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25 Jahre WWW: Wie das Internet anfangs gesehen wurde

25 Jahre World Wide Web

„Wie Telex und Fax“

Heute ist das weltweite Computernetzwerk alltäglich. Anfangs stieß es vielfach auf Skepsis und Unverständnis. Wie das Internet in unseren Alltag einzog, zeigt ein zeithistorische Reise durchs taz-Archiv.

Vor genau 25 Jahren, am 6. August 1991, hat Tim Berners-Lee die allererste Webseite veröffentlicht – und damit das World Wide Web erfunden. Heute wissen wir, dass dieser Schritt mindestens so wichtig war, wie die Erfindung des Buchdrucks. Aber bis sich diese Erkenntnis durchsetzen konnte, brauchte es seine Zeit. Ein Prozess, der sich bei fast allen Neuerungen im Computerzeitalter wiederholte, wie ein Blick ins taz-Archiv zeigt.

Internet – nur echt mit Hacker

Beginnen wir mit dem Internet. Laut taz-Archiv wurde es erstmals bereits am 21. März 1990 erwähnt – als äußerst anfälliges Konstrukt. In einer kurzen Meldung mit dem Titel „Hacker im US-Militärcomputer“ heißt es, ein unbekannter Hacker sei „in das amerikanische Computernetzwerk Internet eingedrungen, das Computer zahlreicher US-Universitäten, Regierungslaboratorien, Militärstützpunkte und Industrieunternehmen miteinander verbindet.“ Schon zwei Jahre zuvor sei schon „einmal ein zerstörerischer Virus eingepflanzt worden, der mehr als 6.000 Computer stillgelegt hatte“.

Danach mussten taz-LeserInnen drei Jahre warten, bis sie mehr über dieses seltsame Internet erfuhren. Erst im Februar 1993 klärt Gwendolyn Whittaker, eine Menschenrechtsaktivistin aus den USA, umfassend auf. In ihrem Text „Mac Menschenrecht“ heißt es: „Sie können innerhalb ihres Netzes – und anderer, kommerzieller und nichtkommerzieller Netze wie Internet, Unsenet und MCI Mail – Informationen schicken und empfangen und auch mit elektronischen Systemen wie Telex und Fax kommunizieren.“

Richtig praktisch wird dann noch im selben Jahr Andrea Böhm. Sie beschreibt in dem Artikel „Das Leben im Computernetz“ nicht nur auf bis heute gültige Art, was man alles im Internet machen kann („über Geheimdienste diskutieren, über Country-music plaudern, Esperanto lernen“), sondern auch wie man dort flirtet, sich dabei benimmt und warum es sinnvoll ist „auf internet“ komische Bemerkungen mit einem Semikolon und einer rechtsgekrümmten Klammer zu versehen ;). „Wer jetzt den Kopf um neunzig Grad nach links neigt, erkennt ein Lächeln.“

Nur ein Punkt ist heute vollkommen überholt: „InternetianerInnen machen keine Geschäfte und Profite. Sie hassen Kommerz“, schrieb Böhm.

Das Hauptproblem waren damals wie heute aber offenbar die Hackerangriffe. Schon im vierten taz-Text über das Internet sind sie wieder das Thema. „Das Computer-Notfallteam des Deutschen Forschungsnetzes wies auf die zum Teil beträchtlichen Schäden hin“, heißt es dort.

World Wide Web – eine Kunstnische

Das weltweite Computernetzwerk brauchte erstaunlich wenig Zeit, um in der taz Erwähnung zu finden. Schon zwei Jahre nach seiner Erfindung heute vor 25 Jahren, taucht es in einem Text auf. Besonders offen hat sich damals anscheinend die Kunstwelt gezeigt. Denn der Text „Wenn der Briefkasten piept“ vom 7. September 1994 berichtet vom Medienkunstfestival in Osnabrück. Dort wolle die Arbeitsgruppe Brem.net „die Vorzüge des neuen Kommunikationssystems vorführen – bis hin zur (geplanten) Vernetzung mit dem World Wide Web“. Darüber ließen sich vom heimischen Terminal aus CD-Player in Kalifornien anwählen oder Videokameras in England.

