grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Der Bochumer Junge

„Ja, die Sommerfeste an der Uni“. Trung* erinnert sich mit einem Laecheln. „Da gab es doch diese Hymne!“ Und schon faengt er an zu singen: „Bochum, ich komm aus dir, Bochum, ich …“. Es ist unglaublich. Ich hatte eigentlich nur am Abend noch ein Bier mit einem Paerchen aus Jena trinken wollen, das ich am Morgen im Bus nach Saigon kennengelertn hatte. Wir sassen in einer dieser Strassenbars im Travellerviertel, als sich erst ein Vietnamese zu uns setze, der im April fuer zwei Wochen nach Dueseldorf muss. Er arbeitet hier fuer Henkel. Schon sass noch ein anderen bei uns – und entpuppte sich als Bochumer Junge. „Ich bin Deutscher“, sagt Trung. „Ich bin hier Auslaender wie du“. Und dann erzaehlt er mir sein bewegtes Leben.

Sein Vater stammt aus Hanoi, seine Mutter aus der Naehe von Hue. „Ich aber bin Saigoner“, sagt der Deutsche. Hier wurde er 1961 geboren. Nach den Kriegswirren und der harten Zeit danach beschloss auch seine Familie in ein Boot su steigen und zu fluechten. 1979 war das. Trung war 18 Jahre alt. Die Stadtfamilie tat sich mit Leuten von der Kueste zusammen. In einem Boot fuer normalerweise zehn Personen sassen bis zu 50. Schon nach zwei Tagen und zwei Naechten auf hoher See tauchte ein franzoesisches Frachtschiff auf. Das hatte aber bereits andere Fluechtlinge aus dem Meer gesfischt. Fuer alle Bootsinsassen war kein Platz mehr. Irgendeine Auswahl mussten getroffen werden. Die Franzosen namen schliesslich alle Fluechtlinge auf, die keine Fremdsprachen konnten. Trung und seine gebildete Stadtfamilie blieben auf dem kleinen Kahn.

Die Fremdsprachen aber halfen ihnen auf hoher See kaum weiter, dafuer fehlten den Staedter nun Mitfluechtlinge, die wissen, wie man ein Boot steuert. „Es war seltsam, da draussen auf dem Meer“, erzaehlt Trung. Nichts als Horizont. Trung bestellt erstmal noch ein Bier.

Zum Glueck hatten die Franzosen offenbar einen Notruf absetzt. Schon am naechsten Tag kam ein deutscher Tanker. „Mit dem Namen Tokio Express“. Der nahm die restlichen Boatpeople auf und brachte sie nach Singapur. Und weil sie von einem deutschen Schiff gerettet wurd, kamen sie dann in die Bundesrepublik.

Drei Jahre brauchte Trung, um die deutsche Sprache eingermassen zu lernen. Dann begann er 1984 E-Technik zu studieren, an der Ruhr-Uni in Bochum. Wir haben also zu selben Zeit dort studiert. Ich bestell erstmal noch ein Bier. Zum Anstossen. „Wie hiess der Saenger noch?“, will Trung wissen. „Groenemeyer!“, sage ich. „Ja, genau!“ ruft Trung. Die Bierflaschen klingen.

Zehn Jahre lang hat Trung gebraucht, um das Studium zu beenden. Auch weil er zwischendurch ein paar Jahre hauptsaechlich in der Kneipe eines der Querenburger Studentenwohnheime gearbeitet hat. Das Wohnheim „Am Sumperkamp“, in dem ich spaeter meinen Zivildienst gemacht habe, kennt er selbstverstaendlich auch. „Harter Kern“, erinnert sich Trung, habe die Kneipe dort geheissen.

