grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Plaza Santa Ana – eine Erinnerung an Madrid

Erinnerung. Wie lange ist das her? Vier Jahre? Oder fünf? Und davor? Ein halbes Leben.

Wir saßen auf der Plaza Santa Ana, es waren unsere letzten Tage, in Madrid, in Spanien, überhaupt. Wir wussten das. Wussten wir das?

Es war heiß, es gab leckere Oliven in einem kleinen weißen Schälchen zum Bier in einer der Cervezerias am Rand der Plaza. Haben wir Bier getrunken? Ich weiß noch, dass ich mich gewundert hatte, dass es Cervezerias gibt, hier in Madrid. Anders als in Barcelona. Da trank niemand Bier – was nicht stimmen kann, aber stimmig ist in der Erinnerung.
Die Männer trugen Anzüge, Krawatten, sie ließen die Kippen auf den Boden fallen, neben die leeren Zuckertütchen , die Hüllen der Zahnstocher, die Kacheln waren weiß. Waren sie weiß? Wer weiß.
Ihre Haare waren blond, der Tabak schwarz. Wir rauchten ihre Ducados ohne Filter, der Geschmack von Libertinage und Teer. Verrucht, verräuchert. Was war ich verliebt. Gewesen. Da oben in Berlin, in die verrückte Dunkelhaarige, die dann schwanger war. Von dem Franzosen.
Nun saß ich da mit der Blonden, wir rauchten auf der Plaza Santa Ana, es war heiß, ich hielt ihre Hand, nein ganz bestimmt hielt ich nicht ihre Hand, wir lachten, es war Juli, irgendwann nach 10 Uhr, am frühen Abend senkte sich das Thermometer langsam Richtung 30 Grad. Kaum auszuhalten. Wunderbar. Que alegria.

Wir mussten noch trinken, warten bis die Nacht leichter wurde, wie unsere Haut, oben in dem dunklen, großen Zimmer, Küsse mit Tabakgeschmack. Wir hatten viel geredet. Über die Liebe.
Wir waren im Prado. Den ganzen Tag. Da drin war die Luft erträglich. Alte Schinken an den Wänden, gut abgehangen, wie in einem dieser Läden mit dem leckeren Iberico.
Groß, dunkel, in Öl. Ich schlenderte, sie genoss. Sie blieb einen Raum hinter mir. Dann zwei. Irgendwann kam sie gar nicht mehr. Ich ging zurück. Zwei Säle, drei, vier. Sie stand vor dem Bild, offenbar schon länger. Jesus am Kreuz. Ja, noch so ein Jesus am Kreuz. Sie sagte, das ist Diego Velazquez. Sie stellte ihn mir vor, wie einen alten Freund. Sie zeigte auf den gemalten Körper, der Körper war, Mensch, nicht Gott, Fleisch, nicht Geist, Beine, Brust, hell strahlend vor der dunklen, schwarzen Nacht drumherum. Pures Leiden, fast schon lustvoll, obszön. Ein Skandal. Damals, vor Jahrhunderten. Sagte sie damals vor einem Vierteljahrhundert. Sie wusste das, sie hatte das studiert und nahm mich an die Hand. Körper, nicht Geist. Sie lachte.
Dann ist sie mit mir gegangen. Saal für Saal. Hat mich eingeführt, geleitet, gezeigt, was sie mag, was nicht, bis zu den Fratzen, den schreienden, den gezeichneten von Goya. Wie verliebt ich war, jetzt hier in diesen Moment.

Später ging es zurück nach Berlin, andere Realitäten, andere Leben. Aber noch stand draußen die Sommerhitze von Madrid, eine Perle aus Schweiß. Körper von Velasquez.
Ein halbes Leben.

 

Ich war später nochmal hier, vor vier oder fünf Jahren, auf der Durchreise, von Buenos Aires oder Lima, wer weiß das schon, nicht die Erinnerung, sie schwankt. Sechs Stunden Aufenthalt, Zwischenstopp in Madrid, mit der U-Bahn zur Sonne, zu Sol, zur Puerta del Sol, hier ein paar Straßen rauf, da ein paar runter und dann Plaza Santa Ana, der Erinnerung wegen. Die Männer trugen Anzüge, Papiertütchen auf dem Boden, weiße Kacheln, Sonne, ein Bier, Oliven. Oder doch ein Kaffee? Und dann die Idee: einmal noch wiederkommen – mit etwas mehr Zeit, mit einem guten Freund vielleicht. Die Anfangsidee für dies heutige Reise mit Herrn Oppermann.
Und jetzt?
Plaza Santa Ana. Die Häuser sind wie eh und je, Fassade, ausgestellter Protz. Eine Straße weiter grölen betrunkene Briten. Im Café auf der Plaza sitzen nur Deutsche. Die Tische gehören zur Cervezeria Alemana, in der schon Hemingway … Der Kellner sieht aus, als habe er schon besser Zeiten gehabt. Er gießt die Milch in meinen Kaffee, stilvoll, wenigstens das, aber es ist eine hohle Geste, Schauspiel einer Erinnerung, der Kaffee ist schal, die Oliven im weißen Schälchen sind fad, das Bier von Herrn Oppermann ist nur teuer.
Auf der Plaza steht Frederico Garcia Lorca, in Bronze, er hält eine Taube in seinen Händen, komm, lass sie fliegen. Lass uns weiter ziehen.

Mir bleibt immernoch Velazquez.

Im Museo del Jamon nehmen wir ein Bocadillo mit altem Schinken.

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