grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Jerusalem: alles in einem, in stetem Kommen und Gehen

Dann kommt alles zusammen. Die Gruppe der Pilgerinnen mit Stab in der Hand und weißen Tüchern um den Kopf. Die inbrünstig Betenden, die Kerzen, Hände, Köpfe auf diesen mannsgrossen Stein am Boden legen. Die Priester, die wild wütend mal den einen, mal den anderen Gang sperren. Mal mit Polizeigittern, mal mit Leitern. Und die Schaulustigen. Die Touristen, die schnatternd mit ihren Kameras in jede Lücke drängen, die mitten in einer singenden Gruppe Geistlicher noch das iPhone hochhalten, filmen, weil alles so authentisch ist. Die den schwarzen Prediger mit dem seltsamen Hut, der sich unter den kleinen Altar zwängt, wo einst das Kreuz stand, vielleicht stand, gestand haben muss, fotografieren, ablichten bei seinem Versuch eines Gebets. Ein Blitzlicht, ein Kreuzzeichen. Die Massen stehen unter der großen Kuppel Schlange, um auch hier ein Foto zu machen. Von sich selbst. Ich war hier. Oder von den Nonnen mit den flügelflatternden Hauben. Die Kirche ist dunkel wie ein Grab. Ich muss hier raus. 

Dabei hat alles so toll angefangen. Wir sind da, wieder da in Jerusalem, in dieser engen, verwinkelten und verwirrenden Hauptstadt des Religiösen, auch der religiösen Abstrusitäten, in diesem Labyrinth der Vielfalt, in dem sich Märkte, Menschen, Kulturen dicht aneinander drängen, wie sonst wohl nirgendwo, sich überlagern, zu überlagern versuchen, sich gegenseitig zu verschieben, manchmal, in seltenen Momenten auch anzuerkennen, hofft man. 

Das Damaskus-Tor, eine trutzige Burg mit einem versetzten Durchgang, draußen die Soldaten, auf gleich drei erhobenen Bühnen mit Maschinengewehr stets im Anschlag, diese viel zu jungen Menschen, die allem hier Sicherheit geben sollen, im Durchgang auf dem Boden an der Wand ein Bettler, der sein Betteln durch den Verkauf von Papiertaschentüchern verbirgt, vielleicht hauptsächlich vor sich selbst, die ersten Stände, Kaugummi, Plastik, Schnikschnack, ein junger Mann, der mit dem allgegenwärtigen E-Fahrrad sich durch die Menge drängt und dann die Stadt, dieses tausendjährige Gewimmel. 

Hier der erste von unzähligen Gemüsehändlern, dort der erste Laden mit allen Gewürzen der Welt, in der Mitte ein laut rufender Mann, der die Dosen mit Danish Cookies vor sich in der Kiste anpreist, und wie schon im März bei unserem ersten Besuch ein paar Frauen, die auf dem rumpeligen Pflaster Salate und Kräuter ausgebreitet haben. 

Nur dass wir diesmal nicht gleich an der ersten Weggabelung nach rechts in den überdachten Gang des Souk einbiegen, sondern den linken Weg nehmen. Und sofort  feststellen, dass wir bei unserem Besuch vor zehn Monaten allenfalls einen Bruchteil der Altstadt gesehen haben. 

Quer über die enge Gasse hier im muslimischen Viertel steht ein Haus mit israelischer Fahne und einem gigantischen Kandelaber auf dem Dach. 

Das, erklärt der wie immer gut informierte Felix, war das erste jüdische Haus in diesem Viertel, illegal errichtet, noch von Ariel Scharon persönlich eingeweiht, nicht als Zeichen für gute Nachbarschaft, sondern als Provokation. 

Seither stehen ein paar Meter weiter stets zwei, drei SoldatInnen, Gewehr im Anschlag, hinter Gittern an der Ecke zur Via Dolorosa, der Straße, die Jesus vor 2.000 Jahren mit seinem Kreuz entlang gelaufen sein soll. Dort gibt es Andenkenläden die Kippa, Fez, Jesus am Kreuz und Weihnachtsmannmützen im Angebot haben. „Hier kann man dem Judentum, dem Islam, dem Christentum und dem Kapitalismus zugleich huldigen“, sagt Felix. Ein seltener Moment des Miteinanders. 

Gegenüber im Vorraum des angeblich originalen Geburtsorts der Jungfrau Maria steht ein voll behängter Wäscheständer. Mitten auf einer nur aus Treppenstufen  bestehenden Gasse parkt ein Auto. Die Stadt der Wunder, der Wunderlichkeiten.


Später werden wir noch den muslimischen Friedhof gleich hinter der Stadtmauer am Löwentor sehen. Ein paar Meter weiter gibt es ein Tor, von dem die Juden glauben, dass der Messias, wenn er dereinst komme, hindurch müsse. Weil er aber nicht über Gräber gehen dürfe, haben die Muslimen ihren Friedhof direkt davor angelegt. 

