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die welt liegt uns zu füßen

Ein Land macht dicht: Coronaferien in Marokko (3), Montag

Die Nachricht kommt am frühen Nachmittag. Sie kursiert erst in der Telegram-Gruppe „Deutsche gestrandet in Marokko“. Dann finde ich sie auch auf einer marokkanischen Nachrichtenseite: hier wird jetzt alles dicht gemacht. Cafes, Restaurants, Kinos, Theater etc. Ab 18 Uhr. Heute noch.

Ob sich das durchsetzen wird? Und viel wichtiger noch: wenn das wirklich umgesetzt wird, was machen wir dann?

Wir sitzen genervt grübelnd in unserem Hostelzimmer, als Houcine reinkommt. Der, der den Laden hier managet. Er werde, verkündet er, das Haus morgen schließen. Komplett. Wir müssten gehen, ohne wenn und aber. Das sei keine Anweisung, aber eine Empfehlung der Regierung. Er wolle sich daran halte, auch weil sein Vater Krebs habe und damit besonders gefährdet sei.

Rumms.

Mir geht der Arsch auf Grundeis, wie man so schön sagt. Die Krise kommt jetzt endgültig auch in meinem Kopf an.

Eff kräht rum. Der Kleine spürt offenbar die sinkende Laune seiner Eltern. Ka und ich sitzen auf der Treppe vor dem Hostel und bilden einen Krisenstab. Erstmal Nudeln kaufen. Die gibt es hier zum Glück noch. Tomaten. Eier. Das Abendessen ist sicher.

Und morgen: wir werden zum Flughafen fahren auf gut Glück. Und hoffen, dass da irgendwas geht. Oder dass irgendwer irgendwelche Infos hat.

Denn das ist eins der größten Probleme. Man erfährt nichts. Eurowings, unsere Airline, ist offenbar an Corona gestorben. Zumindest stellt sie sich tot. Infos von dort an uns: null! Nada! Niente!

Auf der Homepage steht zwar, man könne den gecancelten Flug problemlos umbuchen. Aber jeder meiner gefühlt tausend Versuche scheitert. Meine Buchung, heißt es, sei nicht mehr verfügbar. Arrggh.

Und Flugladen.de, die Agentur über die wir das Ticket gekauft haben? Ist telefonisch nicht erreichbar und antwortet auf Mails mit einem Standardschreiben, dass man gerade sehr überlastet sei und sich vordringlich um die Abfüge der nächsten 72 Stunden kümmern könne. Unser wäre vor 24 Stunden gewesen. Und gekümmert hat sich bisher niemand.

Und die Botschaft? Auch von da kommt nun ein langes Standardschreiben. Man tue alles, um die Rückkehr zu erleichtern. Evakuierungsflüge seien nicht geplant. Man solle ständigen Kontakt zur Fluggesellschaft halten.

Toller Tipp.

Wirklich toller Tipp.

Fast könnte man lachen.

Abends postet die Botschaft noch ein Video. Es zeigt einen etwas klapprig wirkenden, älteren Herrn, der die Allgemeinplätze des Schreibens wiederholt. Es ist der Botschafter selbst. Sind wir in guten Händen?

Wir gehen Kaffee trinken. Unten in einem der kleinen Cafés am Strand. Eff schlummert im Kinderwagen. Dahinten holt ein Trecker eins der blauen Fischerboote aus der Brandung. Zwei Tische weiter sitzt eine Frau und niest. Ein Marokkaner geht vorbei, hustend. Ist das jetzt schon Panik, wenn mich das plötzlich beunruhigt? Am Weg trommeln drei Jugendliche mit den Händen auf einen Tisch. Wenn jemand vorbeigeht, ruft einer: Co! Ro! Na!

Ka geht nochmal an den Strand. Ich checke Twitter, Facebook, Telegram, die Webseiten der Fluggesellschaften, der AirPorts, des Auswärtigen Amtes. Nichts neues. Außer: Marokko soll sich den Bemühungen der Bundesregierung widersetzen, die Touristen auszufliegen, heißt es irgendwo. Und: in Taxis dürfen nicht mehr wie bisher 6 Passagiere gequetscht werden, sondern maximal drei. Sind wir sicher?

Der Strand ist schon fast leer. Und die Cafés und Restaurants haben zu meiner Überraschung tatsächlich alle pünktlich um 18 Uhr geschlossen. Die Stühle hoch- oder reingestellt. Die Rolläden runtergelassen. Eine seltsame Stimmung macht sich breit.

Im Hostel treffen wir Amy und Eddie aus Montreal. Sie hat Geburtstag und lädt mich auf eins der Biere ein, für sie heute extra bis Agadir gefahren sind. Wir revanchieren uns mit Nudeln und Tomatensoße.

Die beiden sind auf einem Round-The-World-Trip für ein Jahr. Asien und Afrika haben sie hinter sich. Jetzt wollen sie nach Südamerika. Eigentlich. Aber angesichts der Corona-Pandemie dann doch lieber nach Hause. So wie wir. Weil man in einer Krise eben ungern in einem Umfeld ist, dass man nicht so gut kennt.

Freunde, erzählt Amy, hätten 8.000 Euro für den Rückflug nach Kanada bezahlt. Achttausend. Soviel haben sie gar nicht.

Houcine kommt nochmal vorbei. Ob die Leute die Läden aus Angst vor Repressalien geschlossen hätten, will ich wissen. Mein, sagt unser Hostel-Manager, die Leute hätten zwar Angst, aber tatsächlich vor dem Virus. Selbst in die Moschee gehe niemand mehr. Alle beten, sagt Houcine, aber zuhause.

Dieses Virus, meint Eddie, ein freundlicher Kerl mit Oberlippenbärtchen, das werde die Welt verändern. Schon weil die Pandemie ein Zeichen sei, dass etwas schief laufe. Ja, ich denke, er hat recht. Das viele Reisen, mein über alles geliebtes Reisen könnte Teil des Problems sein. Schon weil die Jetset-Globalisierung die Verbreitung des Virus befördert. So sehr, dass jetzt mit dem totalen Lock Down reagiert wird – werden muss.

Werde ich mich ändern? Ändern wollen?

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