grimo auf reisen

die welt liegt uns zu füßen

Tulum: Menschen an der Bar

Der Typ ist so schwul, dass es kracht. Dackelaugen, gepflegt inszeniertes Strubbelhaar, Schlabbershirt mit tiefem V-Ausschnitt. I’m Steeeeve, stellt er sich vor und dehnt den Vokal, als ob ihm gerade jemand lustvoll die Eier krault. Drei junge Frauen, eine blonder als die andere, umschwärmen ihn. Coole Sau. Ah, sagt Steeeve, your’re from Germany. Good beer!

Was trinkst du?, will der Blonde aus Boston hinter der Bar im Tulumer Hostal Sheck wissen. Steeeeve trinkt Margerita. Die Französin aus dem Bus über die Grenze nach Mexiko, die hier ihren Freund oder einen Freund, auf jeden Fall auch einen Franzosen mit ebenfalls gepflegt inszeniertem Strubbelhaar, aber dennoch eindeutig nicht schwul, die hier also mit ihrem Typen sitzt, trinkt irgendwas orangenes. Er auch. Tequila Sunrise, sagt die Französin.

Und dann hockt da noch ein rothaariger Belgier namens Björn, er trinkt Bier.

Ich nehme Margerita.

Steeeeve geht es eigentlich gar nicht gut. Er hat sich mit dem Rad auf die Nase gelegt, die Hände übel verschrammt, der dicke Zeh, rechts, jetzt fast auf der Bar liegend, Inszenierung ist alles, ist doppeldick und blau. Die drei Blondinen, eine schwedischer als die andere, versorgen ihn mit Mull und Pflaster. Er zeigt ihnen im Gegenzug die tollen Typen, die er über die Gay-Dating-Plattform Ginder hier in der Gegend ausgemacht hat. Look at this guy!, trötet Steeeve lauthals über den Tresen und zeigt das Smartphonedisplay seinen drei Girlies. Was der schon für Finger hat, meint Steeeve, der muss einen Schwanz wie ein Elefant haben!

Die Mädels kichern begeistert.

Die Französin aus dem Bus, die bei der Einreise nach Mexiko noch froh war, endlich wieder in einem spanischsprachigen Land zu sein, fragt den Belgier auf englisch, ob er wirklich Björn heiße. Ja, antwortet der, wie der eine von Abba. Und welcher?, fragt der Franzose neben der Französin.

Keine Ahnung, sagt Björn. Er zuckt mit den Schultern.

Wo kommt ihr denn her?, will ein Schwarzhaariger wissen, der sich jetzt an die Bar drängelt und sich als Steven vorstellt – ohne gedehnte Vokale. Er selbst kommt aus Australien. Melbourne oder Sydney?, frage ich. Brisbane!, sagt Steven. Es gibt also tatsächlich junge Australier, die nicht in Melbourne leben? Klar, sagt Steven, Melbourne sei doch durch, Brisbane hingegen schwer angesagt. Brisbane, sagt er, ist das neue Melbourne. Und du, aus Germany?, fragt Steven. Good beer!

Was die Leute eben so wissen über Schland.

Hey, kreischt eine der drei Schwedinnen, diesen Song haben meine Leute gemacht. Sie reißt die Arme hoch. Der Ghettoblaster in der Ecke spielt irgendein unauffälliges Diskozeug. Endlich kann ich mal ein bisschen Heimatstolz zeigen, erklärt die Schwedin und die anderen beiden Blondinen nicken. In Schweden könne man niemals mit der schwedischen Flagge rumlaufen, das täten dort nur die Rechtsextremen. Ah, wie in Deutschland?, fragt der Kolumbianer Aldemár, dem ich gestern von meiner Fahnenphobie erzählt habe.

In Cuba, erklärt der Tiroler Daniel jetzt dem Belgier Björn, in Cuba, da wirst du nur beschissen, da wirst du dauernd abgezockt, selbst in den Wechselstuben, wo gibt es denn sowas?, da musst du ständig aufpassen, das macht einfach keinen Spaß, da musst du immer nachzählen und dann sind die Getränke plötzlich alle einen Dollar teurer und dann …

Ich kenn seine Geschichten. Daniel hat sie mit gestern Abend schon erzählt, als wir noch in dem Hostel auf der anderen Straßenseite waren, in dem es für heute Nacht aber keinen Platz gab, nicht für Aldemár, nicht für Luis und auch nicht für mich. Ausgebucht von Typen, die Betten reservieren, so wie Daniel. Und er hat mir sein kubanisches Leid vorhin gleich nochmal geklagt, als er sich an dem Tacostand gegenüber zu mir gesetzt hat. Da hat er dann auch gleich noch über Costa Rica gejammert, da kannst du echt nicht mehr hinfahren, die verlangen da Preise, also ehrlich, unter 40 oder 50 Dollar für ein Doppelzimmer findest du da nichts, der Tourismus verdirbt die Leute.

Ob er denn kein Tourist sei, wollte ich wissen. Nein, meinte Daniel, so würde er sich nicht bezeichnen, er sei ja schon ein Jahr unterwegs. Wie gut, dass er jetzt Björn gefunden hat, dem er sein Reiseleid klagen kann.

Noch eine Magerita?, fragt der Bostoner hinter der Bar.

Klar, noch eine Magerita.

Aus Nantes, antwortet eine Französin, die neu dazugekommen ist auf die übliche Fragen in unüblich akzentfreiem Englisch, aber ich arbeite in Brüssel für eine Lobbyorganisation beim EU-Parlament. Suprinteressant sei es da. Und wir schwärmen ein wenig über Brüssel.