Gegenüber vom Felsendom haben ultraorthodoxe Juden ein Haus gebaut, in dem sie mit Blick auf die Klagemauer ausgefeilte Pläne für den Bau des dritten Tempels präsentieren, den sie irgendwann, bald an Stelle des muslimischen Doms und der Al-Aksa-Moschee errichten wollen.

Wir mischen uns religionsübergreifend erst mit Leih-Kippa auf dem Kopf für die Männer unter die geschlechtergetrennt laut Bar-Mizwa feiernden Juden an der Klagemauer und ziehen dann über den Holzsteg hoch auf das Plateau mit Dom und Moschee. Vor dem Hochgehen warnt ein Schild des städtischen Rabbis vor dem Betreten dieses heiligen Areals, weil das gegen die Torah verstoße, weiter oben müssen diesmal die Frauen extra Leih-Kleidung anlegen: weite, OP-Saal-grüne Röcke, weil ihr Kleid zu kurz oder die Hose zu eng ist. 

Der Platz oben ist wunderbar weit und offen. Eine muslimische Familie steht mir freudig lächelnd im Bild, als ich die in der Sonne funkelnde, goldene Kuppel fotografieren will. 

Junge Frauen mit Kopftuch sitzen kichernd unter einem schattenspendenden Dach in kleinen Grüppchen. Ein paar Soldaten ziehen Streife. Vom nächsten Berg leuchten die Kuppeln einer orthodoxen Kirche. Katharina sucht ein Klo. 

Wir essen überteuerte Pizza bei einem deutschsprechnden Palästinenser, weil wir nicht schon wieder Falafel essen können, und trinken arabischen Kaffee mit Kardamon gegenüber vom österreichischen Hospiz. 


Katharina trickst die Händler aus mit ihrer Hartnäckigkeit und kauft zu unglaublichen Preisen, die sich aber für die Händler offenbar immernoch lohnen. Der Kaffeestand an dem Knick in der unscheinbaren Gasse, an dem wir im März saßen, ist leider unbesetzt. Stattdessen trinken wie Cappuchino, serviert von deutschen Volontärinnen im Hofgewölbe der Erlöserkirche, einem schmucklosen, protestantischen Bau, der nur durch Ausgrabungen im Keller glänzt, die tief, sehr tief und sehr anschaulich in die vielfach überlagerten Schichten und Geschichten der Stadt hinunterführt, und wo man die Erkenntnis hat, dass hier seit tausenden Jahren ein ständiges Kommen und Gehen, Siedeln und Vertreiben herrscht, dass selbst ein Zeitraum von 60 Jahren, während denen die Stadt mal vollkommen verlassen in Trümmern lag, also immerhin für die Dauer einer Generation, nichts heißen muss. Und dass somit klar wird, dass der jetzige, allenfalls oberflächlich stabil wirkende Zustand nicht mehr als eine weitere Episode sein kann, der wieder im Laufe der Jahrzehnte, Jahrhunderte weitere Wechsel, Übernahmen und Vertreibungen folgen werden, Zerstörungen und Neuaufbau. Vielleicht werden die Ultraorthodoxen einst tatsächlich den dritten Tempel bauen und viel später Archölogen nach den Grundmauern des Felsendoms suchen. Vielleicht kommen aber auch die Kreuzfahrer nach tausend Jahren nochmal zurück. Oder es passiert etwas ganz anderes. Leid wird dabei sein. 

Nur friedliches, dauerhaft friedliches Nebeneinander, eine tolerante Nachbarschaft der sich hier drängelnden Religionen und Weltanschauungen, die wird es wohl kaum geben. Es scheint unvorstellbar. Leider. 

Am Nachmittag finden wir im Strassengewirr den Eingang zur anfangs schon erwähnten Grabeskirche. Sie steht dort, wo Kaiserin Helena einst beschied, dass hier das Grab Jesu gewesen sein muss. Auch sie wurde zerstört und wieder aufgebaut. In tiefen Kellern findet sich eine hell erleuchtete armenische Kapelle, das Kirchenschiff weiter oben aber ist düster, fast wie die Nacht. 

Die Gläubigen drängeln sich um den Stein, auf dem der Leichnam Jesu gesalbt worden sein soll oder warten mehr oder wenig auf Einlass in die leere Grabkammer, die mitten unter der zentralen, sehr hohen Kuppel steht. Ein Hauch Weihrauch liegt in der Luft. Nur eins fehlt: Platz für Spiritualität. 

Ich bin bekennender Religionsskeptiker. Und doch geht mir dieses Touristengewimmel hier viel zu weit. Das schlimmste daran ist: ich selbst bin Teil davon. Ich muss raus, raus auf den Vorplatz, ich brauche Luft zum Atmen.

Draußen stehen Männer in Kutanen, sie reden und lachen entspannt mit ihres gleichen. Hoch oben vom direkt benachbarten, grün beleuchteten Minarett ruft der Muezzin zum Gebet. Die ersten Händler in den Gassen schließen ihre Läden. Die Sonne ist schon untergegangen. Hier kommt alles zusammen. 

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