Nach der Uni hatte er sich mit einem Studienkollegen selbststaendig gemacht. In Sachen Hardware. Aber die Konkurrenz war gross. Schliesslich hat er in Duesseldorf ein Restaurant eroeffnet. „Ein chinesisches, in dem aber nur Vietnamesen arbeiten“, erklaert Trung. Vietnamesische Restautants waren damals in Deutschland noch nicht so bekannt. Deshalb haetten sie lieber die chinesische Kueche kopiert – so gut es ging. Der Laden laeuft bis heute, sagt Trung, „den muesste in Duesseldorf eigentlich jeder kennen. Jedenfalls haben wir in fast alle Briefkaesten schon mal unserer Flyer gesteckt.“

Trung ist heute aber nur noch hoechstens drei Monate im Jahr dort. Den Laden leitet seine Frau, seine Ex-Frau. Er selbst lebt ueberwiegend in Californien. Denn dorthin ist seine Familie weitergewandert, er arbeitet jetzt wie  seine Eltern im Immobiliengeschaeft. Wenn er nicht gerade in Saigon ist. Denn hier hat er nochmals geheiratet und einen vierjaehrige Tochter. „Bis sie in die Schule kommt, muss ich entschieden haben, wo wir dann leben wollen“, sagt Trung. Doch wie er seine verschiedenen Leben tatsaechlich unter einen Hut bringen soll, weiss er noch lange nicht.

In Vietnam, so viel scheint sicher, will er nicht bleiben. Offiziell sei das ein sozialistisches Land, aber von Sozialismus gebe es hier keine Spur. Kein Sozialversicherungssystem, nichts, klagt Trung. Schweden, auch Deutschland oder die Krankenversicherung, die Barack Obama fuer die USA geplant hatte, all das sei weitaus sozialistischer als Vietnam. Hier gehe es nur noch um den Erhalt der Macht der Partei.

Ein junger Freund von ihm hat sich mittlerweile zu uns gesetzt. Er arbeitet als Mathematiklehrer an einer oeffentlichen Schule. Sein Monatseinkommen: 3 Millionen Dong. Das klingt viel, entspricht aber gerade mal 120 Euro. „Ein Buergermeister verdient offiziell auch nicht mehr“, erklaert Trung. Und dennoch faehre der ein dickes Auto. Wie er sich das leisten koenne, sei doch klar: Korruption beherrsche das Land.

Trung redet jetzt etwas leiser. Auch wenn er sich als deutsch sprechender Deutscher relativ sicher fuehlt. Es gebe hier in Vietnam so ein System wie die Stasi einst in der DDR, sagt Trung. Vor ein paar Jahren, erzaehlt er dann noch, sei es Journalisten gestattet worden, vorsichtige Kritik in ihren Artikeln zu aeussern. Damit sei es nun wieder vorbei. „Das Land entwickelt sich zurueck“, klagt Trung. Er setzt ein wenig auf die Jugend. Die nutzte das Internet und so weiter. Aber so richtig grosse Hoffnung hat er nicht. Es gebe zwar eine kleine Oppositionsbewegung, vor allem unter Auslandsvietnamesen. „Die meisten Leute haben aber hier im Land interessieren sich nicht fuer die Politik. Die haben auch gar keine Zeit dafuer“. Sei seien voll und ganz damit ausgelastet, ueber die Runden zu kommen.

Trung bestellt nochmal Bier. Es ist mittlerweile schon halb zwei in der Nacht. In der Strasse hat eigentlich nur noch unser kleiner Bierausschank geoeffnet. Ich beschliesse, auch ins Bett zu fallen. Trung gibt mir die Adresse von seinem Laden in Duesseldorf. Wenn ich das naechste Mal dort sei, meint er, koenne ich ja bei seinem Lieferservice was bestellen. Es sei gut moeglich, dass er das Essen dann selbst ausliefere – wenn er denn gerade in Deutschland ist.

*Der Name von Trung ist ausnahmsweise mal geaendert. Den Namen des Ladens habe ich ebenfalls bewusst nicht genannt. Warum, ergibt sich hoffentlich aus der Geschichte. 

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