grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Geschichtsstunde 1: 15 Sekunden Ruhm auf dem Nolymp

Ich bin jetzt plötzlich Rockstar. Gut, keiner hat es gemerkt. Aber hey, einer meiner Songs wurde im Radio gespielt. Und davon träumen doch alle – von Airplay! Das ist sowas wie ein Ritterschlag, dann fühlt man sich wie auf dem Olymp. Wenn auch nur für kurze Zeit.

Die Ehre wurde mir zuteil durch einige wunderbare Biegungen verschlungenener Zeitschleifen, so dass eine Perle des Undergrounds aus dem Jahr 1993 sich ins Radio des Jahres 2019 verirren konnte.

Gespielt wurde der „Nolympia-Rap“ der Band mit dem einprägsamen Namen „Hilf dir selbst, sonst hilft dir Gott“, den allerdings kaum jemand kannte. Wahrscheinlich nicht mal meine Mitmusiker, mit denen ich im Sommer 1993 im Proberaum des besetzten Hauses Kastanienallee 77 in Berlin-Prenzlauer Berg rumschrammelte.

Berlin hatte sich im Nach-Mauerfall-Größenwahn um die Ausrichtung der Olympischen Spiele beworben. Und eine ganze Menge Leute hatten was dagegen, weil sie die mit den Spielen einhergehende Aufwertung der Stadt fürchteten. Heute würde man das Gentrifizierung nennen.

Ende September 1993 sollten in Monaco die Spiele vergeben werden. Ein paar meiner Mitbewohner waren aktiv bei der Vorbereitung der letzten großen Anti-Olympia-Demo, die am am 18.9.93 auch an unserem Haus vorbeiführen sollte.

Und so lag das Thema beim Schrammeln im Proberaum in der Luft. Ich weiß nicht mehr, ob Gitarrist Mathias zuerst diesees aufsteigend Pamm-Pamm-Pamm-Pamm-Pamm-Riff spielte oder ob ich die Idee für den Protest-Rap zuerst im Kopf hatte. Aber eine Woche für der Demo entstand beim Jammen der Rap. Und der Text floss mit aus dem Hirn.

„Ey, Samaranch, versuchs mit Dauerlauf
Volkssport bringt uns super gut drauf
Du bist Hase, wir sind Igel,
Wir sind immer schon da
Die Taschen voller Schmiergeld
Da ist doch völlig klar
Du bleibst auf der Strecke
Lange vor dem Ziel
Aber das macht uns doch gar nichts
Du bist uns eh viel zu viel
Es ist allerhöchst Zeit für dich, du Altfaschist
Wär‘ schön, wenn du dich auf den Mond verpisst.“

Und nach dieser ersten Strophe über den damaligen IOC-Präsidenten folgte erstmal der Refrain, multilingual, damit er in aller Welt verstanden wid:

„Olympiadas en la luna
The Olympics on the Moon
Les jeux sur la lune
Aber niemals, niemals wieder in Berlin“

(Rap mit deutschen Texten, aber das nur am Rand, stand 1993 noch sehr am Anfang. Es gab die hochpolitischen Advanced Chemestry, die 1992 mit Fremd im eigenen Land zumindest Kennern bekannt wurden. Und die Fantasischen Vier, die mit Die da mit PopHop bekannt gemacht hatten. Aber Deutsche Rap-Texte mit einer Rockband gespielt, hat damals kaum jemand.)

Während der Proben kam Stefan rein, der die Demo mit vorbereitete. Er meinte sofort, wir müsste das Lied unbedingt spielen am nächsten Samstag, am besten bei der Abschlusskundgebung auf dem Senefelder Platz. Aber wir waren etwas unsicher, schließlich gab es die Band gerade mal ein paar Wochen. Also beschlossen wir, wir machen es, ganz bescheiden, wie die Beatles – und spielen auf dem Dach unseres Hauses.

Gesagt getan: im Laufe der Woche wurden aus den etwa drei Strophen von der Probe des ersten Samstag ein gutes Dutzend. Neben Samarach wurde noch der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), sein Olympiachef Axel Nawrocki verfrühstückt, unser Haus K77 in den Himmel gelobt, die Hönkel-Tradition der damaligen autonomen Szene erwähnt, die Mietenproblematik thematisiert, Ton Steine Scherben zitiert und dann ging es am 18. September tatsächlich aufs Dach.

Die Demo startete vor dem Roten Rathaus und als sie sich auf den Weg die Kastanienallee hoch zum Prenzlauer Berg machte, eilten wir voraus. Gitarre, Schlagzeug, Bass und Verstärker hatten wir schon auf dem fast ebenen Teil des Hausdachs aufgebaut. Ich hockte mich auf die Gaube des mittleren Dachfensters. Gerade als unten die Demospitze vorbeizog, griff Mathias das erstemal in seine Gitarrensaiten. Die Leute blieben stehen, jubelten, tanzten. Und erst als die Demoleitung per Lautsprecher durchgab, dass an doch weitergehen solle, die Band würde schließlich nochmal bei der Abschlusskundgebung spielen, (wovon wir bis dahin nichts wussten), zogen sie weiter.