Nein, nein, sagt der junge Ami, der piratenmässig mit rotem Kopftuch und hinten raussträhnendem Langhaar bisher unauffällig mit seinem Smartphone in der Hängematte hing, nein, Maya-Ruinen habe er noch keine gesehen. Er habe eine Woche Party in Cancun gemacht, jetzt sei er zum Ausspannen in Tulum, dann geht es noch nach Playa del Carmen. Nochmal eine Woche Party?, will Luis wissen, der heute zu einem Tagesausflug nach Playa gefahren ist, um dort seinen Cousin zu treffen. Luis fand es schon nach wenigen Stunden langweilig. Der Pirat hingegen ist ganz heiß drauf. Klar, sagt er, nochmal Party, deshalb bin ich ja hier.

Eigentlich, sagt der Belgier, mag ich eher Asien. Vietnam weniger, aber Korea und Japan! Das sei so fremd, so anders. Die Sprache sei zwar ein Problem, aber Lächeln, das gehe immer. Björn arbeitet bei einer Exportfirma für belgische Produkte, Schokolade und so was, oft nachts, da gibt es viele Überstunden, die er dann mit Extraurlaub abfeiern darf. Gut fürs Reisen! Er nimmt noch ein Bier. Nach Mexiko ist er eigentlich nur geflogen, weil er mal was anderes sehen wollte. Begeistert ist er bisher nicht, er ist zwar erst vor zwei Tagen angekommen, aber die nächste Reise geht wieder nach Asien, ganz sicher. Indien und Nepal will er bald besuchen. Unbedingt.

Wo ist eigentlich Aldemár? Schon oben, der schläft, der muss morgen früh raus, zurück nach Kolumbien. Mir bleibt ein Tag mehr. Luis bleiben noch zwei.

Der steht vor der Weltkarte an der Wand. Zuviele Orte auf der ganzen Welt, die besucht werden wollen. Mit der transsibirischen Eisenbahn von Moskau bis Wladiwostok. Afrika? Klar, Afrika. Luis studiert Humangeographie. Was man damit werden kann? Er zuckt mit den Schultern, am liebsten professioneller Reisender. Was für ein Traum! Ich hole uns zwei Tequila.

Als nächstes will er nach Island. Und dann anschließend von Stockholm nach Rom. Für diese Strecke bleiben ihm zwei Wochen im Sommer. Vielleicht reicht es für einen Stop in Berlin. Zwei Wochen für halb Europa?, frage ich. Ja ja, ich weiß, sagt Luis, aber mehr Zeit bleibe ihm nicht, wenn er vorher noch nach Island will. Und das sei nunmal ein echter Traum.

Morgen will er noch schnell nach Valladolid. Dort hat er über Couchsurfing eine freie Hängematte gefunden. Nur drei Blocks vom Busbahnhof entfernt. Ich empfehle ihm, unbedingt dort im Cenote zu baden.

Dann gibt es Proteste an der Hostelbar. Der Bostoner will nichts mehr verkaufen. Er habe doch längst „last order“ gerufen, aber das hat niemand gehört, will niemand gehört haben. Um 11, sagt der Barkeeper, machen wir zu, damit die Leute oben im Dormitorio schlafen können. Er deutet auf die Uhr an der Wand, sie zeigt fünf nach.

Die geht doch vor, protestieren die Gäste, auf allen anderen Uhren ist es erst fünf vor. Der Franzose meint sogar, es sei doch sogar erst fünf vor zehn. Aber er ist der einzige, der nicht mitbekommen hat, dass Quintana Roo, der östlichste Bundesstaat Mexikos am 1. Februar die Uhr eine Stunde vorgestellt hat, damit die Touristen länger am Strand liegen können. Der Ami hinter der Bar gibt nach, na gut, noch eine Runde, drei Tequila Sunrise für die Schwedinnen, ein Bier für den Belgier, irgendso einen braunen Mix für den klagenden Tiroler, und du?, noch eine Magerita?

Klar, noch eine Magerita.

Dann ziehen die jungen Leute weiter. Und der etwas ältere Sack geht ins Bett.

2 Responses to “Tulum: Menschen an der Bar”

  1. […] Tulum, Stadt: Ein Hostel sollte man hier offenbar tatsächlich vorbuchen. Ich hatte Glück, dass ich Aldemár und Luis auf der Straße getroffen habe. Die beiden waren zwei Stunden vor mit in Bacalar losgefahren und hatten nach langer Suche im Hostal Tulum Naa Platz in einem sehr sauberen Vierbettdorm mit eigenem Bad für 150 Pesos gefunden, wo es auch noch Platz für mich gab. Das Naa ist unspektakulär, hat neben fünf solchen Zimmern nur einen schmalen Garten mit Hängematten und eine kleine Selbstversorgerküche. Aber es ist ruhig und sehr sauber. Leider bekamen wir nur Platz für eine Nacht, danach war es ausgebucht. Wir sind daher auf die andere Straßenseite ins Hostal Sheck gewechselt, es hat einen riesigen Schlafsaal im ersten Stock, in dem mit Zwischenwänden etwas unterteilt 14 Betten stehen (160 Pesos) und zwei kleiner Dorms mit 4 bzw. 6 Betten. Da das Dach sehr hoch ist, kommt hier kein Gefühl von Enge auf. Ein einfaches Frühstück (einmal gab es Omelett, am zweiten Morgen Pancakes) ist inbegriffen. Unten gibt es eine kleine Bar, Hängematten und entspannte Backpackerathmosphäre. Und HIER gibt es noch ein paar Extratipps für Rollstuhlfahrer. […]

  2. […] Jahr in Belize kennengelernt und bin dann mit ihm und dem Australier Louis ein paar Tage zusammen bis Tulum gereist.  Du musst nach Kolumbien kommen, hatte Aldemár gesagt. Und mich besuchen! Was man halt so sagt. […]

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