Auch die Abkürzung „www“ taucht wenig später erstmals in einem Text über die Ausstellung in einer Galerie auf, die „ermöglicht auch dem unbedarften Benutzer, in die Welt der Datennetze einzusteigen.“ So einfach war es dann aber wohl doch nicht. Denn das sei eine „schlichte Lüge“, empört sich Kulturredakteurin Brigitte Werneburg.

Google – Chemtrails im Netz

Die Suchmaschine war irgendwann einfach da. Im Sommer 2001 findet sie erstmals Erwähnung in einem taz-Text. Er stammt – und das erscheint dann schon sehr plausibel – von dem Ereignis- und Absurditätensammler Helmut Höge. Auch passend: es ging in dem Artikel um Paranoia. Höge berichtet über

„Websites, auf denen tausende von Amerikanern die Flugzeug-Kondensstreifen am Himmel diskutieren und dokumentieren, weil sie davon ausgehen, dass es Giftwolken sind, mit denen die US-Regierung ihre eigenen Bürger besprüht.“ Die Chemtrails-Skeptiker gibt es also auch schon deutlich länger, als man so denkt. Dann schwenkt er hinüber zu bundesrepublikanischen Paranoikern, die über ein verdächtiges Haar des RAF-Mannes Wolfgang Grams grübeln, und erwähnt dann, dass es „Zu diesem Problem derzeit – über die Suchmaschine ‚google’ – bereits einige tausend Webseiten“ gebe.

Was genau diese Suchmaschine aber so besonders macht, wurde damals in der taz nicht thematisiert. Es wird offenbar als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. „Auch Google weiß danach zu suchen“, heißt es hier. „Natürlich ist es praktisch, Google anzuschmeißen und sofort 30.000 Einträge zu jedem x-beliebigen Thema zu finden“, heiß es dort.

Das besondere Potenzial von Google thematisiert dann am 17.9.2001 erstmals ausgerechnet die „Gurke des Tages“ auf der „Wahrheit“, der Satireseite der taz. Sie lobt die automatische Google-Übersetzung gelobt. Wenn man dort „Ussama bin Laden“ eingebe, „dann offenbart sich der wahre Name des Schurken: „Usama Sortierfach beladen“. Google, da hatte Helmut Höge offenbar recht, dient vor allem als Hilfe für Verschwörungstheoretiker. Die finden bis heute für alles irgendeinen Beleg.

Youtube – der absolute Wahnsinn

Einem namenlosen, aber offenbar gelangweilten Kulturredakteur hat die taz-Leserschaft ihr grundlegendes Wissen über den Videokanal youtube zu verdanken. In der Nachrichtenkolumne „Unterm Strich“ vom 2. Februar 2006 wird youtube – ziemlich genau ein Jahr nach dessen Start – nicht nur erstmals erwähnt, sondern auch kundig erklärt: „In Anbetracht der Tatsache, dass es an diesem Montag so gar nichts zu vermelden gibt, seien die geneigte Leserin und der geneigte Leser an dieser Stelle auf eine ziemlich einzigartige Homepage hingewiesen“. Und dann wird das „vor sich hin wuchernde Filmschnipselarchiv“ gepriesen. Dort finde man „Al-Green-Auftritte, Miles-Davis-Konzerte, Dutzende von James-Brown-Shows, Zeugs von den Einstürzenden Neubauten – alles eben.“

Gleich der erste Treffer sei ein Auftritt von Georg Clinton gewesen, „ein fast zwanzigminütiger Freakout von 1969, der absolute Acidmotown-Wahnsinn“. Der Redakteur muss an jenem Montag tatsächlich viel Zeit gehabt haben. Außerdem hat er nicht glauben können, dass dieses Wunder auf Dauer erhalten bliebt: „Irgendwann wird diese Netzgegend geordnet werden und der Zugang etwas kosten. Bis dahin aber: Schaut euch den Kram an!“, heißt es am Ende des Textes.

