grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Texte, neu und gebraucht: Zwei Kubaner in Montevideo, stapelweise Buchhandlungen und die soziale Lage. Fridolin lernt tanzen

MONTEVIDEO (gri) Elsa kriegt sich kaum mehr ein. Da ist ja ein Baby, ruft die freundliche Kubanerin und hat Fridolin schon auf dem Arm, kaum dass wir zwei Minuten die große Holztreppe in den ersten Stock dieses Bürgerhauses gekraxelt sind. Dabei ist die eigentliche Sensation doch dieses Eckhaus im Stadtteil Cordón von Montevideo, das ich bei Booking angeboten bekommen hatte.

In der oberen Etage des stilvoll mit alten Möbeln, passenden Gemälden und großen Spiegeln eingerichteten Gebäudes im Kolonialstil gibt es drei große Zimmer mit breiten Betten und Schränken aus dunklem, verzierten Holz. Unseres hat sogar einen Balkon zur Straße, der Zugang ist allerdings vergittert. Egal. Das allerbeste hier sind Elsa und El Chino, wie ihr Mann von allen genannt wird, auch wenn er eigentlich Argelio heißt.

Die beiden sind um die 70, haben schon Urenkel und sind vor ein paar Jahren aus Kuba ausgewandert. Weil eine ihrer Töchter hier lebt. Und weil es in Kuba nicht mehr gehe, sagt El Chino. Da prügeln die Leute sich jetzt schon ums Brot, sagt Elsa, das habe sie gerade erst im Fernsehen gesehen.

Jetzt leben die beiden hier als eine Art Hausmeisterpärchen. Sie lassen rund um die Uhr die Gäste rein und wieder raus, halten alles sauber, beklagen sich, wenn man selber sein Geschirr spült, machen einem die Wäsche. Und sind immer für einen Plausch zu haben, vor allem wenn sie im Gegenzug el bébé auf den Arm nehmen dürfen.

In diesem Palast haben sie oben neben der schönen Dachterrasse ein kleines Zimmer. Ihr eigentliches Reich aber ist die gut ausgestattete Küche, in der wir als Willkommensgruß gleich mal Kaffee und Kekse angeboten bekommen. Das mache man auf Kuba so, erzählt Elsa – und schaukelt mit Fridolin auf dem Arm durch die Küche, während sie von ihrer Urenkelin erzählt, die fast genauso alt sei, die sie aber noch nie getroffen habe, weil sie in die USA lebe.

Das Haus gehört Alex, der taucht aber nur einmal kurz auf. Denn er hat noch eine Wohnung an der Rambla, die seiner Mutter besser gefalle, weil sie da nicht so viel Treppen steigen muss, erzählt der Chino. Außerdem sei er Vorsitzender einer Kommission und viel in der Welt unterwegs. Dafür kommen am zweiten Tag Elsas Tochter, samt Mann und Sohn, die vor kurzem auch erst aus Kuba übergesiedelt sind.

Es ist nicht so, dass Elsa und Argelio den Sozialismus a la Kuba komplett ablehnen. Im Gegenteil. Alle Kubaner, schwärmt Elsa, bekämen ein Haus von der Regierung, ohne groß dafür zahlen zu müssen. Und die Gesundheitsversorgung sei gut. Die Ärzte des Landes hätten weltweit einen guten Ruf, weil sie überall dort hingingen, wo sonst niemand im Einsatz seien wolle, sagt sie stolz. Und an der Uni in Havanna könnten Menschen aus aller Welt Medizin studieren. Umsonst. Das, sagt Elsa und sitzt gleich ein wenig aufrechter auf dem grünen Plastikstuhl, habe Fidel gemacht. Allerdings, fügt sie dann noch hinzu, der Sozialismus funktioniere nicht. Den Menschen fehle es an Grundnahrungsmitteln. Und auch die tolle ärztliche Versorgung nütze oft nichts, wenn dann die Medikamente fehlten und man sie nur unter der Hand bekäme. Sie reibt ihren Daumen an Zeige- und Mittelfinger, das internationale Symbol für „mucha plata“, viel Geld. Im Fernseher gleich neben dem großen Kühlschrank dröhnt eine Telenovela.

Draußen braust der Verkehr über die mit Platanen bestandene Straße. An der Querstraße in Richtung der in der Nähe gelegenen Universität reiht sich ein Buchladen an den anderen. Der gleich nebenan bietet laut Schild „Textos. Nuevos. Usados.“ an, also „Texte, neue und gebrauchte“. Drinnen findet man aber nahezu ausschließlich Second-Hand- Literatur. Stapelweise Romane und Sachbücher, aber auch Hefte mit Groschenromanen, Klatschzeitschriften und Sport-Illustrierte.

