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Palenque. Ein Wiedersehen mit den Ruinen

Wie großartig wird eigentlich eine Reise, wenn sie erstmal vorbei ist? Wächst sie in der Erinnerung? Formen sich die Bilder nach und nach, fällt das Negative weg und bleibt nur das Gute? Oder behält ein einmal gewonnener Eindruck stand? So sehr, dass ein längst besuchter Ort die Realitätsprüfung besteht, wenn man nochmal hinfährt? Oder wird das dann fast zwangsläufig eine Enttäuschung, weil man selbst ein anderer ist? Weil der Ort sich verändert hat? Oder weil eben die Erinnerung täuscht?

Einer solchen Täuschung versuche ich unter anderem durch das stete Bloggen zu entgehen. Aber ob das hilft? Vor über 20 Jahren war ich zum Beispiel in Costa Rica. Es war großartig, vielleicht auch weil es meine allererste Fernreise war. Ich würde gern nochmal hinfahren, aber die Befürchtung enttäuscht zu werden ist groß. Zu groß bisher.

Jetzt habe ich es dennoch einmal im kleinen versucht. In Palenque. Bei meiner ersten Mexikoreise vor 11 Jahren war ich schon mal hier. Als Abschluss und ein Höhepunkt, bevor ich damals zurück musste nach Mexico D.F., hatte ich mir damals schon die Ruinenstadt am Rande des Regenwaldes angeschaut. Und nun bin ich wieder hier.

Um etwas Distanz zu wahren, hab ich mich diesmal aber nicht in den schon im Wald liegenden Cabañas an der Straße raus zu den Ruinen einquartiert, in denen damals abends jede Menge Hippie-Backpacker rumtanzten und nachts die Brüllaffen die Schlafenden erschraken. Stattdessen bin ich in einem Hostal in der eigentlichen Stadt gelandet, die laut den einschlägigen Reiseführern wenig zu bieten hat.

Das stimmt, aber auch wieder nicht. Koloniale Bauten gibt es so gut wie keine, wirklich sehenswert im klassischen Sinne ist das Städtchen nicht. Aber es gibt eine Straße, die passenderweise anador turistico genannt wird, an dem man als Reisender alles notwendige findet. Kleine Läden mit dem üblichen Krams, Touranbieter, zahlreiche Restaurants, die sich tropico oder autentico nennen, aber auch typisch mexikanische, sehr einfache Taquoerias und, wenn man drei Straßen weiterläuft, sogar ein Marktviertels, in dem es wirklich authentisch zugeht, schon weil sich kaum Tourist hierher verirrt. Zusammengefasst: in Palenque-Stadt lässt es sich aushalten. Nur der Sound der Brüllaffen fehlt. Und auch die Massen von Moskitos, die in meiner Erinnerung um die Cabañas schwirrten.

Die Brüllaffen gibt es dafür am nächsten Morgen. Mit Simon und Emilianne, einem französischen Pärchen, das ich im Hostal in Campeche kennengelernt habe, habe ich mich gegen halb acht mit dem Collectivo auf den Weg gemacht. Mir Erfolg. Wir sind die ersten an der Kasse und dann auch die ersten, die das Ausgrabungsgelände betreten. C’est genial, sagt Emilianne. Und sie hat recht! Simon stürmt gleich weiter auf das Areal um ein Panoramafoto von der menschenleeren Anlage zu machen.

Das heißt, um ehrlich zu sein, ganz leer ist es nicht. Ein paar Arbeiter sind schon da, einer mäht mit einem knatternden Motor das Gras, das auf den Treppenpodesten des ersten Tempels sprießt. Akustisch eine Katastrophe, aber nun ja.

Dafür haben wir den Palast, der das Zentrum der Anlage bildet, wirklich für uns. Das ist deutlich anders, als vor elf Jahren. Identisch ist hingegen das Gefühl, das sich einstellt, als ich eine Stunde später die Stufen des templo de la cruz erklimme. Denn ganz oben weitet sich plötzlich der Blick über die benachbarten Pyramiden und den dahinter liegenden Palast hinweg hin zum unten liegenden, endlos grünen Flachland, das sich vom Fuß der Berge bis zur weit hinter dem Horizont liegenden Atlantikküste erstreckt. Vor 11 Jahren hatte ich an diesem Ort verstanden, warum die Mayas sich hier erstmals etwa 100 Jahre n.Chr. angesiedelt hatten und warum sie den Ort zwischen 600 und 780 zu einem machtvollen, wie spirituellen Zentrum ausgebaut haben.

