grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Ticket nach Leizpig. Ein Happy End. Coronaferien in Marokko (4), Dienstag

Wenn das mal kein gutes Zeichen ist: mein Handyakku ist zu 100 Prozent geladen. Seit Tagen spinnt das Ding rum, lädt nicht richtig. Und wenn dann nur, wenn man da Kabel in irgendeiner bestimmten Lage positioniert, die zudem heut so, morgen schon wieder ganz anders ist. Das nervt schon an normalen Tagen. In einer Krisenlage wie jetzt, in der das smarte Phone die wichtigste Verbindung in den Rest der Welt ist, ist es zum Aus-der-Haut-Fahren.

Aber heute Nacht hat es geladen. Wird jetzt alles gut?

Es ist Dienstagmorgen. Wir müssen raus aus dem Hostel, weil es schließt. Wir haben keine Ahnung, wie es weitergehen könnte. Also ziehen wir auf eigene Faust los. 

Wir packen unsere Koffer, das Kind, den Kinderwagen, den Kindersitz, die geschmierten Brote, die Wasserflasche und den ganzen Rest unten an der Hauptstraße in ein Taxi, dessen Fahrer Ka zum Glück gestern schon angesprochen hatte. Sonst kämen wir hier am frühen Morgen tatsächlich kaum weg. Nicht nur die Cafes und Restaurants in Taghazout sind seit Montagabend dicht. Die ganze Stadt scheint am Morgen noch zu schlafen. Immerhin: ein Laden öffnet gerade. Ka kauft Bananen für Eff. Alles wird gut. 

Am Flughafen von Agadir herrscht reges Treibe. Aber kein Chaos. Ob wir wegkommen? Keine Ahnung. Auf der Anzeigentafel wird ein Flug unserer Airline Eurowings nach Düsseldorf angekündigt. Genau wie unser Flug, der am Sonntag gecancelt wurde. Von unserer Fluggesellschaft, die sich seither nie bei uns gemeldet hat.

Wir gehen strategisch vor: Ka mit dem Kind glich zum Checkin, ich in die Schlange vor dem Infoschalter von Swissport, wo ich am Sonntag schon stand, weil die da irgendwie auch für Eurowings zuständig sind. 

Die Frauen dahinter arbeiten jetzt hinter geschlossenen Fenstern. Das war am Sonntag noch anders. Geblieben ist: sie schütteln bei fast allen Anfragen der vor mir Stehenden nut freundlich den Kopf. Außer bei mir! Ja, sagen sie, wenn ich Eurowings-Kunde sei, dann könne ich gleich zum Checkin gehen. Das lass ich mir nicht zweimal sagen. 

Ka ist schon recht weit vorne. Hunderte stehen in mehreren Reihen Schlange, dicht an dicht. Corona-Distanz? Gibt es hier nicht. Alle, die vor uns drankommen, bekommen einen Boardingpass. Ich mache ein hoffnungsvolle Foto. Von uns und der Anzeige „Düsseldorf“ über dem Checkin-Schalter.

Und dann? Sind wir dran. Und gleich wieder raus. 

Nein, sagt die Frau mit Schutzmaske hinter dem Schalter. Nein, sagt der freundliche, aber sehr bestimmte Mann vor dem Schalter. Für uns gibt es keine Boardingpässe. Die Maschine sei zwar vorn Eurowings, aber komplett gebucht von FTI. Sind Sie bei FTI?, will er wissen. 

Ich weiß nicht mal, was FTI sein soll. Zeige stattdessen auf den runden Bauch von Ka. Auf den kleinen Eff, der um ihre Beine wuselt. Der freundliche Mann bleibt hart. Die Frau hintem Schalter guckt sorgenvoll und telefonier. Aber es ändert sich nichts. 

Nein, kein Platz für eine kleine Familie. Sind wir denn hier in Bethlehem? Müssen wir uns jetzt eine Krippe suchen. 

Es ist einer dieser Momente, in denen mir dieser Gedanke durch den Kopf stößt: ich möchte niemals Flüchtling sein. Wie sind immernoch total priviligiert. Deutscher Pass. Genug Essen. Geld auf dem Konto. Und bis zum Morgen hatten wir auch einen Platz zum Schlafen. Und dennoch macht sich jetzt schon wieder Panik breit. Vor allem, weil ich nicht allein reise. 

Wird es ein marrokanisches Kind?, hatte eine gute Freundin am Abend geschrieben. Nein. Nein. Nein. Wir haben noch zwei Monate bis zur Geburt. Zwei Monate sollte ja wohl reichen, um irgendwie zurück nach Deutschland zu kommen. 