Kurz gesagt: es war großartig. So sehr, dass wir tatsächlich noch unsere Anlage auf zwei Handkarren packten, zum nahegelegenen Senefelder Platz zogen und dort noch einmal spielten. Vor 10.000 Leuten zu singen, ein unglaubliches Gefühl.

Eine Woche später spielten wir den Song nochmal: Minuten bevor die Übetragung der Entscheidung aus Monaco begann im rappelvollen Tränenpalast, wo die Grünen zu Antiolympiaparty geladen hatten. Weil ich den Text immernoch nicht auswendig konnte, hatte ich die 13 Strophen mit dem Nadeldrucker auf Endlospapier gebracht und stand auf der Bühne wie ein mittelalterlicher Verkünder mit seiner Papyrus-Rolle.

Die Spiele gingen dann an Sydney. Die Berliner Anti-Olympia-Bewegung brauchte keine Hymne mehr. Die die Band löste sich auch bald auf.

All das wäre längst vergessen, wenn nicht zum einen mein heutiger taz-Kollege Bernd Pickert über die Demo geschrieben hätte. „Auf den Mond, den Mond, der ist unbewohnt“ stand darüber als Schlagzeile ein Auszug meines Textes – was somit meine erste taz-Schlagzeile war, zwei Jahre bevor ich anfing in der Redaktion zu arbeiten. „Stunden später noch blieb der selbstgetextete NOlympic-Reggae einer Band aus der besetzten Kastanienallee den DemonstrationsteilnehmerInnen im Ohr“, schrieb Bernd.

Zum anderen war das linke Videokollektiv Autofokus vor Ort. Die hatten sowohl unseren Auftritt auf dem Dach, als auch auf dem Senefelder Platz gefilmt. Und die Musik dann für ein neunminütiges Video über die große Demonstration verwendet, das untere anderem ebenfalls am Abend der Verkündung geziegt wurde. Allerdings nicht bei der Party der etablierten Grünen, sondern im tiefsten Kreuzberg irgendwo zwischen Schlesichem Tor und Oberbaumbrücke, wo die radikale Szene die Absage an Berlin Open Air feierte.

Wir hatten da später eigentlich auch noch spielen wollen, aber als wir mit unserem Anlage in einem von einer Freundin geliehenen Wagen ankamen, lief da bereits ein der üblichen Kreuzberger Scharmützel mit der Polizei. Also fiel unser Auftritt ins Wasser.

Autofokus aber stellte das Video Jahre später bei youtube ins Netz.

Und da kann man es bis heute sehen und den „Noylmpia-Rap“ hören, wenn auch nicht ganz. In dem Video wurde gerade mal die Hälfte meiner Stophen verwendet. Aber ist die einzige Aufnahme des Stücks – ich habe sie als Soundfile auch auf der bandcamp-Seite meines Projektes grimo dokumentiert:

Besonders oft angeschaut wurde das Video bisher nicht. Der Youtube-Zählerstand steht aktuell bei 402. Nun ja.

Aber Josef Opfermann hat das Video gefunden. Der junge Sportjournalist hat zum Thema Olympischen Spiele in Deutschland und warum es nicht so recht klapp. Für einen Radionbeitrag wollte er gern die Musik verwenden und fragte dann bei Autofokus nach den Rechten. Eine Filmemacherin dort leitete die Anfrage weiter an mich und so kam es nun dazu, dass der Song 26 Jahre nach seiner Uraufführung im Radio lief.

Wahnsinn.

Nachhören kann man das hier, bei Minute 10:25: Der Song wird nicht wirklich anmoderiert, man erfährt nichts über seine Herkunft, aber wird schon pingelig sein.

Ehrlicherweise muss man sagen, die Radiofassung war noch etwas kürzer als im Autofokusvideo. Genauer gesagt: exakt 15 Sekunden. Man hört auch nicht den Refrain, dafür aber einen Ausschnitt aus einer Strophe mit dem heute noch von der Mietenbewegung genutzen Slogan „Wir bleiben alle“. Und das hat ja auch was.

Zudem muss man allerdings auch sagen, dass das 15-minütige Radiofeature schon vor drei Wochen lief. Bei Inforadio. An einem Sonntag. Morgens um 6 Uhr.

Das mag nicht die allerbeste Zeit zu sein, um per Radio-Airplay berühmt zu werden. Selbst ich hätte es vollkommen verpasst, wenn ich nicht mal gegoogelt hätte, ob aus der Anfrage was geworden ist.

Aber doch. Ich war im Radio. Toll. Ganz toll.

Noch toller: das ist öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Es gab sogar ein kleines Honorar für die 15 Sekunden. Jetzt muss ich nur doch die Band wieder zusammentrommeln, um das Geld gemeinsam auf den Kopf zu hauen.

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