grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Sandy, die Unwahrscheinliche, and a bottle of rum

Excuse me!, ruft die Frau hinter mir her. Eigentlich ist es schon viel zu spät, als dass mir noch jemand eine Schnorcheltour oder ähnliches für Morgen andrehen will. Die meisten Touragenturen hier auf Caye Caulker haben schon mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen. Excuse me!, ruft nochmal die Frauenstimme hinter mir und da ich der einzige bin, der hier gerade über die Seitenstraße des Dorfs hier auf der Touristeninsel schlappt, wird sie wohl mich meinen. Wahrscheinlich will sie mich in eins der vielen kleinen Restaurants locken. Das immerhin würde passen, ihn habe Hunger, und in die Lokale an der Hauptstraße, an der es sogar einen Starbucks gibt, den wohl kleinsten der Welt, aber eben tatsächlich eine Filiale des weltweit operierenden Kaffeegenussnormierers – muss man noch mehr sagen über den Zustand dieser einst als Backpackerhighlight gefeierten Insel?

Jedenfalls bin ich in die Seitenstraße geschlendert auf der Suche nach ein wenig Authentizität. Und jetzt ruft diese Frau mir nach. Ich drehe mich um. Dunkelhäutig, schwarze Haaren, strahlendes Gesicht. Erinnerst du dich an mich?, will sie wissen. Die Dänin mit den pakistanischen Eltern, die mit mir in Hoplins im Hostel wohnte, sah ihr ähnlich, aber nein, sie ist es nicht.

Wir haben uns in Lima getroffen, sagt sie. In Lima? Das muss lange her sein, denke ich. Und dann nochmal in Sucre, in Bolivien, letztes Jahr. Und jetzt fällt der Groschen: klar, die Krankenschwester aus Kanada, die ich in dem tollen Hostel Kultur Café Berlin kennengelernt habe. Wir fallen uns ins die Arme. Sandy!

Meinen Namen, sagt Sandy, habe sie vergessen. Aber ich bin gut im Gesichter merken! Wir sitzen da vorne im Syd’s und essen Huhn, ich hab gesehen, wie du vorbeigegangen bist und gedacht: I know this man!

Nicht zu fassen.

Wie unwahrscheinlich ist das denn? Naja, vielleicht haben wir zwei ein besonderes Talent für unwahrscheinliches Wiedersehen. Erstmals getroffen haben wir uns vor gut einem Jahr am Flughafen in Lima, erzählt Sandy wenig später ihrem Freund Daniel, während ich im Syd’s auf meine schnell noch nachbestellte Portion frittiertes Huhn warte. Laut Karte ist es das beste hier auf Caye Caulker, jedenfalls schmeckt es sehr gut.

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Sandy, ein Britin mit indischen Eltern, hatte damals alles aufgegeben, Arbeit und Wohnung in Vancouver, und ist losgezogen. Ohne festes Ziel, ohne festes Ende und ohne Spanischkenntnisse. In Lima musste sie – genau wie ich – umsteigen, um nach La Paz weiterzufliegen. Der Weg im Flughafen war nicht gerade gut ausgeschrieben, sie hat mich gefragt, ich hab ihr weitergeholfen. Eine Selbstverständlichkeit. Nicht für Sandy. Das werde ich dir nie vergessen, sagt sie jetzt.

Unser Wiedersehen im Hostal in Sucre etwa anderthalb Wochen später war dann der erst pure Zufall. Und jetzt also hier, weit weg, völlig anderes Land, Insel im Meer statt Hochgebirge.

Was machst du hier? Bist du immernoch unterwegs oder schon wieder?, will ich wissen. Schon wieder, sagt Sandy. Sieben Monate war sie unterwegs bis ganz runter an die Südspitze Argentiniens, wo sie ihren heutigen Freund Daniel das erst mal getroffen hat, und dann wieder bis Kolumbien, ganz im Norden von Südamerika. Im September ist sie zurück nach Kanada, hat ein paar Monate gearbeitet und ist nun nochmal los, für sechs Wochen, um Daniel wiederzutreffen.

Der kommt aus Stuttgart und ist ein echter Langzeitreisender. Vor vier Jahren hat er seine Zelte abgebrochen. Er ist Elektriker, mag seinen Job, aber die Firma sei die falsche gewesen. Und außerdem habe er gedacht, es müsse noch mehr geben da draußen.

Er reiste bis ihm das Geld ausging, arbeitete ein Jahr in Australien, zog weiter, hat Südamerika abgefahren und sitzt nun hier in Belize. Ein wenig müde sei er vom vielen Reisen. In diesem Jahr will er mal wieder nach Deutschland zurück, die Familie besuchen. Und dann? Weiter, sagt Daniel.

