut riechendes Holz.

MarktviertelEin paar Meter weiter wird taeglich ein ganzes Viertel zum Markt umgebaut. Auf den Strassen und in engen Gassen gibt es vom Turnschuh bis zur Klosettschuessel einfach alles. Man muss nur wissen, in welcher Ecke es welches Angebot gibt. Und man darf sich nicht verlaufen. Und man muss ein wenig vergessen, wie gefaehrlich diese Stadt sein soll. Schon als wir aus dem Bus ausstiegen, kamen gleich drei Polizisten auf uns zu, fragten, wo wir hin wollten, winkten uns ein Taxi heran, handelten mit dem Fahrer den Preis aus und schrieben dessen Nummer auf. Sicher ist sicher. Klar. Aber kein Wunder, dass sich bei einem anscheinend so noetigen Sicherheitsservice der Tourist gleich etwas unsicher fuehlt – wie die Zeitung La Razon in ihrer Sonntagausgabe per Umfrage herausgefunden hat. Am Montag legte sie dann gleich mit einem Kommentar nach, dass die Pacenos doch bitte aendern sollen und mehr die Gastfreundschaft pflegen sollen – statt die Touristen umzubringen, was aber zum Glueck nur in seltenen Ausnahemfaellen geschehe. Wie schoen!

Wer tatsaechlich sich ein wenig auf die Stadt einlaesst und die Augen offen haelt, wird aber feststellen, dass die auf den ersten Blick keinesfalls schoene, aber auf den zweiten Blick doch sehr lebendige Stadt einiges mehr zu bieten hat, als ein Gefuehl der Angst – zumindest tagsueber. Man kann zum Beispiel stundenlang an der zentralen Avenida vor einer Kirche im Bankenviertel hocken und die Passanten beobachten – die Teils in westlicher Jugendkleidung, teils im schicken Anzug oder Pelzmantel, teils in bewaehrter Indiotracht daherkommen und die sich quer durch alle Schichten beim Passieren der Kirche bekreuzigen.

Oder man geraet – mal wieder – zum Beobachter lateinamerikanischer Demonstrationskultur. Gestern Abend war die einzige mehrspurige Strasse durch La Paz ploetzlich ohne Autos. Der Grund: ein paar hundert Meter bergauf standen etwa 200 Leute auf der Strasse. „Ist das eine Demonstration?“, fragte ich einen der dort stehenden Maenner. „Nein“, antwortete er , „das ist eine Blockade!“ Auch wenn diese feine Unterscheidung fuer mich – und spaeter auch fuer einheimische Passanten – nicht ganz nachvollziehbar erschien, erfuhr ich doch durch intensive Recherche vor Ort, dass hier Eltern dagegen protestieren, dass die Schule ihrer Kinder einem lukrativen Bueroneubau weichen soll. Der Protest richte sich ausschliesslich gegen den Buergermeister wurde betont, nicht gegen den offenbar allseits beliebten Praesidenten Evo Morales. Der ist wohl auch mit anderen Dingen beschaeftigt. Auch die Polizei hatte alle Haende voll zu tun. Erst wurde der tobende Verkehr umgeleitet, dann die Demonstration sanft zur Seite gedraengt und damit die Strasse nicht gleich wieder blockiert wurde, wurden schliesslich Autos und Busse herangewunken, die in einem Mordstempo durch die Gasse der Polizisten heizten – sehr zum Aerger der DemonstrantInnen. Zwei Indigenas in der ueblichen Tracht mit bunten Roecken und den lustig schraeg auf dem Kopf sitzenden Bowler-Hueten nahmen kleine Steine und warfen sie auf jedes vorbeikommende Auto, mit wild wuetendem Gruss an die Blockadebrecher. Ein in westliches Buerooutfit gekleidete Passantin wollte nicht glauben, dass es in Deutschland auch Demonstrationen gebe. „Doch doch“, versicherte ich ihr. Nur Steine werfende Muetter, die gebe es bei uns nicht. „Ach“, meinte die Passantin, „bei uns machen das die Frauen immer!“

Bolivar-Denkmal auf der AvenidaAm Sonntag – nach dem ersten Rundgang waere ich am liebsten gleich wieder abgefahren. Heute am Dienstag wuerde ich liebend gerne noch bleiben. Aber in anderthalb Stunden faehrt mein Bus zurueck nach Lima. Er benoetigt kaum mehr als 24 Stunden und ich werde danach sicher bald Urlaub brauchen. Man koennte glatt etwas sentimental werden. Zum Glueck habe ich hier in La Paz nochmal fast alle wichtigen Leute dieser Reise wieder getroffen. Erst Linde und Kati in einer Kneipe, dann auch noch den Katalanen Manel, den ich erstmals in Cabanaconde und dann wieder in Copacabana getroffen hatte. Der hat dann gestern Abend noch die estadounidense Alica und die Portugiesen Sofia angeschleppt, so dass wir zusammen mit Stephan und mir zu fuenft meine letzte Nacht vor der Rueckfahrt mit Bier und Pisco Sour begiessen konnten.

Nun denn, ich muss zum Bus.

3 Responses to “La Paz – Die Schraege”

  1. […] und waerme, hoffentlich haelt es sich in den nachmittag rein. gereon hat uebrigens einen sehr schoenen artikel ueber seine la paz-eindruecke geschrieben, falls ihr mehr ueber das leben in der stadt erfahren […]

  2. Markus sagt:

    Können Sie mir sagen, wo in La Paz dieses Bolivar Denkmal steht? Ich war 2009 dort, aber ich finde es auf google earth nicht…

    Herzliche Grüsse

    Markus

  3. herr grimo sagt:

    Hallo Markus,
    das Denkmal ist auf Googlemaps kaum zu sehen, weil es offenbar im Schatten liegt. Nach Anlayse meiner Fotos und den Bildern, die man auf Google Maps findet, bin ich mir jedoch ziemlich sicher, dass Bolivar exakt hier steht:

    http://maps.google.de/maps?f=q&source=s_q&hl=de&geocode=&q=-16.500643,-68.13364&sll=-16.500616,-68.133626&sspn=0.001921,0.002411&gl=de&ie=UTF8&ll=-16.500603,-68.133642&spn=0.001921,0.002411&t=k&z=19

    Grüße,
    herr.grimo

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