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Inflation, Schwarzmarkt und Streik: ein Wirtschaftsbericht

Am Montag hat das neue Schuljahr begonnen, nach den monatelangen Sommerferien sollte es endlich wieder losgehen. Ist es aber nicht. Rund 90 Prozent aller staatlichen Schulen blieben dicht, denn die Lehrer haben gestreikt. Je nach Region ein, zwei oder mehr Tage. Die Gewerkschaften fordern eine satte Lohnerhöhung: 30 Prozent! Doch was sich für europäische Verhälnisse extrem anhört, ist hier nur mehr als angebracht. Denn Argentinien leidet seit Jahren unter einer enormen Inflation. Laut Zeitungsberichten lag sie im Jahr 2012 bei über 26 Prozent.

Die Regierungen der einzelnen Regionen, die hier für die Tarifabschlüsse mit den docentes verantwortlich sind, sind im Prinzip sogar bereit, die Löhne kräftig raufzusetzen. Allerdings stöhnen sie – wie überall auf der Welt – über die leeren Kassen. El Tribuno in Salta berichtete letzte Woche auf Seite 1, dass über eine Milliarde Pesos fehlen würden, um die Lehrer zu bezahlen. Dabei verdienen die auch nach einer Lohnanpassung kaum etwas. Laut der Zeitung La Nacion, bekommen Lehrer derzeit für einen Halbtagsjob 3120 Pesos im Monat, für eine Vollzeitstelle 6240. Nach der zuletzt von der Regierung angebotenen Lohnerhöhung um 26 bis 29 Prozent kämen sie auf 4100 bzw. 8200 Pesos. Das sind laut offiziellem Wechselkurs derzeit aber gerade mal rund 625 bzw. 1250 Euro. Und das bei einem Preisniveau, das zumindest in Buenos Aires dem in Europa durchaus entspricht. Zudem soll die Lohnanpassung nicht sofort und auf einen Schlag gewährt werden, sondern in zwei Schritten im März und Juli. Bis dahin aber wird das Geld schon wieder deutlich weniger wert sein. Kein Wunder, dass viele Argentinier sauer auf die Regierung sind.

Dabei versucht die zumindest, die Inflation zu bekämpfen – wenn auch mit heftig umstrittenen Methoden. So wurde Supermärkten und den Elektorhändlern verboten, die Preise zu erhöhen. Ein Beschluss, der in den hiesigen Zeitungen viel debatiert wird. Dabei gilt er gerade mal für 60 Tage: vom 1. Februar bis 1. April soll das Preisniveau stabil bleiben.

Aber was sich erstmal gar nicht so falsch anhört, hat unerwartete Auswirkungen. So klagte die in Mendozo erscheinende Zeitung Los Andes, dass bereits nach einer Woche einige Regale in den Supermärkten leer geblieben waren, weil sich der Verkauf bestimmter Produkte für die Händler offenbar nicht mehr rechnete. Dennoch müssten die Kunden tiefer in die Tasche greifen, weil viele Händler auf die sonst üblichen Sonderangebote verzichten würde. Nicht zuletzt, so klagte die Zeitung, fehle es an Kontollen – und an Sanktionen, falls gegen das Verbot der Preiserhöhung verstoßen würde.

Über ein weiteres Problem berichtete La Nacion: den Super- und Elektromärkten wurde zeitgleich verboten, in den Medien für ihre Sonderangebote zu werben. Daher hätten sie nun keine Chance mehr, die Kunden anzulocken. Wenn die Händler nun – wie üblich zum Ende der Sommersaison – beispielsweise Restposten an Klimaanlagen billig an den Kunden verscherbeln wollen, könnte sie das ja gar nicht bekannt machen. Ob der Zeitungsverlag da auch auf eigene Rechnung klagte, weil ihm nun die Anzeigeneinnahemn fehlen, blieb offen.

Aber ganz ohne Werbung muss La Nacion ja auch auskommen. Denn die Händler selbst beklagen sich über das Werbeverbot. In ganzseitigen Anzeigen zeigen sie Menschen, denen die Augen verbunden sind. Der Kunde, so ihre Meinung, sei nun blind beim Einkauf.

