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die welt liegt uns zu füßen

By the way – eine Reiseerinnerung (1): Die Nächte in Barcelona

By the way (1): Die Nächte in Barcelona

In der dritten Bar vom Hafen kommend auf der linken Seite der Carrer d’Avinyó an unserem zweiten Abend bei einem weiteren Bier am Tresen wird sie Frage aller Fragen stellen. Und dann, ja dann wird alles anders kommen.

Aber soweit sind wir jetzt noch nicht. Noch sind wir ganz am Anfang.

By the way, sagt Rachel, my name is Rachel. Sie reicht mir die Hand, ich ihr noch eine Zigarette. Die Musik ist laut und spanisch. Oder international, wer weiß das schon. Wer erinnert sich schon über 15 Jahre später daran, was für Musik in einer Kneipe gelaufen ist? Die Hocker am Tresen der Bar in der Carrer de Gingas im Barrio Gotico von Barcelona sind voll besetzt. Es gibt nur vier, behaupte ich jetzt mal. Was wir getrunken haben? Keine Ahnung. Bier. Oder Wein? Nein, eher Bier. Egal.

Eigentlich war der Abend für mich schon zu Ende gewesen. Ich war  stundenlang allein durch das Barrio Gotico von Barcelona gestreift, hatte schließlich in einer Bar versucht mit anderen Gästen ins Gespräch zu kommen, dann aber doch nur mein Bier gelehrt und war zurück ins Hostal New York gegangen zu meinem Bett im Sechs-Mann-Zimmer. Oben im vierten Stock.

Unten in der kleinen, kargen Küche saßen zwei Typen am Tisch. Den einen hatte ich hier schon mal gesehen. Gestern vielleicht. Ein Holländer. Der zweite, ein Kanadier, hatte seine Freundin dabei. Eine kleine, schmale Frau mit einem Zopf, dicht, schwarz, lang. Aber das konnte ich erst später sehen. Ihr Kopf lag auf den hochgezogenen Knien. Sie sagte nichts. Sie guckte nicht einmal auf, als ich rein kam.

Ich redete mit den Jungs. Ihre Flasche Wein war schon leer. Sie wollten noch ausgehen und wussten nicht wohin. Ich erzählte von der Bar, ein paar Häuser weiter, in der ich gerade einsam mein Bier getrunken hatte. Na dann, sagt der Holländer. Der Kanadier kommt mit. Seine Freundin auch.

Raschélle, sagt Rachel. Nicht Räitschl! Nicht englisch, sondern französisch werde ihr Name ausgesprochen. Darauf legt sie wert. Sie ist Frankokandierin. Aus Montreal. Also irgendwo da in der Nähe. Und jetzt Interail. Einmal durch Europa. George hat gefragt, ob sie mitkommt. Sie erzählt vom Rotlichtviertel in Amsterdam. Von der Kälte in Paris. Ich spendiere ihr noch eine Zigarette. Sie tauscht den Platz mit George, der gerade noch zwischen uns saß und jetzt mit dem Holländer redet. Wir prosten uns zu. Ihre Augen sind schwarz wie ihr Haar.

Und wo gehen wir hin?, fragt der Holländer. Er meint: wo gehen wir jetzt noch hin. Ich habe keine Ahnung. Ich gehe aufs Klo. Da liegen Flyer, so wie ich das aus Berlin kenne. Einer wirbt für einen Club weiter oben im Barrio Born.

Hört sich gut an, sagt der Kanadier.

Kennst du den Weg?, fragt der Holländer.

Ja, sage ich, ich bin ja nicht das erste Mal hier.

Rachel lacht.

Wir tanzen. Spanischer Rock, manchmal elektro. Ein Saal im Souterrain. Gehobene Jugendisco. Das ist also das Nachtleben von Barcelona? George und der Holländer stehen an der Bar. Rachel und ich tanzen. Sie lacht und legt die Hand auf meine Schulter. Dann macht der Laden dicht. Dabei ist es erst eins. Oder schon drei am Morgen. Wir ziehen weiter in den Hafen. Einer dieser angesagten Clubs im Einkaufszentrum auf der Mole zwischen all den Schiffen. Hier war ich noch nie. Die Musik ist disco, die Menge auch, aufgebrezelt. Es ist voll. In Spanien trinkt man Shots an der Bar. George ist uns abhanden gekommen. Der Holländer auch. Gerade war er noch da. Oder ist er übehaupt noch mitgekommen in den Hafen? Einer der beiden hat mir einer Frau rumgeflirtet. Sollen wir was rauchen?, fragt Rachel.

Am Strand plätschern die Wellen sanft bis an unsere Füße. Nicht ganz ran. Es ist erst Februar. Aber fast. Die Illusion reicht. Hinter uns diese Skulptur aus rostigen Würfeln. Die so wirken, als stürzten sie gleich auf die Promenade. Zum Glück ist die jetzt menschenleer. Rachel reicht mir die Tüte, in die sie die zusammengekratzen Reste aus ihrer Jackentasche gedreht hat. Es ist nicht kalt. Wahrscheinlich hat auch der Mond geschienen. Hinter uns. Irgendwo am Himmel, der ansonsten schwarz ist, wie ihre Augen, wie ihr Haar. Ihr Großvater kam aus dem Libanon. Ihr Kopf lehnt an meiner Schulter. Kaffee, sagt sie. Kaffee wäre jetzt gut. Eine Möve fliegt vorbei. Fliegen Möven nachts?

Das Cafe Zurich fällt mir ein. Oben an der Plaza Catalunya. Da war ich damals immer. Vor Jahren. Mit …, wir hatten dann ihre Ducados geraucht, schwarzer Tabak, der so schön die Kehle teert.