Dass youtube damals alles andere als ein reines Vergnügen für den Zuschauer war, berichtete wenige Wochen später Detlef Kuhlbrodt: „Das Warten nervt. Bis das alles richtig geladen ist. Irgendwie macht einen das immer so nervös, wenn man wartet, während der Computer rechnet, damit man sich das angucken kann, und das Irre dabei: Die Rechengeräusche meines Computers sind ja nicht mal echt, sondern wurden von irgendwelchen Schlauköpfen da reingebaut, wie mir kürzlich jemand erzählte: Sie sollen der Aktivität der Maschine eine akustische Repräsentation geben.“ Und er endet schließlich mit der weitsichtigen Erkenntnis: „Man kann sich total an diese Dinge verlieren. Schnell wird man süchtig.“

Facebook – das amerikanische Vorbild

„Wichsn und Wachsen“, ist der taz-Text betitelt, in dem das soziale Netzwerk Facebook am 30. November 2006 erstmals erwähnt wurde. Allerdings ging es darin eigentlich gar nicht um Facebook, sondern um das deutsche Pendant StudiVZ. Das bereits 2004 gegründete Original taucht auch in den folgenden Monaten wenn überhaupt dann nur als Vorbild für die deutsche Kopie auf. Facebook wurde hierzulande deutlich unterschätzt. Jeder Kaufmann eines arabischen Basars, hieß es noch Ende 2007 in einem taz-Text, „hat eine weit verzweigte Verwandtschaft und ein noch viel größeres soziales Netzwerk – die Internetplattformen Facebook und Myspace sind nichts dagegen.“ Bis dahin gab es aber auch noch keine deutsche Version von Facebook.

Erst Anfang 2008 wir das Potenzial von Facebook erkannt – weil andere es nicht erkannt haben. In einer Analyse des damalige US-Vorwahlkampfes heißt es: „Hillary Clintons Wahlkampf war in jeder Hinsicht zu altmodisch. Ihr Team hat es weder geschafft, Hillary auf Internet-Plattformen wie Facebook, MySpace oder YouTube zu vermarkten und damit jüngere WählerInnen in größerer Zahl zu erreichen.“

Twitter – das US-Wahlkampftool

Twitter ist zwar in diesem Sommer auch schon zehn Jahre alt geworden, im Vergleich zu anderen Onlinediensten ist aber fast noch jung. Das erkennt man auch im taz-Archiv. Erstmals erwähnt wird der Kurznachrichtendienst Anfang 2008 – auch in einem Text über den US-Vorwahlkampf. Die Kandidaten, heißt es dort, „schwirren im Internet auf vielen Plattformen herum – Beispiele sind Facebook, MySpace, YouTube, Flickr, aber auch Eventful, Twitter, Linkedin, Eons oder Faithbase.“

Was genau es mit Twitter auf sich hat, erfahren die taz-LeserInnen aber erst drei Monate später: „Die Microblogging-Welle: Was machst du gerade? Eine schlichte 140-Zeichen-Kommunikation wird immer populärer: Mit Twitter kann man Freunde auf dem Laufenden halten. Klingt trivial, doch immer mehr tun es – selbst Premiers und Marssonden“, wird da in der taz-Printausgabe ein Text angepriesen, der aber nur online erscheint. Auch der erklärt das Potenzial anhand des US-Wahlkampfes. Barack Obama heißt es dort, habe schon 31.000 Follower, seine Konkurrentin Hillary Clinton kam nur auf 8.000. (Heute hat Obama übrigens 76 Millionen Folger, Hillary liegt mit 8 Millionen immer noch weit zurück.)

In Deutschland wurde der Nutzen von Twitter derweil noch in Frage gestellt. In seiner Reportage über das Openair-Festival Melt schrieb David Denk im Sommer 2008 über einen gewissen Björn, der „eine Twitter-SMS mit folgendem Text schrieb: ‚Gewittersturm überm Melt. Warten auf The Notwist’.“ Das sei zwar sachlich völlig richtig, allerdings frage man sich, „wen es interessiert, wo Björn gerade im Regen steht.“

Aber wie wir bei den anderen Neuerungen rund um das Internet gesehen haben, gehörten zu den early adopters in erster Linie immer nur Kreative und Spinner. Für Normalos war es offenbar immer zu komplex, den Sinn des Ganzen frühzeitig zu begreifen.

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