Auf einer steht auf der Titelseite die brandaktuell wirkende Schlagzeile „Macri puede caer“ – Macri könnte stürzen. Tatsächlich geht es um den heutigen Präsidenten im Nachbarland Argentinien. Die Fussballillustrierte stammt aber aus dem Jahr 1997, als Mauricio Macri noch Präsident des Fußballclubs Boca Juniors in Buenos Aires war. Der Text fällt also eindeutig unter die Kategorie „gebraucht“, wirkt aber dennoch wie neu.

Draußen fallen uns, anders als bei unserem ersten Besuch in Montevideo vor einer Woche, die vielen Menschen auf, die offenbar auf der Straße leben. Einige bieten ein paar armselige Dinge zum Kauf an, die sie auf Tüchern auf dem Bürgersteig vor dem Supermarkt ausgelegt haben. Andere scheinen in einer abbruchreifen Ruine zu hausen, auf deren Fassade mit großen Buchstaben „Nosotros somos pueblo“ („Wir sind das Volk“) gepinselt wurde. An anderen Hauswänden wird „Okupa y resiste“ (Besetze und widersetze dich) gefordert. Oder ein Stadtviertel „Cordón ohne Rassismus und Machismus“. An einer Schule hängen Transparente, auf denen LehrerInnen gegen Kürzungen staatlicher Förderung protestieren. Eine Bank wird gerade bestreikt, weil dort die Löhne gesenkt werden sollen.

Sind das die Embleme sozialer Kämpfe, die auf verbreiterter Armut beruhen?

Zumindest Obdachlosigkeit wegen Armut gebe es hier nicht, versichert uns später der Taxifahrer, der uns nach zwei Tagen zurück zum Busbahnhof bringt. Der linke Präsident Pepe Mujica habe die Sozialprogramme stark ausgebaut. Auch der Zugang zu ärztlicher Versorgung, Schulen und Universitäten sei jetzt kostenlos. Wenn jetzt doch noch Menschen auf der Straße leben, dann liege das an den Drogen, meint der Fahrer.

Auch Elsa und El Chino sind sehr angetan von ihrer neuen Heimat. Sie haben seit kurzem sogar die uruguayische Staatsangehörigkeit, das sei alles einfach gewesen, sagt Elsa. Die Uruguayer seien sehr großzügig. Aber im Herzen werden die beiden Kubaner bleiben. Immer. Sie sind auch dort weiter Staatsbürger. Sie schwärmen vom Malecon, der berühmten Küstenstraße in Havanna und von der Solidarität der Kubaner. Als am Abend eine Trommel- und Tanzgruppe unten am Haus vorbeizieht, stürmt zwar die gesamte Familien begeistert auf die Dachterrasse. Oben aber betont der Schwiegersohn, gegen die Trommler in Kuba sei das natürlich gar nichts.

Und am letzten Morgen nimmt Elsa Fridolin nochmals auf den Schoß, während im Fernseher irgendwelche Experten über Fußballer wie Robben und Messi fachsimpeln, und bringt ihm bei, „wie ein Kubaner zu tanzen“. Sie singt ein rhythmisches Chikichikichiki und wackelt mit Fridolins Armen. Er lässt es sich gefallen. Auch dass sie ihm ins Ohr flüstert, dass er, wenn er groß sei, bestimmt mal Millionär werde und mit seinem eigenen Flugzeug durch die Welt reisen könne.

Und sonst?

1) Die Überlandbusse in Uruguay sind nicht nur bezahlbar (ca. 15 Euro für eine vier- bis fünfstündige Fahrt) und gut, sondern fahren auch sehr pünktlich los. Und sie sind ausgesprochen ruhig. Anders als in anderen lateinamerikanischen Ländern plärrt hier kein Fernseher oder Radio. Dafür gibt es meist gut funktionierendes WIFI und alle chatten auf ihren Smartphones.

2) Aus dem Busfenster erinnert Uruguay ein wenig an Brandenburg. Alles flach, viel grün, hier und da ein Windrad. Nur die vielen Kühe auf den unendlichen Weiden erinnern daran, dass man nicht durchs Berliner Umland gurkt.

3) In der linken Tageszeitung „la diaria“ stand ein spannender Debattentext, in dem die Autorin, eine Menschenrechtsanwältin, beklagt, dass die hiesige linke Regierung, die gleichen Fehler mache, wie in Ecuador und Brasilien, wenn sie beim geplanten Bau des „tren de la UPM“, einen Güterzug, den eine finnische Zellulosefirma bauen will, nur Rücksicht auf die Investoren, nicht aber auf Umwelt und Anwohner nimmt.

4) In Montevideo gibt es ein Denkmal, das auf den ersten Blick wie eine Hommage an all die Menschen auf den Parkbänken wirkt. Irgendwie stimmt das auch. Bei genauem Hingucken sieht man aber: einer ist Albert Einstein, der andere ein uruguayischer Philosoph. Die beiden saßen hier für einen Gedankenaustausch in den 20er Jahren.

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