Okay, das spielt jetzt keine Rolle. Aber dass es da auch morgens früh guten Kaffee gab, in dem alten Saal einer übrig gebliebenen Bahnhofsvorhalle, das zählt.

Wir tanzen durch die leeren Gassen der Altstadt. Rachel nimmt meine Hand. Wir schlendern, sie hüpft. An einem einsamen Polizisten vorbei. Die Häuser schmiegen sich an unsere Seiten. Von mir aus könnte jetzt jemand Akkordeon spielen.

Das Zurich hat zu. Ist es doch noch zu früh? Oder nicht mehr so wie früher? Es ist auch nicht mehr in einer Bahnhofsvorhalle, sondern Teil eines neugebauten Einkaufszentrums. Ein Verbrechen.

Selbst die Ramblas sind um diese Zeit unglaublich leer. Ein Taube gurrt, wohl eine Frühaufsteherin. Columbus weist oben auf seiner Säule den Weg, hinter ihm geht die Sonne auf, ganz langsam. Ein Händler bietet Rosen an. Sie sind blau wie die Nacht.

Die Augen sind schwer am Mittag. Sie tasten sich langsam die Wand hoch, an der Decke des ansonsten leeren Sechs-Bett-Zimmers entlang. Sie ziehen den müden Körper zum Balkon hinter den bodentiefen Fenstern. Die Sonne versucht ihr Licht in die engen Gassen zu mogeln. In der Hemdtasche findet sich eine verknitterte Zigarette, aber kein Feuer.

An der Kreuzung dahinten steht Rachel. Sie schaut sich um. Sie geht nach links, die Carrer d’Avinyó runter. Richtung Meer.

Ich eile. Ich sehe alles andere als frisch aus. Eine handvoll Wasser ins Gesicht. Das letzte frische T-Shirt aus dem Rucksack. Die Treppe runter. Rechts, rechts, rechts um den Block und dann – so ein Zufall aber auch – ihr entgegen kommen. Sie lacht. Jetzt wie die Sonne. Die fast schon brennen würde, wenn es nicht erst Februar wäre.

Der Strand ist tagsüber länger. Stunden vergehen, bis hoch nach Badalona. Sie erzählt. Von ihrem Leben ins Brunswick. Von der Schule, der Uni, der Suche nach einem Plan fürs Leben. Von dem spontanen Idee auf Reisen zu gehen, mit diesem Typen, mit George, den sie eigentlich gar nicht so gut kennt, sie hatten bei einer Party darüber geredet und dann. Dass sie als nächstes nach Andalusien wollen, wahrscheinlich nach Sevilla. Und später nach Portugal. Auf dem Rückweg bin ich an der Reihe.

Dann geht schon wieder die Sonne unter, es ist unglaublich. Wir streifen durch Barceloneta, vorbei an den Fischrestaurants, wir spazieren am Hafen entlang, in dem die Seile der Segelschiffe im Wind klappern, wir biegen zurück in die Altstadt, die Carrer d’Avinyó, gehen wir noch was trinken?, ja, aber wo?, in der dritten Bar auf der linken Seite, schlägt sie vor. Oder war ich das?

Dann sitzen wir da. Am zweiten Abend.

Sie fragt: glaubst du an die Liebe? Also an die eine, die große?

Und dann kommt alles anders.

Während ich über die Antwort nachdenke, läuft draußen dieser Typ die Straße entlang, sieht uns, das heißt, er sieht Rachel, hält, kommt rein, nur kurz, setzt sich zu uns, der eine freie Hocker an der Bar, es ist, ach, den Namen hab ich vergessen, er arbeitet in unserem Hostel, ein Franzose, wahrscheinlich Jean-Luc, wie auch sonst, er lädt uns ein in seine WG, sollen wir?, ja, warum nicht?, was für eine Wohnung, sein chinesischer Mitbewohner, der nur drei Worte Englisch spricht und noch weniger Spanisch, setzt sich zu uns und spielt Gitarre, ein Meister, klassisch und Flamenco, deshalb ist er hier in Barcelona, er studiert sein Instrument, sein Lehrer, sagt der Franzose, habe ihm gesagt, er könne ihm nichts mehr beibringen, am Abend zuvor, als ich noch einsam in der Bar mein Bier getrunken hatte, da hatte ich ihn schon gesehen, gehört, er hatte gespielt, ein paar Peseten gesammelt von den Gästen, die seine Leistung nicht wirklich würdigen konnten, ich auch nicht, aber jetzt sitzt er da, auf dem Rand des großen Bettes und spielt, wie ein introvertiertre Gott, der Australier schenkt uns Rum ein, ein bischen Limonensaft, Eis, er hat uns auch schon die Terasse oben auf dem Dach gezeigt, die mit dem Blick über die Stadt, beeindruckend, ich bin betrunken, müde, der Chinese verlässt den Raum, seine Gitarre steht da noch, der Australier schenkt nach, Rachel sinkt tief in die Kissen, ich, ich nicht, bleibe auf dem Teppich sitzen, am nächsten Morgen geht mein Flug zurück, ich, Rachel und Jean-Wie-auch-immer reden Französisch, er kann kein Englisch, nur Spanisch, also rede ich Spanisch mit ihm, was Rachel nicht versteht, sie fragt mich auf Englisch, ich bin betrunken, Jean-Dingsbums schenkt Rum nach, das Eis ist schon alle, Rachel sinkt tiefer in die Kissen, ich kann nicht mehr, stören, die Treppe runter, Rachel bleibt, oben.

Irgendwie finde ich durchs das Labyrinth der Gassen von Barcelona.

Und dann fliege ich zurück nach Berlin.

 

 

 

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