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die welt liegt uns zu füßen

Potosi: Im Berg

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Dann bleibt Orlando stehen und sagt: Und jetzt hier hoch. Die junge Belgierin vor mir guckt etwas skeptsich. Ich nicht weniger.

Wir sind mittendrin im Berg. Durch niedrige Tunnel mit Schlamm und Pfuetzen am Boden und unter schief haengenden, manchmal morsch wirkenden Holzstuetzen hindurch mindestens 500 Meter hineingelaufen.  In den  Cerro Rico, den reichen Berg, der hier alles ist. Der Grund dafuer, dass Potosi, die angeblich hoechstgelegene Stadt Welt, hier ueber 4.000 Meter ueber dem Meeresspeigel vor 500 Jahren gebaut wurde. Der Grund dafuer, dass es Potosi auch heute noch gibt. Der Grund dafuer, dass ich hier bin. In Potosi. Und schon wenige Stunden nach meiner Ankunft im Berg. In der Silbermine. In einer der unzaehligen Minen, die den Berg im Laufe der Jahrhunderte in einen schweizer Kaese verwandelt haben, wie hier alle sagen.

Die Tour ist gut gefuehrt. Wir sind zu fuenft, werden schon im Hostal mit Gummihose, Gummistiefel, Extrajacke und vor allem mit einem Helm samt Stirnlampe ausgestattet, der in seiner Form an einen Tropenhelm erinnert, aber zum Glueck ungleich stabiler ist. Jhonny leitet die Tour, Orlando ist sein Sklave. Sagt Jhonny und lacht. Orlando lacht auch.

Wir fahren erstmal zum Markt der Mineros, der Minenarbeiter. Der Markt entpuppt sich als ein kleiner, dicht bepackter Laden, hier gibt es alles. Dynamitstangen, die notwendigen Zuender, die Zuendkabel, aber auch Bier, Kokablaetter und Schnaps: 96-prozentigen Alkohol, den die Bergleute gern trinken. Wir duerfen probieren. Nippen reicht. Mehr will man auch nicht davon haben. Wir nehmen von jedem etwas, Geschenke fuer die Mineros, die wir im Berg treffen wollen. So ist das hier Tradition.

Dann geht es hoch auf 4.200 Meter, das sind immernoch 600 Meter unter dem Gipfel des kegelfoermigen, ein wenig an eine Pyramide erinnernden Cerro Rico. Der Eingang zur Mine ist ein schwarzes Loch. Sollen wir? Wir sollen!

Die Geschichte des Berges ist kurz erzaehlt – und sie erinnert ein wenig an Bergbaumythen aus dem Ruhrgebiet, wo Hirten nachts ein Lagerfeuer machten, dann sahen, dass die Steine, die sie zur Begrenzung genommen hatten, mitbrannten, und so die Kohlevorkommen entdeckten.

Hier in Bolivien entdeckte vor fast 500 Jahren ein Hirte eines nachts, dass der Weg auf dem Berg nach einem heftigen Regenguss glaenzte. Er fand: Silber, nahezu reines Silber.

Der Cerro Rico ist nur einer von vielen Plaetzen in Bolivien, an denen unglaublich viele Erze, sei es nun Silber oder Zinn oder anderes gefunden und abgebaut wurde. Einige wenige wurden dadurch im Wortsinne steinreich. Aber der Cerro Rico ist dennoch einmalig, wegen des Silbers, dass Potosi phasenweise zu einer der reichsten Staedte der Welt gemacht hat. Das ganze Silber, das die spanischen Kolonialherren nach Europa brachten, sei eine Grundlage fuer die Enstehung des Kapitalismus gewesen, meinte heute morgen ein geschichtskundiger Bolivianer am Fruehstueckstisch im Hostal.

Die Masse der Arbeiter aber musste unter unvorstellbaren Bedingungenn im Berg schuften. Versklavte Indigenas durften die Minen zum Teil vier Monate lang nicht verlassen, wird hier erzaehlt. Sklaevn gibt es heute keine mehr, die Arbeitsbedingungen aber sind immernoch sehr schlecht. Und die grosse Zeit der Silbefunde ist lange vorbei.

