grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

„Tja, der stirbt jetzt“ – Warum im Naturschutzgebiet an der Küste Uruguays Seelöwenbabys umkommen.

CABO POLONIO (gri) Der erste Seelöwe. Er liegt, ja, fast gemütlich sieht das aus, auf der Seite am Strand. Da wo die Brandung des Atlantiks gerade nicht mehr hinkommt. Er liegt ganz still da, bewegt sich nicht. Bleibt ein schwarzer Schatten, auch als wir näher kommen. Der erste Seelöwe, er ist tot.

Der zweite auch. Er liegt ein paar Meter weiter. Klein ist er, vielleicht ein Baby noch.

Auch der dritte: tot. Der vierte, der fünfte. Mal nach 5, mal nach 20, mal erst nach hundert Meter folgt der nächste Kadaver. Einige liegen da mit aufgerissenen Augen. Andere scheinen die Zähne zu fletschen. Bei ein paar der ganz Kleinen baumelt noch die Nabelschnur am Bauch.

Am Ende zählen wir über 60 Robbenleichen bei unsere Wanderung durch die lang gezogenen Bucht nach Cabo Polonio. Einigen fehlt das Fell. Hat man es ihnen über die Ohren gezogen? Hier in diesem Naturschutzgebiet an der Atlantikküste von Uruguay?

Dabei hat alles so schön angefangen. Morgens um 10 sind wir zu dem kleinen Flüsschen spaziert, das bei Barra de Valizas ins Meer mündet. Ein paar Männer fahren die Wanderwilligen mit Holzbooten auf die andere Seite des kaum mehr als zehn Meter breiten Gewässers. Und dann steht man da, am Fuße eines gigantischen Sandberges, auf dessen Spitze ein paar Felsen thronen.

Wie weit es bis Cabo Polonio ist? Eineinhalb Stunden, sagen die einen. Zwei bis zweieinhalb, sagen die anderen. Bis zu drei, meint ein Uruguayer, der mit uns im Boot sitzt und öfter herkommt. Samt seiner Frau, dem großen schwarzen Hund, der neben uns im Wasser schwimmt, und den unvermeidlichen Klappstühlen, die man hier gern mit an den Strand schleppt. Es komme halt darauf an, meint der freundlichen Uruguayer, welchen Weg man wählt. Immer am Strand entlang, also der ganzen Biegung der Küste folgend, oder über die Dünen hoch zum Felsen, dem Cerro de la Buena Vista, dem Berg der schönen Aussicht, oder eben die Abkürzung quer durchs Gelände bis zur Bucht von Cabo Polonio. Das sei der kürzeste und schnellste Weg, aber der sei schwer zu finden.

Denn das Geheimnis dieses Ortes ist: es gibt gar keinen Weg. Es gibt nur hier und da Spuren im Sand, denen man folgen kann. Und dann immer der Nase nach.

Wir wählen den Mittelweg, hoch zum Aussichtspunkt, der seinen Namen mehr als verdient. Man blickt nicht nur über die Weite des Meeres, sondern auch über die beiden Buchten. Die eine zieht sich im Norden hinter Barra de Valizas bis zum Horizont, fast hat man den Eindruck, man könne hier bis Brasilien schauen. Bis zur Grenze ist es nicht so weit.

Die andere ist die Bucht im Süden an deren Ende in vielleicht 5 Kilometern Entfernung der Leuchtturm auf dem polnischen Kap steht. Dahinter sieht man einige Häuser des weitab von allem gelegenen Ortes am Strand.

Und wenn man nach hinten guckt, schaut man weit ins uruguaysche Grasland, sanfte Hügel, sattes Grün hinter der sandigen Steppe hier an der Küste.
Über uns kreist ein gigantischer Greifvogel. Schwalben sausen zwitschernd und turtelnd durch die Luft. Fridolin gurrt vergnügt im Gurt vor Kathas Bauch.