Oder? 

Und wenn nicht? Und wenn dann hier das Virus sich richtig breit macht? Und wenn Ka dann so rund wird, dass sie nicht mehr fliegen kann? 

Dahinten, sagt der sehr bestimmte, aber immer noch freundlich-abweisende Checkin-Mitarbeiter, dahinten müssten wir hin. Er zeigt auf ein Schlange mit gut 30 Leuten, die vor einer Tür in der hintersten Ecke des Checkin-Bereichs stehen. Was es da gebe?, frage ich. Tickets, erklärt der Mann. Wohin?, frage ich zurück. Nach Leipzig vielleicht, sagt er. 

Leipzig! 

In den nächsten anderthalb Stunden wächst die Schlange deutlich an. Zum Glück hinter uns. Vorne geht wenig, aber das was geht, stimmt hoffnungsvoll. Alle 5 bis 10 Minuten kommt jemand wieder aus dem kleinen Büro hinter der Tür – und hält ein Ticket in der Hand! 

Nach gut einer Stunden steigt ein älterer Mann aus dem Büro auf die Gepäckbänder und ruft: Düsseldorf now overbooked. Franfurt – overbooked! We have only a few tickets for Munich and Leipzig. 13 Leute stehen noch vor uns in der Schlange. 

Hinter mir steht ein Marokkaner, er hält die ganze Zeit seine Freundin eng umschlungen im Arm. Die beiden wollen nach Wuppertal. Ob man die Tickets hier nochmal bezahlen müsse, will er wissen. Ob man das Geld später wiederbekomme. Was das Ticket denn koste. Nur auf das letztere gibt es mittlerweile eine Antwort: 250 Euro pro Kopf. 

Es dauert. Und dauert. Und dauert. 

Ein arabisch sprechender Mann hinter uns in der Schlange hatte dem Typen aus dem Büro etwas zugerufen. Wenig später darf er nach vorn, Bargeld übergeben. Er bekommt Tickets, ich bekomme schlechte Laune. Für Wut reicht es nicht mehr. 

Aber dann sind wird auch dran. 

Die Frau hinter dem Computer füllt ein Ticket aus. Handschriftlich. Zwei Erwachsene, ein Kind. Unsere Namen. 530 Euro. Ja, klar. Das ist es mir wert. Das Ticket nach Leipzig! 

Und dann geht alles ganz schnell. 

Wir drängeln uns in die Checkin-Schlange. Und unser handgekritzeltes Ticket wird tatsächlich gegen Boardingpässe ausgetauscht. 

Wir gehen durch den Sicherheitsbereich. Und man lässt uns durch. 

Wir warten vor dem Boardinggate 5. Und es öffnen sich tatsächlich die Türen. 

Wir gehen über das Rollfeld zu der dort wartenden Condor-Maschine. 

Ich könnte heulen.

Und tue das auch. 

Der Flieger ist fast voll. Aber wir können nicht losfliegen. Es gebe ein behördliche Anweisung, sagt die Stewardesse, dass man nicht mehr mit leeren Plätzen starten dürfe. Es kommt noch ein älteres Paar. Dabei bleibt es. Es geht los. 

Der Flug: problemlos. 

Die Einreise in Leipzig: unaufgeregt. 

Der Zug nach Berlin: sehr leer und überpünktlich. 

Die letzten Meter: Guck mal, sagt Ka, all diese hell erleuchteten Fenster in den Häusern. Ja, die Menschen scheinen zuhause zu bleiben. 

Und dann: zuhause.

Alles ist gut! 

Ist alles gut? Oder geht es jetzt erst richtig los? Wird sich das Virus weiter ausbreiten? Können wir in zwei Monaten noch ins Krankenhaus, wenn das Kind kommt? 

Die Sorgen hören nicht auf. Aber es sind andere Sorgen als noch heute Morgen. 

Nachtrag: Am Mittwochmorgen ruft ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Rabat an. R habe die gute Nachricht, dass wir jetzt ausreisen könnten, mit einem dem Evakuierungsflieger, die Bundesaußenminister Heiko Maas am Abend zuvor angekündigt hatte. Wir hatten unsere Namen und Kontaktmöglichkeiten in der „elefand“-Liste des Auswärtigen Amtes eingetragen. Da können sich Deutsche im Ausland registrieren lassen, damit die Botschaft sie in Krisensituationen erreichen kann. Für uns kommt die Botschaft zu spät. Aber immerhin ist es doch sehr gut zu wissen, dass die Botschaft einen im Auge hat. 

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