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Jhonny erklaert uns erstmal den Tio. Ein Teufelsfigur die wenige Meter hinter dem Eingang zur Mine in einer Seitenhoehle sitzt. Grosse Hoerner am Kopf, ein uebergrosser Penis zwischen den Beinen. Im Mund eine abgebrannte Zigarette. Der Tio (auf deutsch: Onkel)  ist so etwas wie der Schutzheilige der Minenarbeiter. Draussen, sagt Jhonny, da sei er natuerlich katholisch, da sei der Teufel boese. Auf hier drinnen in der Unterwelt, da muesse man sich mit dem Tio gut stellen, damit man es sich mit dem Herrn der Unterwelt nicht verscherzt. Dass die Figur Tio heisst, beruhe auf einem phonetischen Missverstaendnis, sagt Jhonny, denn die hier lebenden Quetschua haetten ihrer Sprache kein „D“. So sei aus dem spanischen Wort „Dios“ (Gott) eben „Tio“ (Onkel) geworden. El Tio bekommt ein paar Kokablaetter auf Kopf, Haende und Penis gestreut, dann ein paar Tropfen von dem hochprozentigen Alkohol. Und dann eine frisch angezuendete Zigarette in den Mund gelegt. Erst dann duerfen wir weitergehen. Vor uns Jhonny, hinter uns Orlando, dazwischen die fuenf Touris mit ihren Stirnlampen.

Nach ein paar hundert Metern treffen wir auf eine Gruppe von Arbeitern, zwei Chefs, drei Hilfkraefte, eine kleine, aber typische Kooperative, die hier im Berg auf eigene Rechnung arbeitet. Die meisten in der Gruppe sind miteinander verwandt. Vater, zwei Soehne, ein Onkel, eion Familienbetrieb. Finden sie Erze mit gutem Gehalt, gibt es gutes Geld von den Aufkaeufern. Finden sie nichts, gibt es keinerlei Verdienst. Zudem haengt alles noch vom aktuellen Weltmarktpreis der Erze ab.

Die drei Hilfkraefte sind alle nicht aelter als 17. Einer sagt, er arbeite schon seit 5 Jahren hier. Die Hilfskraefte schieben die Loren mit dem Abraum und den gefundenen Erzen durch die bis zu einen Kilometer langen niedrigen Gaenge. Von uns bekommt die Gruppe die mitgebrachten Bierdosen. Ein Feierabendgetraenk vor dem Wochenende.

Dann gehen wir weiter, bis Orlando stehenbleibt und sagt: Und jetzt hier hoch. Die Mine hat fuenf Etagen, wir sollen wenigstens die zweite besuchen. Orlando lehnt sich gegen die Wand, stellt den Fuss auf einen Vorspung, dann, sagt er, hier den anderen hin. Hier oben, ein Holz, an dem man sich hochziehen kann, dann den Koerper drehen, den Ruecken zur Wand, hochschieben, den linken Fuss auf diesen Vorsprung, die rechte Hand an diesen lehmigen Klotz. Und wieder hochziehen, drehen, weiter, durch das kaum einen Meter breite Loch. Und das alles mit Gummistiefeln.  Dann ein Stueck auf allen vieren. Orlando verschwindet nach oben. Die Belgierin ihm hinterher. Ich komme mir unendlich alt vor. Ich habe Angst. Orlando lacht, das, sagt er, ist doch noch der einfachste Aufstieg. Wenn wir noch hoeher wollen, schwoere ich mir, dann  ohne mich. Ich will eigentlich nur noch zurueck. Hinter mir sind aber noch zwei Chileninnen und der Argentinier. Es ist dunkel, feucht, dreckig, die Luft ist stickig. Ich krabbel durch den Matsch.

Dann weitet sich der Gang. Man kann wieder stehen. Oben sitzen drei Arbeiter, einer, Walter, der Chef, ist unglaublich dick. Keine Ahnung, wie er durch das Aufstiegsloch hochgekommen ist. Aber es gibt keinen anderen Zugang. Nur diesen einen.