Die Brüllaffen, die sich irgendwo in den dichtbewachsenen Bergen oberhalb der Ruinen verstecken, geben ihren unglaublich raunenden Sound dazu. Das ist so ein Moment, den man in der Erinnerung später wohl ausbauen wird. Obwohl das eigentlich gar nicht nötig ist. Denn hier stimmt gerade alles – für einen kurzen Moment.

Dann kommen nach und nach immer mehr später aufgestandene Besucher und zu den Füßen der Tempel breiten die Händler ihren Kram aus. Touristenguias erklären auf englisch, französisch, spanisch oder deutsch den strohbehüteten Besuchergruppen die Bedeutung der einzelnen Gebäude – und fordern sie immer wieder mal auf, nicht zu sehr zu trödeln. Die Zeit, sie drängt. Weiter, weiter.

Wie schön, wenn man da noch ein wenig verweilen kann. Wenn man ausgiebig auch die kaum ausgegrabenen Ruinen im Wald bewundern kann, wenn man in aller Ruhe die tunnelartigen Grabstätten durchschlendern kann, wenn man jede, aber auch wirklich jede nicht abgesperrte Pyramidentreppe erklimmen darf, gern auch zweimal, wenn es Spaß macht.

Denn so erkennt man schließlich, dass in Palenque anders als in Chichen Itza nicht die machtvollste Pyramide im Zentrum steht, sondern der Regierungspalast. So erfährt man, dass die meisten der dennoch unübersehbar wichtigen Gebäude offenbar in der Regierungszeit nur zweier Herrscher im 7. Jahrhundert entstanden sind, die das Streben und auch die Macht hatten, ihr Volk zu diesen Bauleistungen anzutreiben, die wie alle Anlagen der Mayas ohne Zugtiere und auch ohne Rad errichtet wurden – beides brachten erst die Spanier nach Amerika. Zimperlich dürften die damaligen Herrscher mit ihren Mitbürgern wohl kaum umgegangen sein.

Viereinhalb Stunden waren wir auf dem Areal. Auf dem Weg zum Ausgang passiert man noch ein paar unbedeutender Ruinen, auf denen gigantische Bäume wachsen und einen gefällig rauschenden kleinen Wasserfall.

Hinter dem Ausgang wartet auf der anderen Straßenseite noch das Museum, in dem viele der auf dem Gelände gefundenen Statuen, Fresken und Hieroglyphen ausgestellt werden. In einem Extraraum kann man den überdimensionalen Sarkophag bewundern, in dem einer der beiden bedeutendsten Herrscher im Jahr 683 in einem Raum tief unten in einer der Pyramiden bestattet worden war. Das Grab hatte ein mexikanischer Archäologe 1952 gefunden.

Ein Rätsel bleibt, wie bei allen anderen Mayastätten auch, warum sie schon um die Jahrtausendwende weitgehend verlassen waren. Laut einer Theorie soll Palenque, so erfährt man im Museum, am eigenen Erfolg und der damit einhergehenden Überbevölkerung gescheitert sein. Die 8.000 Bewohner, so steht es auf einer Tafel, hätten sich so sehr gedrängt, dass schließlich vier Menschen pro Quadratmeter dort gelebt hätten. Diese Behauptung beruht zwar auf einem eklatanten Fehler bei der Umrechnung von Quadratkilometern in Quadratmeter, ist aber wenigstens amüsant.

Zurück in der Stadt brauchte ich erstmal eine Pause. Und ein wenig Stärkung. An einem Straßenstand habe ich Mangos gekauft, frisch geschnitten Fruchtstücke, die mit Limonensaft beträufelt und dann mit reichlich Chillypulver sowie einer nicht weniger scharfen roten Soße angeboten werden. Klingt seltsam, schmeckt aber überraschend gut.

Und was macht das jetzt alles mit meiner Erinnerung? Wird sie künftig mehr vom zweiten als vom ersten Besuch geprägt? Wer weiß, vielleicht sollte ich in elf Jahren einfach noch ein drittes Mal wiederkommen.

Praktische Infos: hier.

2 Responses to “Palenque. Ein Wiedersehen mit den Ruinen”

  1. […] Fahrt mag vor einigen Jahren noch ein echtes Abenteuer gewesen sein. Von Palenque Richtung Guatemala, dann über den Grenzfluus übersetzen und auf der anderen Seite weiter Richtung […]

  2. […] von Campeche nach Palenque: der Erste-Klasse-Bus von ADO von Campeche nach Palenque brauchte rund sechs Stunden und kostete […]

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