grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Barra de Valizas und eine taz-Debatte über Airbnb am Strand von Uruguay

Dieser Text erschien während der Reise nur auf Facebook, weil damals der Blog defekt war, er wurde jetzt hier unter dem ursprünglichen Datum nachgetragen.

BARRA DE VALIZAS (gri) Katha winkt ganz aufgeregt zwischen den Regalen des kleinen Supermarktes „El Puente“. Dann kommt sie zur Tür, wo ich mit Fridolin vor dem Bauch und dem Rucksack vor den Füßen warte. „Da drin“, sagt Katha, „steht ein Typ, Alter, der sieht original aus wie Erik Peter. Und er redet mit seiner Freundin deutsch“. Kann das sein?

Klar kann das sein. Erik, der Kollege aus der taz-Berlin-Redaktion, und seine Freundin, die auch für die taz gearbeitet hat und auch Katharina heißt, reisen wie wir gerade durch Lateinamerika. Und sie wollten ebenfalls nach Uruguay. „Wir sehen uns da am Strand“, hatten wir vor der Abfahrt gewitzelt. Nun treffen wir uns im Supermarkt. Der Strand liegt rund 200 Meter weiter. Internet gibt es hier nicht.

Wir sind gerade erst angekommen, die beiden wollen am nächsten Tag weiter. Damit ist klar, unser erster Abend in Barra de Valizas hat ein Programm: Essen mit Freunden! Für das Kind gibt es selbstgemachten Rindfleisch-Kartoffel-Möhren-Brei, den wir aus Montevideo mitgebracht haben. Für die Erwachsenen gibt es Salat und Nudeln und Wein, zubereitet in der Küche des Hostels, in dem die beiden untergekommen sind.

Wir haben wieder eine bezahlbare Unterkunft über Airbnb gefunden. Und damit gleich ein Thema. Denn Erik ist einer der größten Kritiker von Airbnb. Weil sich dieser Vermittler von Privatzimmern in Berlin so breit gemacht hat, dass er nicht nur seinen Beitrag zur Mietenexplosion leistet, sondern ganze Viertel unter Turistifizierung leiden, so dass die lokale Bevölkerung und ansässiges Gewerbe verdrängt werden, weil die Reisenden auf der Suche nach dem authentischen Berlin dieses so sehr platt trampeln, bis nur noch eine Illusion davon übrig bleibt.

Die zahlreichen kritischen Artikel von Erik in der taz haben mich dazu gebracht, in einem Kommentar sogar ein Verbot von Airbnb-Vermietung in Berlin zu fordern, weil alle anderen Versuche des Berliner Senats, das Problem in den Griff zu kriegen, scheitern – auch an der Verweigerungshaltung von Airbnb.

Darf man deshalb aber bei keiner Reise mehr selbst über Airbnb buchen? Erik meint ganz klar: auf keinen Fall. Deshalb sind er und seine Freundin hier in dem Hostel.

Ich würde auch in von Aufwertung und Verdrängung betroffenen Städten darauf verzichten. Aber ich finde das eigentlich sehr bedauerlich, denn grundsätzlich halte ich Airbnb für eine wunderbare Idee: man kommt – ähnlich wie beim Couchsurfing – privat bei Leuten unter, hat in vielen Fällen die Möglichkeit zur Begegnung mit Einheimischen, Zugang zu ihren Sichtweisen auf den besuchten Ort. Man ist nah dran – und gibt dafür etwas Geld.

Hier in Uruguay haben wir so sehr gute Erfahrungen gemacht – und obendrein noch das Glück gehabt, an Orten zu landen, wo wir mit Baby uns wesentlich wohler fühlen konnten, als in Hotels oder Hostels. Auch weil wir die Küchen, teils samt Waschmaschine mitnutzen durften.

Hier im Strandort Barra de Valizas sind wir so bei Ale gelandet, in einer Unterkunft, wie man sie sonst kaum findet. Er wohnt auf dem kaum mehr als 100 Quadratmeter großen Grundstück in einer Holzhütte, die er selbst gebaut hat, wie auch das „ Haupthaus“, in dem sich unten die Küche für alle befindet und oben ein Dormitorio für sechs Leute.

Zudem gibt es ein einziges Zimmer, ebenfalls in einer Holzhütte, in dem wir untergekommen sind. Ale kramt sogar noch ein Colchoncito, eine kleine Extramatratze für Fridolin hervor, damit wir es gemütlicher haben. Drumherum gibt es noch Platz für bis zu 8 kleine Zelte, ein Kompostklo und drei Hängematten. Nichts ist hier gerade oder gar perfekt. Alles wächst so vor sich hin. An einem Tag hat Ale aus ein paar Latten eine Bank gebaut, weil er gerade dazu Lust hatte. Nun steht sie, leicht windschief unter dem Fenster unserer Bude und man kann von dort nachts den Sternenhimmel bestaunen.

Juli, eine 19-jährige Psychologiestudentin aus Argentinien, bemalt Wände mit schönen schwarz-weiß Zeichnungen oder grundiert einen Tisch – und darf dafür ein paar Wochen umsonst hier campen. Ebenso wie Belen, die hier mit ihrem zweijährigen Sohn Seru den Sommer verbringt – und ein paar Sachen auf dem Kunsthandwerksmarkt am Abend verkauft. Oder dort auch mal als Sängerin mit ihrer Gitarre auftritt.

