Es kann ja nicht alles schlecht sein. Auch wenn der Kopf brummt nach einer nahezu schlaflosen Nacht, in der ich erstens gelernt habe, wie man das sehr elektronisch klingende Glockengelaeut in eine Uhrzeit umrechnet. Und in der ich vor allem den bloeden Tag zuvor nicht aus dem Kopf bekam.
Also war es dringend Zeit fuer was neues. Einen kleinen Ausflug mit dem Bus nach Tiwanaku. Das ist ein Gelaende mit Ruinen, eineinhalb bis zwei Stunden von La Paz entfernt, fast schon am Titicacasee in der Hochebene gelegen. Man kommt da auch mit oeffentlichen Bussen hin, aber ich habe jetzt mal eine Tour gebucht, mit Fuehrer, Mittagessen und vor allem mit Tuer zu Tuer Service. Die holen einen am Hostel ab! Und das mag man, wenn am Tag zuvor …
Der Bus mit den 25 Reisenden quaelt sich erst die Serpentinen nach El Alto hoch und bleibt dann in der Millionenstadt oberhalb von La Paz sofort im Stau stecken. Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen hier oben runter nach La Paz gefahren hatte, hatte gesagt, dass der einstige Vorort heute laengst mehr Einwohner hat als La Paz selbst. Der Verkehr hier ist unglaublich. Vierspurig stehen die Fahrzeuge nebeneinander. Wer eine Luecke sieht, gibt Gas.
Die Stadt selbst ist haesslich. Ohne erkennbares Zentrum. Und nahezu alle Haeuser sind nur Rohbauten. Klar, das sieht man in ganz Lateinamerika. Haeuser, die zum Teil oder in Gaenze offensichtlich seit Jahren bewohnt sind, aber dennoch nicht fertig. Unverputzt. Einziger Farbtupfer an vielen Gebaeuden: das poppig bunt gestrichene Wellblechtor. Das findet man sogar an Grundstuecken, deren einziege Bebauuung die natuerlich unverputzte Grenzmauer rund um das Areal ist. Scheint eine Art Statussymbol zu sein. Oder eine Art Vorwarnung, auf das was da irgendwann mal kommen soll. Denn die wenigen tatseachlich in El Alto vollendenen Haeuser sind so schreiend bunt, dass man erstmal seine Sonnenbrille rauskramen muss.
Ein Augenschutz ist aber so gut. Denn die Strassen sind mehr als staubig. einziger Lichtblick am Ende der Seitenstrassen: die schneebedeckte Kordillera!
Was Baukunst angeht, waren die hier lebenden Menschen mal etwas weiter. Das kann man dann in Tiwanaku sehen. Eine siebenstufige Pyramide steht dort, neben diversen Tempeln mit Toren, die sich exakt nach dem Sonnenstand zur Sonnenwende ausrichten. Dazwischen gigantische bis zu 8 Meter hohe, monolitische Figuren, deren genaue Bedeutung wie vieles hier bis heute unklar ist. Das unglaublichste aber sind die teils ueber 100 Tonnen schweren Steinplatten, aus denen die Tinawaku die Tempel gebaut haben, aus Felsgestein wohlgemerkt, das es hier weit und breit nicht gibt. Die Bloecke sollen angeblich mit riesigen Schilfbooten ueber den Titicacasee geschifft worden sein.
Aber so ganz genau, weiss man das wohl auch nicht. Es ist ja nicht einmal klar, warum die Tinawaku, die hier in der Umgebung des Sees rund 2.500 Jahre lang lebten, die am Ende ein Gebiet von der Mitte Perus bis runte nach Chile und grosse Teile des heutigen Boliviens beherrschten, dann auf einmal so gegen 1300 nach Christus von der Bildflaeche verschwanden. Es wird vermutet, dass aus einem Ableger der Tinawaku spater die Inka hervorgingen, die dann in der gleichen Gegend ihr sagenumwobenes Reich in kaum 150 Jahren aufbauten – bis diese wiederum von den Spaniern uebrrannt wurden.
