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Das Licht am Endes des Tunnels (2) – eine Wiederkehr nach Baños, Ecuador

Erinnert sich hier noch jemand an die Geschichte vom Licht am Ende des Tunnels? Damals vor ziemlich genau 14 Jahren? Da war ich schon einmal hier in Ecuador, hiermit in Baños. Diesem Örtchen im Tal des Rio Pataza, der durch eine enge Schlucht mit irren Steilwänden zwischen den bis zu 5.000 Meter hoch aufragenden Bergen Richtung Amazonasregenwald hinabstrudelt. Man konnte damals und man kann heute noch hier Fahrräder mieten, mit denen man die Landstraße in Richtung Puyo runterbrausen kann. Mit Stopps an zahlreichen Wasserfällen, unglaublichen Aussichtspunkten und einladenden Essengelegenheiten.

Diesmal leihe ich kein Rad. Auch wegen damals. Denn vor 14 Jahren endete meine Tour schon im oberen Drittel. Im ersten Tunnel. Da musste man durch mit dem Rad. Ein Paar, das ich im Hostal kennengelernt hatte, war vorgefahren. Ich hinterher. Man sah das Licht am Ende des Tunnels. Nur innendrin sah man sonst nichts. Es war rabenschwarz. Das Rad hatte kein Licht. Ich hielt mich aus Vorsicht rechts am Rand und bin dann wohl gegen die Wand gekracht, auf den Biden gestürzt und – Dank freundlicher Bauarbeiter und hilfsbereiter Polizisten – im Krankenhaus gelandet. La clavicula! Das Schlüsselbein war gebrochen. Die Reise musste ich abbrechen. In Berlin wurde ich zweimal operiert. Schraube rein. Schraube wieder raus. 

Jetzt bin ich wieder hier in Baños. Diesmal nicht alleine, sondern mit meiner Familie. Frau K und die beiden Jungs. Und ich habe noch eine Rechnung offen. Mit dem Schicksal. Oder anders gesagt: ich gebe Baños eine zweite Chance. 

Am ersten Tag planschen wir in dem herrlichen Thermalbad unterhalb eines wild sprudelnden Wasserfalls. Die Jungs lieben das badewannenwarme Wasser. Der Rest der Familie auch. Dazu die Aussicht. Diese Berge, die unwirklich wie eine Fototapete hinter allem stehen. Groß. 

Am zweiten Tag stehen wir an der Avenida de Amazonas, der Landstraße gen Oriente, Richtung Osten und stoppen einen dieser Touristenbusse, der die tour de cascadas, die Tour zu den Wasserfällen anbietet. Einen dieser bunten, an den Seiten offenen Diskobusse, die mit laut wummernder Latinomucke das Tal runter brummen – und an den Sehenswürdigkeiten halten. 

Schon nach wenigen Minuten der erst Stopp. Die Ecke kommt mir bekannt vor. Auf der anderen Seite zwei sich wild ins Tal stürzende Wasserfälle. Die wir fotografieren müssen. Und dann der Eingang zu einem Tunnel. Dem Tunnel? Ich muss ihn fotografieren. 
Tunneleingang

Er ist schnurgerade. 230 Meter lang laut Schild am Eingang. Ein Klacks. Man sieht das Licht am Ende des Tunnels. Und Lampen darin. Das zumindest hat sich geändert. Ein verwittertes Schild nennt den Namen des Tunnels. Er ist benannt nach der Virgem de Agua Santa, der heiligen Jungfrau die hier im Ort verehrt wird. War das bei meinem Tunnel auch so?

In der Basilika von Baños hängen reihenweise Ölgemälde, die von Wunderrettungen erzählen. Ein Mann, der mit einfachen Seilbahn die Schlucht überqueren wollte. Das Seil riss, er stürzte ins Tal, flehte die Jungfrau um Hilfe an und wurde plötzlich wie von einer unsichtbaren Hand aus dem Wasser gezogen. Ein Auto mit Touristen an Bord fuhr zur schnell die Straße herab, verfehlte eine Kurve, fiel ins Tal – alle Insassen überlebten. Wie durch ein Wunder. 

Die Basilika hatte ich vor 14 Jahren am Tag vor dem Unfall besucht. Am Morgen des Unfalls hatte ich, anders als meine Mitfahrer:innen den vom Radverleih angebotenen Helm genommen. Später, viele später fragte mich eine der sich rührend um mich kümmernden Frauen in der Klinik, ob ich nicht mal den Helm absetzen wollte. Ich tat es und sah: er hatte einen langen Riss an der Seite. Offenbar war ich im Tunnel mit meinem Kopf gegen irgendetwas gestürzt. Ohne es zu merken. Ohne Verletzung. Ein Wunder?

Am Tag vor unserer Kaskadentour haben wir die Kirche wieder besucht, den Jungs die Bilder erklärt. Sie hören gespannt zu. „Aber stimmt das alles?“, fragt F. mit leichtem Zweifel. Laut Inschrift auf den Bildern wurde alle Geschichten bezeugt. Und mein Helm hatte einen Riss. Und der Tunnel, in dem ich gestürzt bin trägt den Namen der Jungfrau. Glaubensfragen. 

Nach dem Fotostopp steigt das Trüppchen Reisender wieder in den Discobus. Die Cumbia dröhnt los. Der Motor auch. Wir tauchen in den Tunnel. Ich halte mein Handy aus dem nicht vorhandenen Fenster. Ein Foto mit der Innenperspektive des Tunnels. Selber hinschauen mag ich nicht. Ein mulmiges Gefühl im Magen. Cumbia im Ohr. Ist das der Moment als die Discoversion von „La Bilirrubuna“ von Juan-Luis Guerra läuft, diesem Lationschmalzherzensbrecher, dessen Lieder mich seit meiner ersten Lateinamerikarreise vor über 30 Jahren begleiten?

Am Ende das Licht, der Discobus nimmt die leicht Linkskurve danach mit elegantem Schwung, vorbei an den Felsbrocken, auf denen, ja, jetzt bin ich mir sicher, damals die beiden Bauarbeiter hockten, bis zu denen ich mein blockiertes Fahrrad getragen hatte, trotz lädierter Schulter. Die dann die Polizei riefen. 

Ich bin durch. Der Tunnel ist geschafft ohne Probleme. 

Das Foto, das ich ohne hinzuschauen im Inneren gemacht habe, zeigt die schmale Röhre, die glatte Tunnelwand, den Ort, an dem ich einen Moment, eine Sekunde, eine Minute gelegen haben muss, damals in absoluter Dunkelheit. Es ist gut, hier raus zu kommen. 

Wenig später hält der Bus. Wer will, darf an Seilen schwebend über die Schlucht fliegen. Canopy nennt sich das Abenteuer. Es mag sicherer sein, als mit einem unbeleuchteten Fahrrad durch einen Tunnel ohne Lampen zu fahren. Aber ich bin doch nicht blöd. Auch die wenig später offerierte Tarabita, eine Seilbahn, an der eine Art Käfigkiste hängt, in der man das Tal überqueren kann, um einem Wasserfall näher zu kommen, lehnen wir dankend ab. 

Uns reicht der Spaziergang zum Pailon del Diablo, einem Wasserfall, der 80 Meter in die Tiefe stürzt und neben dessen Gischt man zitternd staunend stehen kann, wenn man zuvor zwei wackelige Hängebrücken überquert hat. 

Baños hat eine zweite Chance bekommen. Verdientermaßen. Ecuador insgesamt. 

Und es ist gut, die Kinder stets fest an den Händen zu halten. Sie sind so etwas wie das Licht am Ende des Tunnels. 

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