Erst nach dem Abstieg von diesem Hügel wartet der Tod. Die Robbenkadaver, hier und da ein vergammelter Fisch, das Skelett eines großen Vogels. Und diese abertausenden Muscheln da im Sand, sind das nicht auch …

Der Weg zieht sich. Über eine Stunde stapfen wir durch den schweren Sand, lassen hier und da eine Welle über die Füße spülen, genießen den Blick über die weitgehend menschenleere Bucht. Nur da oben auf den hohen Dünen liegen zwei in der Sonne. Und ganz dahinten am Strand sind auch welche zu sehen vor dem Leuchtturm, der einfach nicht näher kommen will.

Katha stöhnt, Fridolin wird schwer vor ihrem Bauch, sie will eine Pause, jetzt, hier sofort. Obwohl ein paar Meter weiter wieder Robben verwesen? Ja. Man gewöhnt sich schnell an die seltsamsten Dinge. Wir würden ja umkehren. Aber erst wollen wir wenigstens auch ein paar lebende Seelöwen sehen. Die soll es da geben am Kap. Also ziehen wir weiter, jetzt mit Fridolin vor meinem Bauch.

Da!, ruft Katha, da wo die Leute sind, da ist einer zwischen den Felsen. Und tatsächlich, kaum dass wir durch den Ort hindurch das Kap erreichen sieht man die erste Robbe. Dichtes, schwarzes Fell, kaum größer als ein Hund, das Gesicht babysüß. Am Bauch schlabbert die Nabelschnur. Ein paar Umstehende machen Fotos. Ist er gerade erst geboren? Ein paar Meter weiter liegt ein dicker Seelöwe zwischen den Felsen, reglos. Die Mutter? Tod? Nein, das Tier atmet, wenigstens das. Aber was passiert jetzt mit dem Neugeborenen?

Tja, der stirbt jetzt, sagt der Mann in dem Biologischen Meereszentrum das gleich hier hinter dem Zaun liegt. Katha ist reingegangen, trotz der mahnenden „no pasar“-Schilder, um nach Rat, nach Hilfe zu suchen. Aber die Mitarbeiter dort sind mehr als gelassen. Wenn das Baby gleich hier liege, sagt einer, dann sei es verloren. Dann habe sich die Mutter verirrt. So wie die Mütter der vielen toten Robbenbabys am Strand, die wir gesehen haben. Nein, sagt der Mann, gejagt würden die Tiere hier schon lange nicht mehr. Aber viele junge und auch ältere Tiere schafften es einfach nicht zu überleben. Dann würden die Kadaver vom Meer an den Strand gespült. Das sei alles ganz natürlich, versichert der Mann. Und dem kleinen Robbenbaby, das draußen keine 20 Meter entfernt allein zwischen den Felden liegt, sei wirklich nicht zu helfen?, fragt Katha nochmal. Nein, sagen die Biologen. Nur denen, die gut 100 Meter weiter ums Kap herum auf den Felsen der „Loberia“, der abgesperrten Zone für die „Wölfe des Meeres“ liegen, hätten eine Chance.

Da sieht man sie dann auch tatsächlich zuhauf. Sie watscheln über die Felsen, recken ihre Hälse der Sonne entgegen, surfen auf den Wellen der wilden Brandung, räkeln eine ihrer patschigen Flossen in die Luft, heulen hier und da. Zwei dicke Bullen giften sich laut brüllend an. Das ist das Leben. Es ist großartig.

Das hier lohnt den ganzen langen Weg. Von unserer Unterkunft bis zum Kap haben wir drei Stunden gebraucht. Wir essen noch ein wenig Fisch in einem der Restaurants, Katha springt kurz ins Meer, dann wandern wir zurück. Nochmal knapp drei Stunden durch diese fantastische Landschaft, in der ein paar tote Robben liegen. Ja und? So ist sie halt, die Natur. Sie bringt ja auch diese kleinen Laufvögel hervor mit den lustigen Antennenfedern am Hinterkopf. Diese kleinen, grünen Blätter, die überall aus dem Wüstensand sprießen. Diese superdicken Hummeln. Diese Pflänzchen mit den hellgrünen Blättern. Die tiefstehende Sonne über dem Hinterland. Die orange flatternden Schmetterlinge. Die Berge von Sand und die Aussicht auf die andere Seite, zurück in unsere Bucht von Barra de Valizas, wo am Flüsschen schon einer der Schiffer mit seinem Boot wartet.

Was für ein Tag.

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