Schuld am Untergang der Tinawaku waren die Spanier also nicht. Dennoch haben sie gruendlich aufgeraeumt mit den boesen, heidnischen, ja unkatholischen Hinterlassenschaften der Tinawaku. Die Monoliten zum Beispiel wurden entweder zerstoert oder wenigstens gekoepft und wenn auch das nicht gelang, wurde ein Kruez hineingemeisselt. Die wunderbaren Felssteine der alten Tempel nahen die Conquistadoren, um eigene Kirchen und Palaeste zu bauen. Und so ist heute vom Originalzustand nichts mehr zu sehen. Alles was hier steht, wurde von Archaeologen wieder aufgebaut. Was die Autentizitaet angeht, kann die Anlage also weder mit Machu Picchu oder Kuelap mithalten. Aber in einem schlaegt sie die beiden Toporte in Peru allemal: im Alter.
All das erfaehrt man Dank eines kundigen und sehr engagierten Tourfuehrers, der auch die unwahrscheinlichen Geschichten parat hat. Dass zum Beispiel ein franzoesischer Forscher mal davon ausging, dass diese teils 2.000 Jahre alte Anlage so eine Art Zweitwohnsitz der aegytischen Pharaonen sei, weil hier wie dort gleichen Bautechniken verwendet wurden. Oder dass viele behaupten, dass hier Ausserirdische mitgemischt haben muessen. Weil – so die Therorie des unvermeintlichen Erich von Daeniken – anders nicht zu erklaeren sei, wie die Tinawaku es schafften, Felsen mit Mettallstaeben zu verbinden, die in eine absolut exakt gerade Linie aus gebohrten Loechern gesteckt wurden. Das ganze sieht tatsaechlich eher aus wie das Werk eines zeitgenoessischen Betonbohrers.
Am Ende gibt es Suppe. Das heisst, es haette in dem Ballsaal-aehkichen Gebaeude neben dem Ausgrabungsareal auch noch einen Hauptgang und Nachtisch gegeben. Aber ich und mein brummender Kopf hatten keinen Appetit.
Aussichtsfanatiker sollten auf der Rueckfahrt uebrigens unbedingt darauf achten, dass sie einen Fensterplatz auf der linke Seite bekommen. Denn nach dem Passieren der kleinen Anhoehe hat man dort einen wunderbaren Blick auf die schneebeckten Gipfel der Kordillera, die sich hier einmal von komplett von links nach rechts den Horizont entlangzieht. Dummerweise verpasst man dann allerdings rechts den atemberaubenden Blick auf La Paz, wenn der Bus die Serpentinen wieder in die Haupstadt herabrauscht. Aber man kann ja nicht alles haben.
Und eins noch: in El Alto an der autobahnaehnlichen Kreuzung mit dem Abzweig nach La Paz steht das wohl haesslichste Che-Guevara-Denkmal, das man sich vorstellen kann. Gigantisch!
Bilder von Pyramiden, Schnee bedeckten Gipfeln und gigantisch hässlichem Ché-Denkmal entstehen im Kopf. Das ist schon spannend! Aber: das nächste Mal gibt’s ein Handy mit, dass mit Deiner Kamera kommunizieren kann (also kein fauler „Apfel“ 😉 ), denn ich bin jetzt schon sehr gespannt auf die wahren Bilder.
Ich drücke die Daumen, dass diese Nacht besser wird und Dir Morgen auch Hauptspeise und Nachtisch schmecken werden.
Ach Herr.Oppermann,
du hast ja so recht, liebend gern wuerde ich ein paar Fotos hochladen. Aber ich bin dennoch vor allem froh, dass ich zB. mein iPad nicht mitgenommen habe. Denn das haette ich wohl – sicher ist schliesslich sicher – stets bei mir getragen und waere dann wohl bei der Begenung mit dem falschen Polizisten abhanden gekommen. Dann haette ich auch nichts hochladen koennen. Kommt also aufs selbe raus.
Gruesse,
G.
Ja, das kann ich nachvollziehen.
So warten wir Leser geduldig und freuen uns solange auf die Drehbücher für’s Kopfkino 🙂
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