Nein, sagt Ale, er will seine Zimmer nicht über andere Plattformen als Airbnb vermieten. Er habe es mal mit Booking versucht, der Plattform für professionelle Unterkünfte. Aber, sagt Ale, da kommen andere Menschen. Mit anderen Ansprüchen, denen er weder gerecht werden kann, noch will.

Hier fällt auch mal die heiße Dusche aus, weil das Gas alle ist. Hier funktioniert nur eine Flamme auf dem Herd. Hier muss man damit leben, dass es nur zwei Teller und drei Tassen gibt. Aber meckern tut deshalb keiner. Im Gegenteil.

Und wegen solcher Unterkünfte wünsche ich mir eine klare staatliche Regelung, strenge Vorgaben für Airbnb. Damit die Grundidee weiter leben kann, ohne ihr Umfeld zu zerstören. Ich bleibe da ein Romantiker, der auf den Sieg des Guten hofft. Auch wenn ich weiß, dass zumindest in Grossstädten wie Berlin das auf absehbare Zeit nicht passieren wird.

Apropos Zeit: es ist schon elf Uhr nachts, als wir nach dem Essen wieder auf die Hauptstraße gehen, die hier wie alle Wege eine unasphaltiert Lehmpiste ist – auf der sich jetzt die Menschen drängeln. Auf gut 250 Metern reiht sich ein Laden an den nächsten. Es gibt das Restaurant, das Empanadas in 35 Geschmacksrichtungen bietet. Die Buchhandlung mit Hang zu Esoterischem. Den Kleinen Obstladen, in dem man auch sein Handy aufladen kann. Den Laden mit dem brasilianischen Namen „agua na boca“, was soviel wie „Wasser im Mund“ bedeutet, wenn etwas sehr lecker ist (und die Empanadas in nur 8 Geschmacksrichtungen dort sind es).

Und es gibt überall Live-Musik. Auf der kleinen Bühne des Kunsthandwerkmarktes, was sich espacio de todo (Platz für alle) treten jeden Abend vier oder mehr Bands und Soloartisten auf. Vor einem Restaurant improvisiert eine Instrumental-Band auf Keyboard, Schlagzeug, Bass, Xylophon und Trompete. Zwei Häuser weiter spielt ein Trio mit Congas und zwei E-Gitarren spacigen Rock. Und zwischen den ganzen Ständen am Straßenrand mit hippieskem Schnickschnack oder Streetfood wie Choripan (klassisch: gegrillte Wurst im Brot) oder Buñuelos de algas (zielgruppenorientiert: frittierte Teigtaschen mit Algen) stehen hier und da auch noch Straßenmusiker. Jeden Abend verwandelt sich das Dorf mit den vielen kleinen Häusern in seinem Zentrum zu einem kleinen Festival.

Und wenn der Vollmond über dem Strand leuchtet, wird dort auch noch extra eine Bühne aufgebaut, auf der mehrere Bands durch die Nacht spielen.

Tagsüber kann man sich dann am breiten Sandstrand und in den erstaunlich unsalzigen Atlantikwellen erholen. Oder sich in Gespräche mit den Menschen hier verwickeln lassen, die einem gleich von ihren eigenen Reisen vorschwärmen (der Fruchtsaftmixer war mal in Straßburg, der Bäcker war im Herbst in Berlin und schwärmt von der Offenheit der Stadt und den tollen libanesischen Läden in Neukölln, die ihn an seinen Großvater erinnern, der aus dem Libanon stammte), von ihren Problemen erzählen (die junge Argentinieren kam eigentlich her, weil man ihr erzählt hatte, dass sie hier leicht als Kellnerin jobben könne, das klappte aber nicht, also verkauft sie jetzt belegte Brote, was auch nicht so läuft, aber sie ist dennoch schon über einen Monat hier) oder gleich von ihrem ganzen Leben (der alte Mann, den Katha fragt, bis wann der Supermarkt geöffnet hat, erzählt von seinem Leben hier und der Wohnung, die er noch in Montevideo hat, von seinen drei Kindern, seinen sechs Enkeln, und von seiner Frau, mit der er 50 Jahre zusammenlebte bis sie vor ein paar Jahren gestorben ist, sie hätten sich alle die Jahre immerwieder neu ineinander verliebt, sagt er, und wischt sich eine Träne aus den Augen).

Kurz gesagt: hier kann man gut ein paar Tage verbringen. Und das machen wir dann auch. Und sowohl die Gastfreundschaft von Ale als auch das zufällige Treffen mit dem Airbnb-Kritiker Erik haben ihren Anteil daran gehabt, dass es sehr gut war. Denn dank Erik konnten wir den restlichen Rindfleischbrei für Fridolin nicht nur in einem der vier großen Kühlschränke des Hostels zwischenlagern, sondern tags drauf, am einzigen kühlen Regentag in der praktischen Mikrowelle dort auch wieder aufwärmen. Denn solche stromfressenden Kapitalismus-Monster kommen einem Airbnb-Öko wie unserem Ale natürlich nicht ins Haus. Bei dem gibt es nur eine Handvoll LED-Lämpchen, die mit handgesammelten Solarstrom angeknipst werden dürfen.

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