grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Der gute Luis und der heilige Agustin

Der Parador von El Torre

Die Idee kam vom allwissenden Gringo, einem der beiden Schnauzbartraeger aus dem Hostal in Valle Fertil.Von dort gibt es zwar gute Busverbindungen zum suedwestlich gelegenen San Juan. Ins nordoestlich gelegene La Rioja aber faehrt nur dreimal pro Woche ein Bus. Montags, mittwochs und freitags, jeweils um drei Uhr morgens. Wer aber wie ich an einem Samstag weiter nach Norden will, muss den Umweg ueber San Juan nehmen. Oder den Ausflug nach El Chiflon nutzen. An der Landstrasse vor dem Parkeingang kommt naemlich wesentlich oefter ein Bus nach La Rioja vorbei. Mindestens zweimal am Tag. So gegen 14 Uhr, sagte Gringo.

Also habe ich mich zusammen mit Chantal, die auch nach Norden will, nach der Wanderung durch El Chiflon am Parador El Torre absetzen lassen.  So gegen 12 Uhr. Dort hiess es dann, der Bus kaeme sicher, aber sicher nicht vor 16.30 Uhr. Mindestens viereinhalb Stunden Wartezeit. Nun ja, man gewoehnt sich dran.

Draussen herrscht eine Affenhitze. Drinnen geht es einigermassen. Drinnen sitzten zwei aeltere Argentinier und warten die Siesta ab. Wir reden ein paar Saetze. Woher. Wohin. Wie es mir gefaellt. Wir schweigen ein paar Minuten. Dann reden wir nochmal. Ueber Argentinien. Ueber Deutschland. Die Krise. Das Leben.

Irgendwann meint der eine: Schade, dass ihr weiterreisen muesst. Hier koenntet ihr das wahre Leben kennenlernen. Abseits aller touristischen Routen. Hier heisst: hier bei ihm. In einem Dorf, rund 50 Einwohner, 12 Kilometer weiter nach Osten. Draussen steht seine wackeliger Ford-Pickup. Hinten hat er Strohballen geladen, fuer die Tiere. Ziegen. Pferde. Abends, sagt er, gebe es ein Fest im Dorf.

Wir ueberlegen. Wir sind ein wenig skeptisch. Aber dann liegen unsere Rucksaecke schon im Stroh. Und wir ruckeln vorn im Ford ueber die Piste nach Regresa de la Punta, so heisst das Dorf. Und unser Gastgeber heisst Luis. Er wohnt dort mit seiner 87-jaehrigen Mutter, einer aeusserst freundlichen, fast immer laechelnden Frau, deren Faltigkeit kaum zu uebertrefffen ist. Ihr Gesicht ist eine Gebirgslandschaft, die es an Schoenheit mit dem Valle de la luna aufnehmen kann. Sie reicht uns Mate. Sehr suesse Mate. Das heisse Wasser in einem Kessel auf der Parilla – dem allgegenwaertigen Grill – erhitzt.

Die Mutter, Luis und Chantal beim Mate-Trinken

Zum sehr einfachen und leider auch sehr rumpeligen Haus – das Bad ertraegt man am besten mit zugehaltener Nase – gehoeren neben den vier Pferden, einer Ziegenherde und ein paar Huehnern auch fuenf Hunde und ein halbes Dutzend Voegel, die Luis eigenhaendig eingefangen und in sehr kleine Kaefige gesetzt hat. Liebevoll traegt er seine Voegel hin und her. Mal haengt er sie unter das schattige Vordach, mal in den Baum auf dem Hof, je nach Sonnenstand. Der Papagei, der zum Glueck wenigstens den groessten Kaefig hat, kraechtzt fast so laut wie seine unzaehligen Artgenossen, die sich ein paar Meter in den Baeumen oder auf Telegrafenleitungen trubeln.