Ein stärkerer Grund für das Ausbleiben der Kunden dürfte aber das exorbitante Preisniveau sein. In dem Parador an der Landstraße nach Rioja hatte ich mitbekommen, wie sich ein Chilene auf der Durchreise mit dem Verkäufer über die unterschiedlichen Preise in den Nachbarländern Chile und Argentinien unterhielt. Mit Hilfe eines Taschenrechners und großen Gesten verglichen sie die Kosten für einen Liter Milch oder einen großen LCD-Fernseher. Ihr Fazit: hier ist alles doppelt so teuer wie westlich der Anden.

Auch dem Reisenden fällt die Inflation auf. Zum einen natürlich an den Preisen selbt. Die sind durchweg 50 bis 100 Prozent teurer als in dem erst im letzten Jahr erschienenen Reiseführer angegeben. Wer aber harte Währungen wie den Dollar oder den angeblich so krisengeschüttelten Euro besitzt, kann das Preisniveau um bis zu einem Drittel senken – per Tausch auf dem Schwarzmarkt!

In allen größeren Städten trifft man auf Menschen, die auffällig unaufällig in Fußgängerzonen oder in der Nähe der Banken an den zentralen Plätzen stehen und einem die Worte „cambio, cambio“ zuflüstern. Bei denen bekommt man für derzeit einen Euro über 9 Pesos, für einen Dollar 7,50 Pesos. Beim offiziellen Tausch in einer Bank sind es nur 6,75 Pesos (für Euro) bzw. 5 Pesos (für Dollar). Die Schwarzhändler zahlen also fast die Hälfte mehr!

Allerdings nehmen sie nicht jedes Geld. Sie wollen nur 100-Dollar-Scheine. Wer mit „Kleingeld“ kommt, wozu hier schon ein 50-Dollar-Schein zählt, bekommt entweder gar nichts oder einen deutlich schlechteren Kurs. „Die Leute, in deren Auftrag ich arbeite, wollen nur 100er“, erklärte mir ein Schwarzhändler in Cordoba. Denn denen gehe es ja nicht darum, passendes Kleingeld zu haben, sondern große Dollarmengen zu horten – als Sicherheit gegen die Inflation. Und wohl auch, um halb- bis illegal die getauschten Dollar bei Bedarf außer Landes zu schmuggeln. Da stören große Bündel mit kleinen Scheinen nur.

Als staunender Europäer fragt man sich da vielleicht: warum gehen die nicht einfach zur Bank und kaufen Dollar zum üblichen Preis? Die Antwort ist einfach: der Wechsel ist streng nach oben begrenzt. Selbst Menschen die – wie Luis –  im Ausland arbeiten und in Dollar bezahlt werden, bekommen hierzulande ihren Lohn von der Bank nur in Pesos ausbezahlt.

elguardian.jpgEin Problem, das ganz aktuell zu einem großem Streit zwischen den großen Besitzern der hiesigen Soja-Farmen und der Regierung führt. Die Wochenzeitung El Guardián berichtet in ihrer Titelgeschichte über „Los duenos del dólar“ (die Eigentümer dea Dollar). Es geht um den Verkauf der diesjährigen Soja-Ernte, die ab Ende März einfahren wird. Ihr Wert: rund 27 Millionen Dollar. die Regierung hofft mit den Devisen aus dem Verlauf die Reserven der Staatbank zu erhöhen. Die Agro-Oligarchen aber sepkulieren nun darauf, die Ernte erst später yu verkaufen – um bei einem weiter fallenden Peso mehr zu verdienen. Die Regierung überlegt nun im Gegenzug, den Soja-Export zu verstaatlichen.

Legal ist natürlich auch der Schwarztausch auf der Straße nicht. Außerdem muss man als Tourist immer damit rechnen, Falschgeld in die Hand gedrückt zu bekommen. Aber dennoch ist der Finanzmarkt auf der Straße längst ein gesellschaftlich akzeptiertes Phänomen. Den aktuellen Schwarzmarkurs findet man als dolar paralelo auf den Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen.

One response to “Inflation, Schwarzmarkt und Streik: ein Wirtschaftsbericht”

  1. […] Inflation: derzeit bei über 26 Prozent. Mehr dazu und den Auswirkungen auf den argentinischen Alltag und die Reisepreise hier. […]

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