grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Tikal. Herausragend

Das hier ist herausragend. Eine ganze Stunde hab ich oben auf dem Templo IV gesessen. 64 Meter hoch ist diese steil aufragende Pyramide, die höchste hier. Der Ort, von dem die klassischen Bilder von Tikal gemacht werden, der Blick über den scheinbar endlosen Wald, aus dem die anderen vier großen Pyramidentempel herausragen.

Hier, spätestens hier, wird einem klar, dass sich die weite Reise mal wieder gelohnt hat.

Morgens um 6 Uhr bin ich mit dem Collectivo von Flores losgefahren, gegen 7.15 Uhr war ich am Eingang zum Ruinengelände. Es werden auch noch deutlich frühere Touren angeboten. Die erste startet schon um 3 Uhr, damit man rechtzeitig zum Sonnenaufgang oben auf Templo IV sitzt. Die zweite beginnt um 4.30 Uhr und verspricht einen geführten Rundgang durch das menschenleere Areal, man hat damit größere Chancen, die Tierwelt zu sehen.

Aber dafür braucht man Glück. Und Glück kann man auch später haben. Als ich gegen 11 Uhr vom Templo IV heruntersteige, beginnt das unglaubliche Geschrei der Brüllaffen. Brüllen ist aber wohl das falsche Wort für den Sound, es ist eher ein heiseres Fauchen, es klingt wie das Kratzen von alten Nägeln auf rostigen Blechen. Wie eine Horde Dinosaurier, meint ein neben mit stehender Frankokanadier. Wie alles möglich, nur eben nicht wie ein paar harmlose Affen. Bis zu zwei Kilometer weit, heißt es auf einer Infotafel, kann man die Brüllaffen hören.

Unten am Fuß der Pyramiden steht ein Polizist in seiner schick schwarz martialischen Uniform, das Gewehr geschultert. Er lächelt freundlich unter seiner stylischen, orangenen Sonnenbrille. Ob die Affen weit Weg sind, frage ich ihn. Nein, sagt er, die sitzen ganz in der Nähe. Aber man kann sie nicht sehen, bedaure ich. Ob ich denn tatsächlich noch nie Brüllaffen gesehen hätte, fragt der Polizist erstaunt, na dann könnten wir ja eben mal einen Weg in den Wald suchen, damit er mir die Affen zeigen kann. Dafür sei er ja hier, er sei schließlich Touristenpolizist, es sei seine Aufgabe, den Besuchern zu helfen. Natürlich muss er auch verhindern, dass dumme Touris ihre Namen in die Ruinen ritzen oder auf Pyramiden klettern, wo das verboten ist. Aber Hilfe gehöre eben auch zu seinen Aufgaben. Und das Gewehr habe er eigentlich nur dabei, weil es zur Grundausstattung der Polizei gehöre. Anderorts, wo es gefährlicher sei, da brauche man das schon. Aber hier in Tikal sei ja alles friedlich.

Der freundliche Polizist nimmt einen der Pfade in den Dschungel, an dem ein „no pasar“-Schild steht. Kein Durchgang. Oh, wenn uns jetzt einer der Aufpasser sehen würde, scherze ich. Der Polizist lacht.

Die Affen brüllen. Schon nach knapp 100 Metern sitzen sie hoch oben in den Bäumen. Zwei, drei ausgewachsene, schwarze Tiere fauchen mit gefletschten Zähnen, die Mäuler weit aufgerissen. Um Rivalen zu beeindrucken? Um den Frauen zu imponieren? Nein, sagt der Polizist, die machen das immer, wenn die Temperatur wechselt, vom kalt auf heiß, von warm auf kühl, also meistens morgens und abends in der Dämmerung. Aber eben auch tagsüber, wenn plötzlich die Sonne durch die Wolken bricht. So wie gerade eben.

Glück gehört zum Reisen unbedingt dazu.

Aber vor allem bin ich ja wegen der Pyramiden und Tempel hier. Sie liegen weit verstreut auf einem riesigen Areal, das so groß ist, dass sich die Besucher vollkommen zerstreuen. Oder anders gesagt – und das ist die vielleicht größte Überraschung – das angeblich vollkommen überlaufene Tikal ist so leer, dass ich streckenweise ganz alleine durch den Wald laufe.