Sein Auto, sein Haus, sein Pferd. Hier wohnt Luis

Zur Familie gehoert auch noch eine Taube. Sie hockt neben der Mutter auf einem leeren Stuhl. Wenn sein Bruder hier sei, erzaehlt Luis, folge ihm die Taube wie ein Hund. Spaeter sitzt eine weitere Taube auf der Terasse. Die Mutter sagt zu Luis, er solle sie verscheuchen. Diese Taube, sagt sie, die sei nicht von hier. Und dann zeigt die alte Dame ihr unglaubliches Laecheln.

Luis ist hier aufgewachsen mit seinen drei Bruedern und der einen Schwester, die vor 5 Jahren gestorben ist. Luis hat es aus diesem Minidorf in die Welt hinaus geschafft. Er hat studiert und arbeitet als Ingenieur, genauer gesagt als Erdoelbohrer. Begonnen hat er in Argentinien, aber dann war er fast ueberall, wo es Oel gibt. In den Vereinigten Ararbischen Emiraten, in Algerien und Marokko. Derzeit arbeitet er in Libyen in der Wueste, immer fuenf Wochen am Stueck, dann hat er fuenf Wochen frei und reist zurueck. Ins Dorf zu seiner Mutter.

Die reicht nochmal frische Mate.

Die Hunde wechseln traege von einem Schatten in den anderen.

Mutter und Sohn

Kurz vor Sonnenuntergang gegen 20 Uhr beginnt das Fest – zunaechst als Prozession. Die Statue von San Agustin, dem Schutzpatron des Oertchens hier, wird von vier Maennern auf einem kleinen Altar durch das Dorf getragen. Insgesamt werden fuenf Haeuser besucht. In jedem wird der Altar kurz abgestellt. Es werden Gebete gesprochen, dann wird der Altar nach links, rechts, oben und unten geschwenkt – und zum naechsten Haus getragen. Unterwegs beten die Frauen unendliche Ave Marias. Nach der Segnung des zweiten Hauses ruft eine Frau: „Viva San Agustin!“ Die Menge applaudiert.

Am Rande der Landstrasse hockt der dicke Polizist auf dem Stuhl vor seiner Polizeiwache und beobachtet die Prozession. Ja klar, sagt er, natuerlich gebe es hier auch eine Zelle. Aber oft benutzt werde sie nicht. Hier sei halt nicht viel los. Seine Hauptaufgabe heute abend: er muss noch auf den Ueberlandbus abpassen, der gegen 23 Uhr nach La Rioja faehrt. Gucken, ob alles gut geht. Und dann warten auf die Abloesung. Sie kommt morgen um 9 Uhr.

Inzwischen ist die Prozession wieder am Ausgangshaus angekommen. Die Rund 50 Teilnehmer nehmen Platz an einer langen Tafel. Es gibt Empanadas mit Huhn, Sandwiches mit Schinken, Kekse, Chips und zum Nachtisch verschiedene Kuchen. Dazu Limonaden oder Cola. Und fuer die Erwachsenen an unserem Ende des Tisches sehr suessen Wein aus Tetrapaks.

Luis‘ Mutter sitzt in der Menge. Luis natuerlich auch. Und der dicke Polizist, er ist der einzige, der hier raucht.

Die Menschen hier, sagt Luis, sie leben alle von ihren Tieren. Ein paar haben dann noch eine Beschaeftigung im oeffentlichen Sektor. Oder sie gehen weg, wie er. Und kommen wieder.

Chantal spricht mit einer Frau, die wir schon nachmittags mit ihren drei Toechtern gesehen haben. Ach was, sagt die, das sind doch nur die juengeren. Insgesamt habe sie neun Kinder, berichtet sie stolz. Die meisten seien schon aus dem Haus. Ihr Gesicht ist jung, ihr Gebiss gleicht einer Ruine. Ihr Mann sass schon am Nachmittag schwer betrunken in der Ecke. Das schoene leuchtendweisse Pferd auf ihrem Hof habe eine Krankheit, erklaert die Frau dann noch. Welche, haben wir nicht verstanden.