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Wir setzen uns in eine mehrere Meter hohe Hoehle. Auch hier sitzt El Tio, nur etwas kleiner als am Eingang des Tunnels. Die Abeiter bekommen unsere Kokablaetter, den Schnaps und die mitgebrachte Limo zum Verduennen. Walter schuettet zunaechst ein paar Tropfen auf den Boden – fuer Pachamama. Dann dankt er der „Mutter Erde“ fuer die gute Woche, die zwar wenig Ertrag gebracht hat, aber auch ohne Unfaelle blieb. Dann macht die Flasche die Runde.  Ich bekomme sie als erster der fuenf Touristen gereicht und lehne dankend ab. Prompt ermahnt mich Jhonny: auch wenn ich nichts davon  trinken will, solle ich doch an Pachamama denken, ihr die gebuehrenden Tropfen auf die Erde schuetten und das Ganze mit einem Glueckswunsch fuer die Mineros verbinden. Ich tue wie geheissen und ernte tiefen Dank von den drei Maennern.

Dann knallt es. Vier Mal. Dumpf. Weit entfernt, aber die Druckwelle ist deutlich zu spueren. Die Maenner haben unsere Dynamitstange in vier Teile zerlegt und mit Hilfe von Zuendkabeln gesprenngt – in einem der angrenzenden Gaenge. In zwei Stunden, sagt Walter, koenne man da wieder rein, dann  habe sich der Staub soweit gelegt, dass man  einigermassen atmen koenne.

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Der Staub ist auch der Hauptgrund dafuer, erklaeren die Maenner, dass sie waehrend ihrer acht- bis zehnstuendigen Schichten nichts essen. Alle Speisen wueden mit dem Staub kontaminiert. Das sei nicht gut. Stattdessen kauen sie den ganzen Tag ihre Kokablaetter, das vertreibt den Hunger und gibt Kraft, sagen sie.

Die Maenner sind freundlich und reissen derbe Macho-Scherze, sie scheinen zufrieden mit ihrem Leben. Denn alle wissen, wenn man hier mal den grosssen Fund macht, die reichen Ader trifft, dann wird man auch heute noch reich, sehr reich, Millionaer. 15.000 Maenner arbeiten deshalb hier im Berg. Im Cerro Rico, ohne den Potosi immernoch nichts waere. Zwar habe der Praesident Evo Moarales versprochen, hier oben Fabriken anzusiedeln, aber geschehen sei nichts. Jetzt soll das bis zum Jahr 2025 geschehen. Aber sie glauben ihm nicht, auf Evo Morales sind sie wahrlich nicht gut zu sprechen, die Maenner im Berg.

Ob sie keine Angst haetten, dass mal ein Gang einstuerze, wollen wir wissen. Nein, sagen die Maenner, das ist hier alles Granit, das haelt, auch wenn vielleicht ein paar Meter die naechste Kooperartive ihren Schacht graebt. Karten von all den Gaengen hier im Berg gibt es nicht. Was zaehlt, ist die Erfahrung.

Mir reicht die Erfahrung von den drei Stunden hier in der Dunkelheit. Der Weg hinunter zum Tunnel ist ungleich leichter als herauf. Der Spaziergang zum Ausgang ist ein Kinderspiel, auch wenn ich selten so froh war, einen stabilen Helm zu tragen, so oft habe ich mir den Kopf gestossen.

Draussen ist es kalt, nasskalt, es regnet. Wie schoen ist es doch, bei diesem Wetter draussen zu sein.

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3 Responses to “Potosi: Im Berg”


  1. Vielen Dank für den Gruß aus Potosi! 🙂 🙂 🙂

    Wow, da wachsen riesen Gitarren auf den Bäumen und dann gleich mit 10 statt üblicherweise 6 Saiten. Das muss das Paradies sein! 😉 😎

    Die Inschrift auf dem Schild am Baumstamm kann ich auf dem Foto leider nicht entziffern.

  2. […] Minen von Potosi: Es gibt unzählige Anbieter von Touren in die alten Silberminen des Cerro Rico. Ich habe gleich die vom Hostal angeboteten Tour genommen und hatten den Eindruck, alles richtig […]

  3. […] vor allem am kühlen und nassen Wetter bemerkbar macht. Berühmt ist Potosi vor allem für seine Silberminen im Cerro Rico, die man unbedingt besuchen […]

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