Die beiden lieben diesen Ort hier auf der Insel – vor allem wegen des kleinen Tierheims, das hier ein junger Typ aufgebaut hat. Sieben Hunde leben dort auf einem Grundstück gleich neben meinem Hostel. Man kann, darf und soll sie adoptieren, für ein paar Stunden oder ein paar Tage für ausgiebige Spaziergänge über die Insel. Sandy und Daniel zeigen mir den Ort, sie kennen alle Hunde mit Namen und auch deren Geschichten. Sie warn schon öfter hier in den vergangenen Tagen. Ein sehr schmaler, weißer Hund, der sehr still zu unseren Füßen sitzt, sei von seinem Vorbesitzer ohne Futter eingesperrt und gequält worden, erzählen sie. Die Tiere springen den beiden förmlich in die Arme. Einer leckt Daniel übers Gesicht.

Was trinken?, fragt Daniel. Rum, sagt Sandy. Und schon sitzen wir mit einer im chinesischen Supermarkt erworbenen Flasche, einem Beutel mit Eis und drei Plastikbechern an einem Holztisch am Strand. Der Wind bläst alles um, auch unsere Becher mit dem Rum, wenn zu wenig drin ist. Besser ist es da, rechtzeitig nachzuschenken.

Wir reden über das Reisen. Wir reden über das Leben. Wir reden über die Liebe. Sandy ist sehr direkt bei ihren Fragen. Das liegt nicht nur am Rum. Das liegt an meinem Beruf, erklärt Sandy, wenn sie nicht sehr schnell auf den Punkt kommen würde, würden ihre Patienten ihr nie was erzählen. Ihr Rezept für das Glück im Leben, in Paarbeziehungen: everything that works! Heiraten will sie nie wieder. Nein, so wie es jetzt gerade ist, ist alles okay. Sie trifft Daniel hier in Zentralamerika. Und dann? Du bist ein freier Mann, sagt sie zu Daniel und knufft ihn. Und wenn er zurück nach Deutschland geht? Seine Mutter hat mich eingeladen, erzählt Sandy. Daniel zieht die Nase kraus.

Sandy sagt, sie habe erstmal lernen müssen, an sich selbst zu denken. Das lerne man in einer indischstämmige Familie kaum. Sie sei jahrelang immer für andere da gewesen, für ihre Geschwister, deren Kinder, die Patienten in der Klinik. Selfish zu sein, das sei ihr schwer gefallen. Aber mittlerweile wisse sie: das Wichtigste ist, dass ich selber glücklich bin, denn nur dann kann ich anderen Glück weitergeben.

Reisen, da sind wir uns einig, ist eine wunderbare Gelegenheit, um mit anderen sehr schnell, sehr offen ins Gespräch zu kommen. Man muss niemandem etwas vormachen, sagt Daniel.

Dann ist der Rum alle und wir ziehen weiter. In einer Bar erklärt sie ihrem Hotelnachbarn, einem 62-jährige Ami, dass der fette Schnurrbart in seinem Gesicht ein Pornobalken sei, das gehe gar nicht. Außerdem solle er doch bitte zwei Knöpfe seines bis zum Bauchnabel offenen Hemdes schließen.

Schließlich landen wir in der Reggae-Bar am Südende des Dorfs, dem einzigen Laden, in dem auch nach 23 Uhr noch was los ist. Im ersten Stock des Holzhauses hocken Touris und Einheimischen gut gemischt auf von der Decke hängenden Schaukeln an der Bar. Im nächsten Raum produziert ein DJ einen schnellen Mix, der mir nix sagt, der alles ist, nur kein Reggae, die jungen schwarzen Frauen im Publikum aber singen alle mit.

Sandy gefällt es überhaupt nicht. Sie drückt mich, zieht mit Daniel von dannen – und ward nicht mehr gesehen.

Adressen etc haben wir mal wieder nicht getauscht. Vielleicht, hatte Daniel im Laufe des Abends gesagt, solltet ihr es drauf ankommen lassen, ihr lauft euch doch eh bald wieder über den Weg. Wo auch immer.

Falls bis dahin jemand Sandy kennenlernt, die indisch-britische Krankenschwester aus Vancouver, Kanada, dann grüßt sie bitte von mir. Sie wird 40 in diesem Jahr. Aber das sieht man ihr nicht an.

Praktische Infos: hier.

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One response to “Sandy, die Unwahrscheinliche, and a bottle of rum”

  1. […] Caye Caulker: Auch hier sollte man wohl reservieren. Ich bin schließlich im eher Partypeoplehostel Dirty Mcnasty gelandet – für 32,70 Belize Dollars im Sechserdorm mit Bad, Frühstücksomelettt und einem Glas Rumpunch am Abend. Da die Insel boomt, wird gerade überall gebaut, auch da Dirty Mcnasty wird erweitert. Schön ist es da also gerade nicht. Die Alternativen, bei denen ich nachgefragt hatte, waren allerdings voll. […]

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