grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Die Trommler von Colonia

Dieser Text erschien während der Reise nur auf Facebook, weil damals der Blog defekt war, er wurde jetzt hier unter dem ursprünglichen Datum nachgetragen.

COLONIA (gri) Wer Buenos Aires per Schiff verlässt, sieht hinten am Horizont die Skyline verschwinden. Das heißt, man wartet darauf, dass die Spitzen der Hochhäuser nach und nach am Horizont versinken, während man über den breitesten Fluss der Welt nach Uruguay übersetzt. Von Argentinien aus sieht man nichts vom Gegenüber. Der Fluss scheint endlos wie das Meer. Aber die Hochhäuser von Buenos Aires schwinden nicht. Sie halten sich oberhalb des Horizontes, selbst als die Fähre schon im Hafen von Colonia anlegt. Selbst wenn man später am Abend wieder am Ufer sitzt und das Spektakel der untergehenden Sonne bewundert. Buenos Aires ist da, ein kleiner Stapel schwarzer Legosteine, etwas links von der kleinen Insel, etwas rechts von der Stelle, an der die Sonne nochmal durch die Wolken brechen wird, bevor sie binnen weniger Minuten den Himmel in eine Kaskade rot-orangener Lichtbrücken verwandeln wird und dann endgültig versinkt. Erst dann verschwindet auch Buenos Aires drüben am anderen Ufer in der Nacht. Und lässt sich vergessen mit seinem Lärm, seiner Hektik, hier in der Ruhe von Colonia.

Das Altstädtchen, diese paar Gassen mit dem vielleicht holperigsten Kopfsteinpflaster des Kontinents zählt zum Weltkulturerbe. Also kommen sie her, die Touristen, die Reisenden, wir.

Aber wir haben Glück, denn unsere Unterkunft, das rustikale Zimmer auf dem Hof von Edgardo, liegt etwas abseits. Zehn Blocks mindestens muss man laufen, um die historischen Gässchen an der Spitze der Halbinsel zu erreichen. Zeit und Distanz genug um eine Ahnung vom Alltag dieses Städtchens zu bekommen.

Kleine Häuser säumen die Straßen, kaum eins hat mehr als ein Geschoss. Bei vielen schaut man als Passant durch die Fenster direkt in die ebenerdigen Wohnzimmer. Wo alte Frauen ihre Mate schlürfen. Wo Männer auf dem Sofa liegend fernsehen.

Hier und da bellt ein Hund. Einer läuft auf die Straße auf uns zu. Keine Angst, beruhigt uns sein Herrchen. Der tue nichts. Wie er denn heißt, will Katha wissen. Rambo, antwortet der Mann in der Tür. Aber der Hund bleibt dennoch friedlich.

Am Straßenrand stehen immer wieder uralte Autos. Und Imbissbuden. Kleine aluminiumfarbene Wagen, meist mit einem Vordach, das den ganzen Bürgersteig überdeckt, darunter Plastikstühle und -tische. Katha hat Hunger und bestellt an so einer Bude am Rande der großen Plaza auf gut Glück einen Pocho, der sich später als Frankfurter, als Teil eines gut garnierten Hotdogs entpuppt.

Bis der fertig ist, dauert es ein wenig. Und Katha fragt Mario, den glatzköpfigen, leicht verschmitzten Imbisschef ein Loch in seinen dicken Bauch. Der Mittsechziger ist auch Mechaniker, hat in Buenos Aires gelebt, in Brasilien und auf Kuba. Und er hält nichts von der Linksregierung hier in Uruguay. Die tue zu viel für Menschen ohne und zu wenig für diejenigen mit Arbeit. Deshalb werde bei den nächsten Wahlen die Opposition gewinnen. Da ist Mario ganz sicher.

An einem Abend sitzen wir draußen auf einer Plaza in der Altstadt, essen Fleisch oder Reis mit Meeresfrüchten, während am Ende des Sträßchens mal wieder die Sonne hinter Buenos Aires versinkt. Kaum ist es wirklich dunkel, tanzen die Dulces Guerreras, die süßen Kriegerinnen vorbei. Eine Gruppe junger Frauen, gefolgt von einer lauten TrommlerInnengruppe. In die fröhliche Menge haben sich auch ein älterer Mann mit Krückstock, ein queerer junger Typ und andere gemischt.

Den lautesten Trommler aber treffen nicht auf der Plaza sondern zuhause in der casa de Edgardo. Das erfahren wir aber erst am letzten Abend. Da spricht mich Carlos an, ein Neffe von Edgardo, der eigentlich auf Mallorca lebt, aber den Winter stets bei seinem Onkel verbringt. Has visto la batteria de Carlos? Ob ich das Schlagzeug von Carlos gesehen hätte, will er wissen. Dann führt er mich durch die Küche des kleinen Hauses zum Musikzimmer. Da steht nicht nur das größte Schlagzeug, das ich je gesehen habe. Sondern auch Keyboards, Gitarren, Bässe in Koffern, Verstärker.

Schon sein Vater und sein Onkel seien Musiker gewesen, erzählt mir Carlos am nächsten Morgen, er sei mit Musikinstrumenten aufgewachsen. Das Schlagzeug habe ihn immer am meisten interessiert. Nur um Noten lesen können, habe er dann auch Gitarre gelernt. Später war er Schlagzeuger einer Band, die hier in Colonia in Hotels gespielt habe. Manchmal an drei verschiedenen Orten pro Nacht.

Mit 20 mache man das mit Begeisterung, mit 30 auch noch. Aber mit über 40? Nein, sagt Carlos, für sowas sei er heute zu alt. Außerdem sei seine Musik heute nicht mehr so gefragt. Sowas wie Emmerson Lake and Palmer, Led Zeppelin oder Pink Floyd.

Seine Leidenschaft für die Musik hat der hagere Typ mit dem wild wuchernden Nasenhaar sich aber bewahrt. Das große Schlagzeug zum Beispiel hat er sich erst gekauft, als er wusste, dass er mit dem Live-Musizieren aufhört. Jetzt trommelt er nur noch für sich. Und ab und an mit Freunden.

„Pass auf“, sagt er stolz, „das Schlagzeug ist zu groß, um es auf ein Foto zu bekommen“. Wenn man es ganz ablichten wolle, dann müsse man es schon filmen.

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