Vor einer Übersichtstafel ein paar hundert Meter hinter dem Eingang steht noch eine kleine Gruppe samt Guide, die dann aber nach rechts abbiegt. Ich gehe nach links – und niemand ist zu mehr sehen. Später treffen ich natürlich immer wieder auf kleine Gruppen und Einzelgänger. Und dennoch: es ist kein Vergleich mit dem wirklich überlaufenen Chichen Itza, selbst in abgelegenen Ruinenstätten wie Ek’Balam und Uxmal war es etwas voller.

Der andere Unterschied: hier ist man tatsächlich mitten im Wald. Und ein Großteil der Ruinen ist komplett unausgegraben, von Bäumen überwuchert. Selbst den herausragenden Templo IV sieht man kaum, wenn man unten davor steht. Gäbe es nicht die Holztreppe, die über rund 170 Stufen durch das dichte Grün den steilen Hang hinaufführt, man könnte die Pyramide auch für einen kleinen Berg halten.

Ein weiterer Unterschied zu den anderen Mayastätten: hier in ihrer einstigen Hauptstadt haben sich die Mächtigen irgendwann nicht mehr damit begnügt einfach Pyramiden zu bauen. Das konnte ja jeder dahergelaufene Mayafürst. Für die Hipster unter den Mayas mussten es schon zwei gleiche Pyramiden sein, Zwillingsbauten, einer genau auf der Ost-, der andere genau auf der Westseite eines Platzes. Im Süden und Norden konnten dann weitere Gebäude errichtet werden, die das jeweilige Ensemble abrundeten.

Solche Anlagen finden sich gleich mehrfach in Tikal. Mal in klein, vollkommen überwuchert an einsam abgelegenen Orten, die man am Ende verwunschener Pfade durch den Wald findet, mal in groß, auf der zentralen Plaza, wo sich die Tempel I und II fast 40 Meter über einer satten grünen Wiese erheben, oben drauf ein machtverheissend hoch aufstrebender Steintross, unten die wimmelnden Touristen mit ihren Kameras.

Hätte ich damals auf meine Studienkollegin Nicola gehört, mit der ich 1991 in Costa Rica war, dann wäre ich schon vor über 23 Jahren hier in Tikal gewesen. Damals konnte man wohl noch in der Anlage übernachten, das ist heute verboten. Nachts haben nur noch Guatemalteken Zutritt, die hier an bestimmten Feiertagen Zeremonien im Stil ihrer Vorfahren abhalten dürfen. Und noch etwas hat sich geändert. Der große Templo V ist heute auf der Hauptseite komplett ausgegraben, die große Treppe wurde von Archäologen restauriert, die ihre Arbeit just im Jahr 1991 begonnen hatten. Damals hat dieser Tempel noch genau so ausgesehen, wie in den Jahrhunderten zuvor, seit die Mayas die Anlage vor über 1.000 Jahren verlassen haben. Und so wie heute der noch unangetastete Templo III aussieht, bei dem Archäologen zur Zeit nur die oben thronenden Wand bearbeiten, auch um sie vor weiterem Verfall zu schützen.

Aber weitere Ausgrabungen sind geplant. Dahinten, sagt ein Guide oben auf dem Templo IV zu seiner Besuchergruppe und zeigt auf einen dicht bewaldeten Hügel rechts neben den zentralen Tempeln, da werden bald alle Bäume entfernt, um die dort liegende Akropolis zu erforschen.

Siebeneinhalb Stunden bin ich über das Gelände spaziert, ich möchte keine Minute davon missen. Unzählige kleine und größer Treppenanlage verlocken zum Hochklettern. Wo man das darf, hab ich es auch fast immer gemacht, um dann oben ein wenig zu verweilen. Am Ende musste ich mich schon ein wenig beeilen, um den Bus, der tatsächlich pünktlich um 15 Uhr zurück nach Flores fuhr, noch zu erreichen.

Praktische Infos: hier.

One response to “Tikal. Herausragend”

  1. Nicola sagt:

    Lieber Gereon,

    herzlichen Dank für Deine Mail und diesen tollen Bericht. Es freut mich von Herzen, dass Du nun die Magie dieses Ortes erleben durftest. Und mit der Sichtung der Brüllaffen hast Du mir echt was voraus – gesehen habe ich die leider nie. Wünsche Dir noch viele weitere wunderbare Erlebnisse auf Deiner Reise. Anfang Juni bin ich in Berlinm vielleicht sehen wir uns?

    Liebe Grüße und cuidate

    Nicola

Leave a Reply

Your email address will not be published.

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>