Eigentlich sind hier alle irgendwie miteinander verwandt, sagt der Mann, der sich als Ehemann einer Nichte von Luis entpuppt. Und alle seien sehr katholisch. Eine Prozession zu Ehren von San Agustin gebe es hier jedes Jahr am 30. Juni. Die heutige sei zusaetzlich. Denn wenn jemand krank werde, dann wende sich seine Familie an den Schutzpatron. Und wenn der helfe, dann werde eben eine Dankesprozession veranstaltet – plus Essen fuer die gesamte Dorfgemeinschaft.

Gegen 23 Uhr verschwinden schlagartig alle in ihre Haeuser. Ueber dem Dorf strahlt ein unglaublicher Sternenhimmel. Da hinten, die vier Sterne ueber dem Horizont, das ist das Kreuz des Suedens!

Luis raeumt sein etwas ranziges Schlafzimmer fuer die Gaeste. Er selbst schlaeft draussen auf dem Hof. Es ist ja warm genug.

Am naechsten Morgen sitzt Luis schon auf dem Hof. Das Wasser kocht. Er reicht Mate. Zuckersuess. Dann kommt seine Mutter angewackelt. Eilig raeumt Luis den Platz neben der Parilla und ueberlaesst die Mate-Zeremonie seiner Mutter. Sie lacht. Und fragt wohl zum dritten Mal, woher ich komme. Dann nennt sie mir die Namen der fuenf Hunde. Der Schwarze heisst Negro.

Sie reicht noch einmal Mate.

Das Haus steht in einer Landschaft aus Staub. Sand. Hitze, die sich innerhalb kuerzester Zeit anstaut. Ein paar Maenner melken die Ziegen. Ein paar andere sitzen im Schatten und trinken Bier. Es ist 8 Uhr morgens. Aus dem offen stehenden Auto plaerrt das Radio. Im Teich nebenan trinken drei Pferde. Die Ziegenherde trappelt vorbei. Im Sand steht ein Truthahn. In der Mitte des Dorfes steht ein 30 Meter hoher Antennenmast. Er soll mal dazu dienen, dass es hier Handyempfang gibt. Und Internet. Bisher wird er aber nur von den Papageien genutzt. Sie laermen.

ein Papageienschwarm in Regreso

„Wir sind hier in der Entwicklung 200 Jahre hinter Europa zurueck“, sagt Luis. Er meint nicht sein Dorf, er meint Argentinien insgesamt. Er schimpft ueber die Regierung, die Korruption, die Inflation. Und ueber die Opposition, die es praktisch nicht gebe. Ja, sagt er, fast alle meckern hier ueber die Praesidentin, aber gewaehlt haetten sie sie trotzdem.

Luis moechte dann aufbrechen. Er bringt uns noch nach Patquia, die naechste Kleinstadt. Dort kommen die Fernbusse nach Norden vorbei, sagt Luis. Und es sind ja kaum mehr als 60 Kilometer bis dahin. Hinten auf dem Pickup nimmt noch ein weiterer Dorfbewohner Platz. 

Der Teich hinterm Haus

Es geht geradeaus. Schnurgerade. Vorbei an unzaehligen Kakteen, eine groesser als die andere. Nein, sagt Luis, mit denen koenne man nichts machen, die seien nur zum angucken.

Dann erklaert er uns noch schnell die Legende vom guten Gaucho Gil. Der habe die Reichen ausgeraubt und das Geld den Armen gegeben, vor 100 oder 200 Jahren. Der Gaucho Gil werde noch heute im ganzen Land verehrt, mit kleinen Altaren am Strassenrand, an denen rote Faehnchen wehen.

Bald, sagt Luis, sei er am Ende seiner Karriere. Er sei es auch ein wenig leid, dieses staendige Hin- und Herwechseln zwischen den Welten. Er moechte wieder hier leben. Bei seinen Voegeln. Seinen Pferden. Seinen Leuten.

Die Verabschiedung ist kurz. Am Busbahnhof wartet bereits ein Doppelstoecker Richtung La Rioja.

One response to “Der gute Luis und der heilige Agustin”

  1. […] Grund für das Ausbleiben der Kunden dürfte aber das exorbitante Preisniveau sein. In dem Parador an der Landstraße nach Rioja hatte ich mitbekommen, wie sich ein Chilene auf der Durchreise mit dem Verkäufer über die […]

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