Das Handy brummt schon am frühen Morgen. Fahrt zum Flughafen!, rät mein Bruder. Er hat im Netz gefunden, dass noch ein Flieger nach Frankfurt geht. Von Casablanca aus. Das sind rund 500 Kilometer Landweg. Hm. Fahrt zum Flughafen!, rät auch Kas Mutter, die schon wieder mit einer Hotline telefoniert hat. Diesmal mit Lufthansa. Es gebe, schreibt sie per WhatsApp noch vereinzelt Flieger.
Also los. Wir schmeißen die Klamotten in die Koffer, friemeln Eff in seinen Kindersitz, drücken dem Parkwächter unten an der Hauptstraße noch ein paar Dirham in die Hand und eilen über die Küstenstraße Richtung Agadir. Ob das Sinn macht? Ich glaube kaum. Die marokkanische Regierung hat ab heute 9 Uhr alle Flüge ins Coronaland Deutschland gestrichen. Unser Rückflug sollte erst um 12.50 Uhr starten.
Doch siehe da! Kaum sind wir unterwegs kommt eine SMS von unserer Fluglinie Eurowings. Der Flug heute, so heißt es, sei „heavily booked“. Deshalb sollten wir bitte unser Handgepäck – kostenlos! – einchecken. Und: „Have a good flight!“ Geht da also tatsächlich noch was?
Nein, es geht nichts. Am Flughafen von Agadir ist unsere Verbindung nicht einmal gelistet. Nicht als „delayed“, nicht als „gecancelt“. Und schon gar nicht als „ready for boarding“.
Auf den Bildschirmen mit den anstehenden Starts sind vor allem Inlandsfüge angekündigt. Nach Casablanca. Nach Rabat. Und ein paar nach Europa. Amsterdam. Genf. Brüssel. Hört sich doch gut an, oder?
Nur wer hat hier Infos, wie man da dran kommt? Eurowings fehlt nicht nur auf der Anzeigentafel. Eurowings hat an diesem kleinen Großstadtflughafen mit Berlin-Schönfeld-Charme nicht mal einen Schalter.
Im „Informations“-Kabuff sitzen drei FlughafenmitarbeiterInnen mir schicken dunkelblauen Uniformen. Und mit Mundschutz. Sie schicken mich zur Schlange vor dem Swissport-Schalter, an dem man beim Näherkommen auch einen Lufthansa-Aufkleber entdecken kann. Die junge Frau dort hinter dem Fenster hat für alle zehn vor mir Stehenden eine kurze Erklärung mit einem freundlichen Kopfschütteln parat. Und auch für den Elften in der Schlange, für mich.
Nein, sagt sie, Eurowings starte heute nicht. Die Autoritäten, sagt sie, würden über Ersatzflüge verhandeln. Falls das klappe, würden wir benachrichtigt. Aber sicher nicht mehr heute. Morgen? Ja, morgen. Vielleicht morgen. Und was ist mit den angekündigten Flügen nach Amsterdam, Brüssel, Genf? Ausgebucht, sagt sie. Und dann darf der Zwölfte in der Reihe hinter mir sein ganz persönliches Kopfschütteln abholen.
Ka sucht mit ihrem runden Bauch nach einem Klo. Eff wirft seinen bunten Stoffball durch die Gegend, den er auf dem Hinflug von einer freundlichen Stewardess geschenkt bekommen hatte. Er lacht und winkt den anderen, ratlos am Boden Wartenden zu und verbreitet gute Laune. Ein blonder Zweijähriger müsste man sein, das erleichtert offenbar die Weltsicht.
Fast, ja fast hätte ich noch Tickets für die Abendmaschine nach Amsterdam bekommen. Aber dann funktionierte irgendwas mit der Bezahlung nicht. Und dann war der Flug doch ausgebucht.
Draußen knallt die Sonne vom Himmel. Ein Taxi bringt uns zurück ans Meer. Der Fahrer hat die Koffer samt Kinderwagen hinten in seinen Uraltmercedes gequetscht. Die Kofferraumklappe hält ein Spanngurt. Über 377.000 Kilometer hat das rostgelbe Gefährt auf dem Tacho. Und unser Fahrer hat fast soviel Sorgen.
Der Flug nach Düsseldorf, sagt er, gestrichen. Und der nach München, gestrichen. Und der nach Paris. Der nach Madrid. Der nach … er zählt offenbar den kompletten Flugtag auf. So wie er normalerweise wäre. In Nicht-Corona-Zeiten. Aber jetzt?
Das ist die Krise!, ruft unser Fahrer. Nicht nur für die vielen Taxifahrer. Die ganze Gegend rund um Agadir lebe doch vom Tourismus. All die großen Hotels, an denen wir vorbeifahren. Und die Restaurants. Die Touristenführer. Die Kameltreiber an den Stränden. Mais no clients!, stöhnt der Fahrer, une catastrophe! Und in seinem arabisch-berberisch eingefärbten Französisch klingt das zunächst, als ob er von er von einer Nuklearkatastrophe rede.
Das Coronavirus trifft Marokko hart. Auch wenn es offiziell heute erst 28 Infizierte gibt. Aber Montag, sagt der Taxifahrer, würden auch hier die Schulen geschlossen. Genau wie in Deutschland mit weit über 5.000 registrierten Infizierten.
Aber kommen wir hier noch rechtzeitig weg, bevor es richtig los geht? Kas Mutter, die sich für uns mittlerweile zur Hotlineexpertin entwickelt hat, konnte am Sonntag die Mitarbeiterin einer Lufthansa-Servicenummer sprechen – in Portugal! Dort, so habe die Frau erklärt, habe der portugiesische Präsident persönlich mit der nationalen Fluggesellschaft über Evakuierungsflüge geredet. Genau so müsse das auch in Deutschland laufen.
Mit anderen Worten: Frau Merkel, übernehmen Sie!
Und bis die Kanzlerin uns hier rausholt, bleiben wir erstmal am Strand. Die Versorgung ist gesichert, die Minimärkte gut gefüllt. Und in unserem Hostel gibt es sogar Klopapier. Und Nudeln.